Letzte Aktualisierung:  9. Dezember 2014  PK

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Peter Knauer SJ


Zu Gerhard Ebelings „Das Wesen des christlichen Glaubens“ (1959)


ZUSAMMENFASSUNG:
Alle Glaubensaussagen sind als die Entfaltung eines einzigen Glaubensgeheimnisses zu verstehen, der Gemeinschaft mit Gott. Sie stehen zueinander nicht in einem additiven Verhältnis.

GEDRUCKT IN:
Das Christentum der Theologen im 20. Jahrhundert. Vom »Wesen des Christentums« zu den »Kurzformeln des Glaubens«, hrsg. v. Mariano Delgado, Stuttgart-Berlin-Köln 2000 (ISBN 3-17-015680-2), 74–83


Gerhard Ebeling (*1912[–2001]) habe ich zuerst kennengelernt durch sein kleines Buch Vom Gebet – Predigten über das Unser-Vater, das ich als Theologiestudent in Löwen für die Nouvelle Revue Théologique rezensieren sollte. Die Bitten des Vaterunsers werden darin so gedeutet: In jeder Bitte selbst beginnt das zu geschehen, worum man bittet. Zum Beispiel bedeutet die ernstgemeinte Bitte um die Heiligung des Namens Gottes tatsächlich bereits Heiligung des Namens Gottes. Ähnlich verhält es sich mit allen anderen Bitten. Diese Deutung des Gebets macht den Anspruch christlichen Betens, „unfehlbar“ erhört zu werden (vgl. Mt 7,7f.), verständlich. Bereits hier wird ein Grundzug der Theologie Gerhard Ebelings deutlich: So wie das Gebet und seine Erhörung letztlich in eins fallen, so kommt überhaupt dem christlichen Glauben eine unüberbietbare innere Einheit zu. Der Inhalt der christlichen Botschaft erläutert ihren Anspruch, Wort Gottes zu sein, und macht diesen Anspruch überhaupt erst verständlich und überzeugend.

Ich begann, weitere Bücher Gerhard Ebelings zu lesen. Daraus ergab sich das Thema meiner Dissertation Verantwortung des Glaubens – Ein Gespräch mit Gerhard Ebeling aus katholischer Sicht1.

1 PETER KNAUER, Verantwortung des Glaubens – Ein Gespräch mit Gerhard Ebeling aus katholischer Sicht. Frankfurt a.M. 1969.

Aus meiner Ausbildung in scholastischer Theologie und dem Nachdenken über ihr Vorverständnis brachte ich die Einsicht mit, daß man nichts Größeres als Gott denken kann, ja daß Gott größer ist als alles, was gedacht werden kann (vgl. Anselm von Canterbury). Thomas von Aquin hatte daraus gefolgert, daß die reale Relation der Welt auf Gott einseitig sein müsse.2 Sonst bleibe nicht gewahrt, Gott als schlechthin absolut anzuerkennen.

2 Vgl. STh I q.13, a. 7c.

Die Lehre von der Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott muß in der Weise präzisiert werden, daß das Geschaffene selbst völlig in dieser Relation aufgeht. Gerhard Ebeling hat mir in einem Gespräch den Kommentar gegeben, diese Lehre sei in metaphysischer Sprache das Pendant zur Anerkennung der Geschichtlichkeit unserer Welt. Es ist vollkommen ausgeschlossen, die Welt gleichsam aus Gott abzuleiten. Einer solchen Deduktion geht jede ontologische Grundlage ab. Wir können nur von der tatsächlich begegnenden, und zwar allein in geschichtlicher Weise begegnenden Wirklichkeit unserer Welt ausgehen. Auf so etwas wie eine Weltformel, die es uns erlaubte, Wirklichkeit zu deduzieren, müssen wir ein für allemal verzichten.

Aber wie kann man angesichts der Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott überhaupt noch von einer Gemeinschaft mit Gott und einem Geborgensein in seiner Liebe sprechen? Keine geschaffene Qualität kann jemals ausreichen, Gemeinschaft mit Gott zu begründen. Es ist dann nicht problemlos selbstverständlich, daß Gemeinschaft mit Gott überhaupt möglich ist. Die Luther zugeschriebene und seine ganze Theologie charakterisierende Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ ist in dieser Nichtselbstverständlichkeit begründet.

Wenn man mit dieser Frage erneut auf die christliche Botschaft hört, ist es, wie wenn sie sich dann überhaupt erst öffnet: Erst die christliche Trinitätslehre macht verständlich, wie man die Absolutheit Gottes anerkennen und dennoch zugleich von einer wirklichen Beziehung Gottes auf die Welt und damit von unserer Gemeinschaft mit ihm sprechen kann: Gott ist der Welt mit derjenigen Liebe zugewandt, in der er von Ewigkeit als Vater den Sohn liebt. Diese Liebe ist der Heilige Geist. Die Welt ist in diese Liebe hineingeschaffen. Gottes Liebe zur Welt hat ihr Maß nicht an der Welt, sondern am Sohn. Sie kann deshalb nicht an der Welt abgelesen werden, sondern bleibt dem irdischen Auge verborgen. Aber wie kann man sie dann erkennen?

Evangelische Theologie stellt hier den Grundsatz auf: „Gott allein begegnet allein im Wort dem Glauben allein.“ Gott ist nicht selbst ein Teil der erfahrbaren Wirklichkeit. Der Sohn Gottes hat jedoch menschliche Natur angenommen, um uns in menschlichem Wort unsere Gemeinschaft mit Gott sagen zu können; und es gibt keine andere Weise, die Wahrheit dieses Wortes anzuerkennen, als den Glauben, der das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist.

Im Grunde ist dies auch der ganze Sinn der evangelischen Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben. Das entscheidende Kriterium für das, was Kirche zur Kirche macht, ist: Der christliche Glaube bezieht sich auf eine Gemeinschaft mit Gott, die nur als Anteilhaben am Gottesverhältnis Jesu und damit als Erfülltsein vom Heiligen Geist verstanden werden und an keinen irdischen Bedingungen ihr Maß haben kann. Sie kann nur durch das Wort offenbar werden.

Gerhard Ebelings kleines Buch Das Wesen des christlichen Glaubens3 stellt diese Zusammenhänge auch für nichttheologische Leser dar. Es handelt sich ursprünglich um eine Vorlesungsreihe, die der Autor im Wintersemester 1958/59 an der Universität Zürich für Hörer aller Fakultäten gehalten hat. Hinzu kommt als Anhang ein einzelner Vortrag zum Thema Wort Gottes und Sprache, der aus der gleichen Zeit stammt. 1964 erschien die erste Taschenbuchausgabe4; darin verweist Gerhard Ebeling diejenigen, die in diesem Buch eine Erörterung über das Gebet vermissen, auf seine 1963 erschienenen Predigten über das Unser-Vater. Bereits nach wenigen Jahren lag das Buch auch in englischer, französischer, holländischer, italienischer, japanischer, koreanischer und spanischer Übersetzung vor.5

Tübingen 1959.

Die in Klammern gesetzten Seitenzahlen im Haupttext beziehen sich auf dieses Werk.

5
Vgl. die Bibliographie von Gerhard Ebeling. In: EBERHARD JÜNGEL / JOHANNES WALLMANN / WILFRID WERBECK (Hg.), Verifikationen
Festschrift für Gerhard Ebeling zum 70. Geburtstag. Tübingen 1982, 527.
Das Anliegen des Buches besteht nicht darin, eine materiale Dogmatik vorzulegen. Es will vielmehr eine grundlegende Anleitung zum Verstehen des christlichen Glaubens geben. „Darum sprechen wir vom Wesen des christlichen Glaubens. Mit diesem von seiner Geschichte her recht belasteten Begriff des Wesens meinen wir vorerst nichts anderes als das, worauf es eigentlich ankommt im christlichen Glauben, das, was ihn zum christlichen Glauben macht. Das wollen wir zu erfahren und zu verstehen suchen in kritischer Unterscheidung von allem Unwesentlichen und auch von mancherlei Unwesen, das sich mit dem christlichen Glauben vermengt hat. Es handelt sich also um eine Kritik, zu der der christliche Glaube selbst anhält, – wie auch mit dem Verstehen, von dem die Rede war, das im Glauben selbst eröffnete Verstehen gemeint ist“ (15f.). Zwar hätte man auch wie Adolf von Harnack in seinen berühmten Vorlesungen an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert formulieren können „Das Wesen des Christentums“. Aber Gerhard Ebeling geht mit Recht davon aus, „daß das Christentum selbst zu allen Zeiten und an allen Orten im Glauben dasjenige gesehen hat, was sein Wesen ausmacht. Wer Christ wird, ist von jeher gefragt worden: Glaubst du? So begehen wir keine willkürliche Verengung, wenn wir von vornherein die Frage auf den christlichen Glauben ausrichten“ (18).

In jeder der einzelnen Vorlesungen wird „eines der großen Themen, die im christlichen Glauben beschlossen sind“, behandelt. Der Ausgangspunkt ist die geschichtliche Begegnungsweise des Glaubens („unser Standort in der Kirchengeschichte“) und die Heilige Schrift als die Urkunde des Glaubens. Sodann ist „von Jesus, vom Glauben an Christus, von Gott, vom Worte Gottes, vom Heiligen Geist, vom Menschen, von der Rechtfertigung, von der Liebe, von der Kirche, von der Welt, von der Anfechtung und von der Hoffnung“ (16) die Rede. Diese Themenauswahl ist nicht unter dem Gesichtspunkt getroffen, „daß nun die hauptsächlichen Gegenstände des Glaubens zur Behandlung kommen sollen. Wäre dies so, so verriete sich in diesem Plan schon eine Antwort auf die Frage nach dem Wesen des christlichen Glaubens. Danach wäre der Glaube, mit Verlaub zu sagen, ein leerer Sack, dessen Wesen es ist, als Behälter für bestimmte Gegenstände zu dienen. Enthält er die vorgeschriebenen christlichen Glaubensgegenstände, so ist er dadurch christlicher Glaube. Enthält er sie vollständig und unversehrt, so ist er rechtgläubiger, orthodoxer christlicher Glaube. Sind dagegen nur einige spärliche Gegenstände darin enthalten und dazu noch nicht in ganz korrekter Gestalt, so ist es mit solchem Glauben schlecht bestellt. Denn das Wesentliche am Glauben ist sein Inhalt. Wer es mit dem Glauben ernst nimmt, ist darauf bedacht, diesen Sack bis oben hin zu füllen und alles zu übernehmen, was notwendiger Inhalt des Glaubens ist, auch wenn er unter dieser Last schier zusammenbricht. Wer weniger gewissenhaft ist, hat es zwar leichter, aber er hat nicht die Beruhigung, in bezug auf den christlichen Glauben sein Soll erfüllt zu haben. – So etwa wird der christliche Glaube gewöhnlich verstanden. Die Frage nach seinem Wesen lautet dann genauer: Was muß man alles glauben?“ (17).

Ebeling hält diese Auffassung „für ein fürchterliches Mißverständnis, das schon unabsehbare Verwüstung angerichtet hat. So tief ist es eingefressen, daß es kaum möglich ist, sich dagegen zu wehren, ohne ebenfalls gröblich mißverstanden zu werden. Denn wenn man bestreitet, daß der Glaube eine Leistung sei, so scheint damit nur einer laxen Auffassung vom Glauben das Wort geredet zu sein. Und wenn man es ablehnt, daß der Glaube die gedankliche Aneignung unkontrollierter Aussagen sei, und man gar den Ausdruck ‚Glaubensgegenstand‘ mit einem Fragezeichen versieht, so steht man in dem Verdacht, den Glauben in Stimmung und Gefühl verschwimmen zu lassen“ (ebd.).

Wie ist der Glaube statt dessen zu verstehen? Der entscheidende Gesichtspunkt ist, daß alle einzelnen Glaubensaussagen einzig und allein das Wesen des Glaubens selbst verdeutlichen, so daß es „nur um ein Einziges“6 geht (19): Der „christliche Glaube wollte im Grunde stets so verstanden sein, daß in ihm zu wahrer Erfüllung kommt, was Glauben heißt. Darum kann das Wort ‚Glaube‘ weithin absolut, ohne erläuternden Zusatz, gebraucht werden. Und was an näheren Bestimmungen hinzugefügt werden kann, dient nur der Klarstellung dessen, was es um diesen Glauben ist, worin er Ursprung, Grund, Wirklichkeit und Leben hat. Wenn wir darum im folgenden einfach von ‚dem Glauben‘ reden, so meinen wir zwar den christlichen Glauben, doch in dem Sinne, daß er wahrer Glaube, Glaube schlechthin ist, so wie die christliche Liebe keine Sonderliebe, sondern wahre Liebe, Liebe schlechthin ist“ (18f.). Es geht also darum, daß die christlichen Glaubensaussagen sich nicht additiv zueinander verhalten, sondern immer nur Erläuterungen des einen und einzigen Grundgeheimnisses unserer Gemeinschaft mit Gott sind.

6 In der katholischen Theologie wurde dieser Gesichtspunkt besonders von KARL RAHNER, Überlegungen zur Methode der Theologie. In: DERS., Schriften zur Theologie, Bd 9.,  Zürich - Einsiedeln - Köln 1970, 79126, vertreten. Es gilt, den Glauben im Sinn einer reductio in mysterium" (113), und zwar einer reductio in unum mysterium" zu erläutern.
Die christliche Botschaft beansprucht, „Wort Gottes“, nämlich seine Selbstmitteilung in dem menschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens zu sein. Ihre einzelnen Aussagen lassen sich vollkommen darauf zurückführen, daß sie genau diesen Anspruch verständlich machen. Wie kann man überhaupt aussagen, daß Gott selbst sich uns zuwendet, wenn diese Beziehung nicht selber göttlich ist? Und wie anders kann diese Beziehung zur Erkenntnis gelangen als durch dasjenige menschliche Wort, das seinen Ursprung in der Menschwerdung des Sohnes hat? So läßt sich auch der Glaube an dieses Wort nur als Gottes Handeln an uns verstehen, welches darin besteht, daß er uns mit dem Heiligen Geist erfüllt.

Letztlich geht es in diesem Wort Gottes nur um unser Geborgensein in Gottes unbedingter Liebe: „Das ist die Macht des Glaubens, daß der Glaube kraft der Liebe Gottes über den Menschen kommt und beim Menschen bleibt, wodurch gar nichts anderes geschieht, als daß der Mensch anders dran ist Gott, der Welt und sich selbst gegenüber. Inwiefern? Man könnte einfach sagen: insofern er sich geliebt weiß. Denn Glauben kommt aus dem Geliebtwerden und geht auf im Geliebtwerden. Und ist damit nicht im Grunde alles geschehen, was überhaupt zu hoffen und zu fordern ist, also: erfüllt alle Verheißungen und erfüllt das Gesetz? In der Tat: Damit daß Glaube geschieht, ist im Grunde alles geschehen. Aber aus diesem Grunde geschieht nun sehr viel Weiteres. Denn der Glaube als Geliebtwerden ist die Befreiung von der Selbstliebe“ (131f.). Gemeint ist hier mit „Selbstliebe“, der Versuch, sich um jeden Preis selbst zu sichern. „Wer so geliebt ist, braucht sich nicht mehr selbst zu lieben, d.h. er ist frei von dieser Perversion der Liebe. Darum ist er frei zur Liebe gegenüber dem Nächsten. Aber all dies: Freiheit von der Selbstliebe, Freiheit zur Nächstenliebe, ist nur Folge, nicht Grund. Es sind Machttaten des Glaubens, nicht die Macht des Glaubens selbst. ‚Also bleibt‘, sagt Luther, ‚der Glaube der Täter, und die Liebe bleibt die Tat‘ (WA 17, 2; 98)“ (132).

Es ist nun aber notwendig, dies alles in der richtigen Reihenfolge zu bedenken. Aus der Kapitelfolge des Buches sollen Leitaussagen zitiert werden, die den gesamten Begründungszusammenhang erkennen lassen.


Im ersten Kapitel macht Ebeling darauf aufmerksam, daß es sich mit dem Glauben völlig anders verhalten könnte, als Befürworter oder Gegner gewöhnlich meinen. „Ein echtes, offenes, ehrliches, erwartungsvolles Fragen nach dem Wesen des christlichen Glaubens ist etwas Seltenes und stellt gerade für einen an das Christentum Gewöhnten eine außerordentlich schwere Zumutung dar“ (11). Ursächlich für die verbreitete Unkenntnis gegenüber dem christlichen Glauben ist nach Ebelings Auffassung in hohem Maß eine unzureichende, ungenügend durchdachte Glaubensverkündigung. Wir brauchen uns „doch nur ganz nüchtern über unsere eigenen Erfahrungen Rechenschaft zu geben, um festzustellen: Es gehört eine ziemliche Portion guten Willens dazu, angesichts des durchschnittlichen Predigtgeschehens nicht gelangweilt oder zornig, sarkastisch oder tieftraurig zu werden. Was wird landauf landab für ein Aufwand für die Verkündigung des christlichen Glaubens getrieben! Aber ist es nicht – von Ausnahmen abgesehen – die institutionell gesicherte Belanglosigkeit?“ (12f.)

Daß die Verkündigung heute eine so schwierige Aufgabe ist, liegt insbesondere daran, daß sie in der Gegenwart wie eine fremde Sprache wirkt. „Man versteht wohl die einzelnen Wörter und Sätze. Sie sind einem vielleicht sogar so sehr vertraut, daß man sich nicht mehr viel dabei denkt, jedenfalls nicht mehr zum Erstaunen und Nachdenken herausgefordert ist. Möglicherweise wird gerade das geschätzt und für ein Kriterium der Rechtgläubigkeit gehalten. Aber was das eigentlich besagt in Relation zu dem, was uns als Wirklichkeit umgibt und angeht, bleibt unverstanden“ (13). In Wirklichkeit „ist das Betroffensein (und nicht erst ein nachträgliches Berücksichtigen!) unserer eigenen Wirklichkeit Kriterium für das Verstehen dessen, worum es im christlichen Glauben geht“ (ebd.).


Ausgangspunkt aller Theologie ist, so das zweite Kapitel, die gegenwärtige Begegnung mit der christlichen Botschaft. „Zunächst ist etwas sehr Schlichtes und Grundlegendes festzustellen: Der Glaube kommt auf uns zu aus der Geschichte und nimmt uns hinein in seine Geschichte. Auch das, was wir hier tun, ist ein Teilhaben an der Geschichte des Glaubens. Denn der Glaube ist nicht so etwas wie eine angeborene Vernunftwahrheit, auf die man von sich aus verfallen und an die man sich beliebig erinnern kann. Er ist auch nicht ein rein innerliches Geschehen, das nur einen selbst in der ganz privaten Existenz anginge. Vielmehr entsteht der Glaube am Zeugnis des Glaubens. Er entsteht und besteht also in einem Geschehen der Weitergabe, der Überlieferung“ (22f.).


Für alle christlichen Konfessionen hat diese Überlieferung ihr Kriterium in der „Urkunde des Glaubens“ (Kap. III). Wie auch immer die Heilige Schrift im einzelnen zu verstehen ist, so besteht doch darin Einigkeit, daß das Entscheidende in ihr das Christuszeugnis ist (29). Dieses Kriterium wird in der Reformation durch das Prinzip sola scriptura präzisiert. Was ist damit gemeint? Es wäre „selbstverständlich Unsinn, durch das reformatorische ‚die Schrift allein‘ etwa dem Pfarrer ein gutes Gewissen zu verschaffen, kein theologisches Buch mehr anzurühren, oder dem frommen Christen ein schlechtes Gewissen einzuimpfen gegen das Lesen anderer Literatur. Vielmehr soll durch das Schriftprinzip nur dies, dies aber unbedingt ausgeschlossen sein, daß in Sachen des Glaubens ein anderes Zeugnis verbindlich sein könnte als das sich auf die Schrift berufende und somit auch der Prüfung an ihr sich unterwerfende“ (31). Stellt die Tatsache, daß die Kirche selbst den Kanon der Heiligen Schrift fixiert hat, einen Widerspruch zum Schriftprinzip dar? Es handelt sich in Wirklichkeit um ein Urteil, in dem sich die Kirche der Schrift in genau dem Sinn unterwirft, in dem sie Wort Gottes ist. Die Schrift kann aber nicht in beliebigem Sinn als Wort Gottes verstanden werden. „Die einzelne Schriftstelle muß man sagen lassen, was sie sagt; aber man komme nun nicht und gebe sie ohne weiteres als Wort Gottes aus! Denn Wort Gottes ist allein, was den im gekreuzigten Christus offenbaren Willen Gottes ansagt und mitteilt“ (38).

Das Aufregendste am reformatorischen Schriftverständnis ist nach Ebeling, daß es kritisch auch gegenüber der Schrift selbst ist. „Wenn die Gegner die Schrift gegen Christus ausspielen, konnte Luther sagen, so spielen wir Christus gegen die Schrift aus“7 (ebd.).

7
Vgl. MARTIN LUTHER, Thesen de fide (1935), WA 39,I; 47, 19f.


Nach dem Zeugnis der Schrift ist Christus selbst „der Zeuge des Glaubens“ (Kap. IV). Dies ist „die Urform des christlichen Glaubensbekenntnisses: Jesus der Christus. Damit soll gesagt sein: Jesus und Glaube gehören aufs engste zusammen. Und zwar einmal so, daß der Glaube angewiesen ist auf Jesus: Er ist Glaube an Jesus. Und darum offenbar auch so, daß dieser Jesus gewissermaßen angewiesen ist auf den Glauben: Nur der Glaube vermag ihn als den zu erkennen, als der er erkannt sein will“ (41).

Im ganzen Bereich der Geschichtsforschung gibt es „kein instruktiveres Beispiel für das Problem historisch-kritischer Methode als die Frage nach dem historischen Jesus“ (41). Die Frage ist, wie der Glaube an Jesus am historischen Jesus selbst Anhalt hat. „Hätte Jesus nicht gelebt oder würde sich der Glaube an ihn als ein Mißverständnis dessen erweisen, worum es dem historischen Jesus zu tun war, so würde offenbar dem christlichen Glauben der Boden entzogen.“ (42)

Allerdings „bereitet die Art, wie der Mensch Jesus als Gegenstand des Glaubens verkündet wird, große Schwierigkeiten, dieses historische Menschsein zusammenzureimen mit dem, was der Glaube davon aussagt. Denn es wird uns hier anscheinend zugemutet, von einem wirklichen Menschen zu halten, was aller Erfahrung von wirklichem Menschsein zuwiderläuft, als historisches Geschehen anzuerkennen, was wir in keinem sonstigen Geschichtsbericht als historisch akzeptieren könnten“ (ebd.). Das traditionelle dogmatische Christus-Bild scheint aber nicht nur das wirkliche Menschsein Jesu fraglich zu machen. „Es macht nun gerade auch das fraglich, worauf das dogmatische Christus-Bild abzielt: nämlich den Glauben an Christus. Denn dieser, wie behauptet, allerwichtigste Gegenstand des Glaubens wird zumindest für viele zum allergrößten Hindernis des Glaubens. Wie oft kann man es hören und wieviel häufiger wird es verschwiegen, daß man am christlichen Glauben scheitert, weil man nicht zu glauben vermag, was einem in bezug auf Jesus als angeblich historische Tatsachen zu glauben zugemutet wird. Und wer sich dazu aufschwingen oder wenigsten durchringen kann, scheint doch nun gerade ein Zerrbild vom Glauben abzugeben, nämlich daß der Glaube eine Leistung sei, ein Gesetz, das man zu allem anderen hinzu auch noch auf sich zu nehmen hat, ein Glauben des Unglaubwürdigen, ein Für-historisch-Halten dessen, was man nicht mit gutem Gewissen dafür halten kann. – Verhielte es sich tatsächlich so, dann wäre das die Katastrophe des christlichen Glaubens“ (43).

Mit dieser Problembeschreibung steht Gerhard Ebeling in Kontinuität zu dem Anliegen von Rudolf Bultmann und seiner Aufforderung, „mythologische Aussageweisen“ nicht-mythologisch zu interpretieren. Tatsächlich entstehen die Schwierigkeiten nur unter der Voraussetzung eines Denkens, das Gott und Welt unter den gleichen Wirklichkeitsbegriff subsumieren will und damit im Grunde einer Art „Monophysitismus“ verfällt. Für diesen wäre Gottes Handeln in der Welt innerweltlich ausweisbar und keineswegs allein dem Glauben zugänglich. Bultmann dagegen konnte sagen: „Gerade ihre Nichtausweisbarkeit sichert die christliche Verkündigung vor dem Vorwurf, Mythologie zu sein.“8 Die Bedeutung des historischen Jesus besteht gerade darin, uns in menschlichem Wort unser Aufgenommensein in die Liebe des Vaters zum Sohn zu verkünden, die an nichts Geschaffenem ihr Maß hat, so daß nicht einmal der Tod mehr die Macht hat, einen Menschen aus dem Geborgensein in der Gemeinschaft mit Gott herauszureißen (vgl. Röm 8,35–39).

8 RUDOLF BULTMANN, Neues Testament und Mythologie. In H. W. BARTSCH (Hg.), Kerygma und Mythos. Bd. 1. Hamburg-Volksdorf 1951, 48.

Gerhard Ebeling geht hier den Weg, zunächst den Quellenbefund der Evangelien in Bezug auf Jesu eigene Verkündigung von der „Herrschaft des nahen Gottes“ (49) zu erheben. „Alles, worauf die Botschaft Jesu abzielt: die Nähe der Gottesherrschaft, die Klarheit des Willens Gottes und die Einfalt der Nachfolge und damit: Freude, Freiheit und Nichtsorgen – all das ist ja nur Interpretation eines einzigen, nämlich des Rufs zum Glauben. ... Jesu Wort ist nicht trennbar von seiner Person – seine Person verstanden in eins mit dem Weg, den er ging. Sein Weg macht fragen, wie sein Wort gemeint ist. Und sein Wort erklärt, wie sein Weg gemeint ist. Darum gehört dazu sein Gemeinschafthalten mit den Zöllnern und Sündern und auch seine Krankenheilungen“ (51f.). Erst recht gehört „das Zuendegehen seines Weges dazu, die Zeugenschaft des Glaubens durchzuhalten angesichts der Anklage auf Gotteslästerung und Aufruhr, das Ja zur Nähe Gottes durchzuhalten in der Gottverlassenheit am Kreuz“ (52).


Aber wie wurde dieser Jesus als Zeuge des Glaubens zum „Grund des Glaubens“ (Kap. V)? Entscheidend ist, „daß die Auferstehung Jesu nicht in Betracht kommt als ein Glaubensgegenstand neben anderen, so daß Ostern nur dies hinzugebracht hätte, daß man zu allem sonstigen hinzu auch noch die Auferstehung Jesu zu glauben hatte. Vielmehr spricht sich im Glauben an den Auferstandenen der Glaube an Jesus schlechthin aus. Es geht nicht um etwas Zusätzliches zur Person Jesu, sondern um nichts anderes als um Jesus selbst“ (57).

Der zweifellos historische Kern des Auferstehungszeugnisses ist die Tatsache verschiedener Erscheinungserlebnisse. „Von niemandem wird berichtet, daß ihm der Auferstandene erschienen sei, ohne daß er eben dadurch zum Zeugen der Auferstehung geworden wäre. Freilich ist in jedem Fall vorausgesetzt ein Kennen Jesu und damit ein Angegangensein von der Frage nach dem Glauben. Das gilt auch für Paulus. Insofern war das Erkennen des Auferstandenen nichts anderes als ein Wiedererkennen. Es ging nicht um Mitteilung besonderer und zusätzlicher Offenbarungen, sondern allein um das Offenbarwerden Jesu selbst. Er trat in Erscheinung als der, der er wirklich war, nämlich als Zeuge des Glaubens. Man erkennt aber den Zeugen des Glaubens nur, indem  man ihm, selbst glaubend, sein Zeugnis abnimmt. Das Erscheinen Jesu und das Zum-Glauben-Kommen dessen, dem die Erscheinung zuteil wurde, war darum ein und dasselbe“ (63).

In diesen Erscheinungen vollzog sich dasjenige Erkennen Jesu, das für das weitere Verkündigungsgeschehen konstitutiv war. „Man ginge nun aber doch völlig fehl, wenn man dies so erklärte, daß jenen ersten Zeugen das Glauben durch einen wunderbaren Vorgang erleichtert worden sei, während die andern sich mit dem bloßen Glauben begnügen mußten. Das liefe groteskerweise darauf hinaus, daß diejenigen, die als erste den Glauben predigten, selbst nicht darauf angewiesen waren zu glauben, sondern durch das Sehen vom Glauben dispensiert waren. Vielmehr handelt es sich um ein glaubendes Sehen“ (64).

Der Glaube an die Auferstehung ist der Glaube an die Gottessohnschaft Jesu angesichts des Todes, und es geht darin um die Anteilhabe des Glaubenden am Verhältnis Jesu zu Gott. „Was heißt ‚Auferstehung von den Toten‘? Die beste Verständnishilfe dafür ist der Rat: alle Vorstellungen, was denn das eigentlich heiße ‚Auferstehung von den Toten‘, völlig abzulegen. Daß Jesus auferstanden ist von den Toten, heißt keinesfalls, daß er in dieses irdische Leben zurückgekehrt ist als einer, der den Tod noch einmal vor sich hat. Sondern es heißt, daß er, der Tote, den Tod, wohlbemerkt nicht nur das Sterben, sondern den Tod, endgültig hinter sich hat und endgültig bei Gott ist, und eben darum gerade hier in diesem irdischen Leben anwesend ist. Was Auferstehung von den Toten heißt, wird man darum nur verstehen können, wenn man ahnt, was Gott heißt“ (66).


Der Frage nach der Bedeutung des Wortes „Gott“ ist das sechste Kapitel „Die Wahrheit des Glaubens“ gewidmet. Schlechthin alles, was der Glaube zu sagen hat, hängt in seiner Wahrheit an Gott. „Die Aussage, daß Gott sei, oder, wie man gewöhnlich in lässiger und unbedachter Redeweise sagt: daß es einen Gott gibt, ist nicht etwa eine für sich alleinstehende Wahrheit, zu der sich dann andere, in ihrer Wahrheit ebenfalls selbständige Glaubenswahrheiten hinzufinden können. Vielmehr besteht hier ein notwendiger, unauflöslicher Zusammenhang. Alle Glaubensaussagen hängen mit ihrer Wahrheit an dem einen, daß Gott ist. Und sofern sie nicht mit Gott selbst stehen und fallen, erweisen sie sich als nicht notwendige Glaubensaussagen, damit aber strenggenommen als solche, die gar nicht Glaubensaussagen sind“ (71).

Aber wie können wir heute ohne die Evidenz von Gottesbeweisen und ohne die selbstverständliche Voraussetzung religiöser Bedürfnisse verständlich und verbindlich von Gott reden? Was „das Wort ‚Gott‘ meint“ kann „zunächst überhaupt nur als Frage aufgewiesen werden..., nämlich als Hinweis auf die jeden Menschen als Menschen angehende radikale Fraglichkeit. ... Die Art und Weise dieser den Menschen treffenden radikalen Fraglichkeit kann näher bestimmt werden als Erfahrung von Passivität“ (77).

Dies bedeutet erneut eine tiefgehende Infragestellung des üblichen Vorverständnisses. In späteren Schriften klärt Gerhard Ebeling noch deutlicher den Unterschied dieser Sicht sowohl zu einer Metaphysik, in der sich der Mensch ausgehend von seiner Selbstgewissheit Gottes versichern will, als auch zu einem Fideismus, in dem man die Bedeutung des Wortes „Gott“ nicht mehr gegenüber dem Nichtglaubenden vertreten kann. Er entgeht beiden Weisen, Gott letztlich vom Menschen abhängig zu machen, durch eine „relationale Ontologie“9. Das Sein der Welt geht restlos in einer vollständigen Abhängigkeit auf, so daß „die Relation der Welt zu Gott nicht etwas, was zur Wirklichkeit der Welt hinzukommt, sondern dasjenige ist, was die Wirklichkeit der Welt in Wahrheit ist“10.

9 GERHARD EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens. Bd. 1. Tübingen 1979, 215f.

10 DERS., Wort und Glaube. Bd. 1. Tübingen 1960, 241.

Von Gott sprechen heißt dann, die eigene Geschöpflichkeit anzuerkennen. Ich selbst sage dafür: In allem, worin wir uns vom Nichts unterscheiden, sind wir nichts als ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“, so daß wir von Gott immer nur das von ihm Verschiedene begreifen, das auf ihn verweist. Dieser Sachverhalt kann an der Widerspruchsproblematik aller weltlichen Wirklichkeit, die immer eine Einheit von Gegensätzen darstellt, verifiziert werden. Die Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit läßt sich auch als die Alternative zu jeder Form von Weltvergötterung oder Verzweiflung an der Welt erläutern.11

11 DERS., Was heißt ein Gott haben oder was ist Gott" Bemerkungen zu Luters Auslegung des ersten Gebots im Großen Katechismus. In: DERS., Wort und Glaube. Bd 2. Beiträge zur Fundamentaltheologie und zur Rede von Gott. Tübingen 1969, 287304.

Die Rede von Gott hat ihren eigentlichen Anhaltspunkt in der christlichen Botschaft selbst, die sich als „die Mitteilung des Glaubens“ versteht (Kap. VII). Dieses Stichwort „will verdeutlichen, was es heißt, daß Gott als Wort begegnet“.

„Die Wendung ‚Mitteilung des Glaubens‘ meint darum nicht bloß Mitteilung über den Glauben, Belehrung über Gedankeninhalte, die den Glauben betreffen, sondern will besagen, daß im Geschehen des Wortes der Glaube mitgeteilt, zugesprochen wird. Der Inhalt des Wortes und die Erfüllung des Wortes, sein Zum-Ziel-Kommen, sind somit ein und dasselbe. Von solchem Wort gilt: Es tut, was es sagt. Es erfüllt, was es verspricht. Im Blick auf das Beieinander von Glaube und Gott formuliert: Es geht nicht bloß um eine Mitteilung über Gott, sondern um ein Teilgewinnen, um ein Partizipieren an Gott selbst, also um ein Geschehen, in dem Gott zur Mitteilung kommt“ (82).

„Wären wir genötigt, das Reden vom Worte Gottes für eine uneigentliche, strenggenommen unangemessene Redeweise zu halten, so wäre die christliche Weise, vom Glauben zu reden, überhaupt in Frage gestellt. Denn das Wesen des christlichen Glaubens hängt allerdings daran, daß im Wort Gott selbst zu Worte kommt.“ (85) Vielmehr geht es darum, daß Gottes Wort von vornherein in der Gestalt menschlichen Wortes begegnet: Es ist die Selbstmitteilung Gottes in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens, und in diesem Wort kommt in völliger Klarheit zum Ausdruck, was Gott uns zu sagen hat, nämlich unser Geborgensein in der Liebe des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist. „Darum wird aber diese Verkündigung des Wortes Gottes auch die ganze den Menschen angehende Wirklichkeit mit zur Sprache bringen. Sie wird, um Verkündigung des Evangeliums zu sein und das Evangelium verständlich und verbindlich zu verkündigen, zugleich das Gesetz zur Sprache bringen, durch das der Mensch schon immer, vor aller Predigt des Evangeliums, angegangen ist von Gott. Erst in dieser Beziehung von Gesetz und Evangelium ist Gottes Wort verständlich und verbindlich“ (89).

In katholische Terminologie übersetzt soll damit gesagt sein, daß die Rede von Gottes „Gnade“ (das „Evangelium“) nur verständlich ist unter Voraussetzung der Rede von der „Natur“, nämlich unserem Geschaffensein: Wir sind von vornherein durch die gesamte geschaffene Wirklichkeit in unserem Gewissen beansprucht („Gesetz“). Das Gesetz besteht in der Forderung, nicht unmenschlich, sondern menschlich zu handeln. Das Evangelium befreit uns aus der Macht der Angst um uns selbst, die sonst daran hindert, diesem Gesetz gerecht zu werden, unter dem jeder Mensch von vornherein steht.


Kap. VIII entfaltet, daß der Glaube an das Evangelium selber das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist. Der Heilige Geist ist „der Mut des Glaubens“ (90). „Der Geist ist nicht als etwas anderes und Höheres verheißen neben dem Wort, sondern das Wort Gottes, als Evangelium verstanden, ist die Mitteilung des Glaubens, die insofern wirklich Mitteilung des Glaubens ist, als sie Mitteilung des Heiligen Geistes ist. Denn Gott hat seinen Geist ins Wort gegeben, um durch das Wort den Geist zu geben“ (100).


„Das Ich des Glaubens“ (Kap. IX) ist der Mensch. Wahre Gotteserkenntnis hat es nicht mit Gott an sich zu tun, sondern mit dem „für uns und mit uns seienden Gott“. Deshalb kann nichts geglaubt werden, worin es nicht um das Heil des Menschen selbst geht. Damit entspricht Ebeling vollkommen dem Sinn der Forderung nach existentialer Interpretation der christlichen Botschaft. Der Glaube „ist etwas, was jeden Menschen als Menschen betrifft, wozu er gerufen ist aus keinem andern Grund als dem, daß er Mensch ist und um dieses Menschseins willen“ (103f.). Glauben bedeutet, aus der Macht der Sorge um sich selber befreit zu werden (108).


Unter dem Titel „die Wirklichkeit des Glaubens“ (Kap. X) behandelt Gerhard Ebeling sodann die „sogenannte Rechtfertigungslehre“ (114). „Der Glaube ist wirklich nur als rechtfertigender Glaube. Glaube, der nicht rechtfertigender Glaube wäre, wäre bloß eingebildeter, imitierter, scheinbarer Glaube. Alles Reden vom Glauben verfehlt die Wirklichkeit des Glaubens, wenn es nicht davon bestimmt ist und daran sein Kriterium hat, daß der Glaube rechtfertigender Glaube ist“ und „daß allein der Glaube rechtfertigt“ (ebd.). Dabei will „die Rechtfertigung als die Wirklichkeit des Glaubens als etwas erfaßt sein, was von öffentlicher Bedeutung ist und die Welt im ganzen betrifft“ (116). Mit der Rechtfertigung allein aus Glauben ist gemeint, daß es keinen anderen Zugang zur Gemeinschaft mit Gott gibt als den Glauben an eine Liebe Gottes, die ihr Maß nicht an den Werken des Menschen haben kann, sondern allein am Sohn Gottes.

Wozu bedarf es der ausdrücklichen Rechtfertigungslehre? „Ihre Funktion ist primär eine kritische. ...da es zum Wesen des Glaubens gehört, daß er den, der glaubt, nach dem Maß seiner Anlagen und Fähigkeiten, aus einem unmündigen zu einem mündigen Menschen macht, geht es nach dem Maß seiner Anlagen und Fähigkeiten auch jeden Glaubenden an, Klarheit zu gewinnen über das Wesen des Glaubens, urteilsfähig zu werden über die Reinheit dessen, was Wirklichkeit des Glaubens heißt. Darum gehört die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben in das Zentrum dessen, was in dieser Vorlesungsreihe zur Behandlung kommt.“ (120f.)

Von hier aus läßt sich vielleicht verstehen, warum evangelische Theologie sich nicht damit zufrieden geben kann, die Rechtfertigungslehre als nur ein Kriterium unter anderen für das rechte Verständnis des Glaubens anzusehen. Daß wir aus Glauben allein gerechtfertigt werden, ist vielmehr das Kriterium schlechthin und tatsächlich der „articulus stantis et cadentis Ecclesiae“. Man kann die Kirchlichkeit des Glaubens nicht gegen diese Lehre ausspielen.


Letztlich geht es in all dem um „die Macht des Glaubens“ (Kap. XI). Man kann von Gott nicht reden, „ohne ihm die Macht über alle Macht zuzuerkennen“ (128), dies aber nicht im Sinn einer bloß potentiellen Allmacht, sondern in dem Sinn, daß er ausnahmslos in überhaupt allem mächtig ist, was tatsächlich geschieht, und deshalb auch in dem Sinn, daß uns aus der Gemeinschaft mit ihm keine Macht der Welt herausreißen kann (vgl. Röm 8,35–39).


Kap. XII handelt von der Kirche als „dem Aufgebot des Glaubens“. „Vom Glauben hat schlechthin nichts verstanden, wer nicht versteht, wozu es denn überhaupt der Kirche bedarf. ... Da, wo es um den Glauben geht, geht es um das Aufgebot, das von Jesus her in seinem Namen im Gange ist. Man kann nicht glauben, ohne sich diesem Aufgebot zu stellen. Denn glauben und teilnehmen an dem Werke Gottes, das sein Werk an allen Menschen ist, ist ein und dasselbe. Wäre das Aufgebot nicht schon vor uns im Gang gewesen, hätte uns der Ruf zum Glauben nicht erreicht. Und der Ruf zum Glauben hätte uns gar nicht erreicht, wenn nicht das Aufgebot zum Glauben eben durch uns weiterginge. Ohne zu diesem Aufgebot zu gehören, kann der Glaube nicht Glaube sein“ (142).

Die Kirche ist das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Glaubens. Wichtig für das Verständnis von Kirche ist, daß sie nicht der nachträgliche Zusammenschluß einzelner Gläubiger ist, sondern daß sie es ist, welche die Gläubigen gebiert. Es wäre auch „ganz irrig, wenn sich die Meinung einschliche, diese Gemeinde Christi sei ursprünglich und eigentlich nur die jeweilige konkrete Einzelgemeinde, während dann erst in späterer Entwicklung der Blick aufs Ganze, auf den Zusammenschluß zu einer höheren Einheit gerichtet wurde. Im Gegenteil: Der Gesichtspunkt des Ganzen, unteilbar Einen ist im Begriff von ekklesia das Primäre, wenn auch nicht im Sinne einer Organisation, sondern einer neuen Schöpfung“ (136).


Der „Ort des Glaubens“ (Kap. XIII) ist jedoch nicht die Kirche, sondern unsere geschichtliche Welt. „Der Glaube bejaht die Welt als Schöpfung Gottes“ (149).


Dieser Glaube kann nur als „durchzuhaltender Glaube“ (Kap. XIV), „weil er bedrohter Glaube ist, als in Frage gestellter Glaube, als angefochtener Glaube“ existieren (156). Das Bedrohtsein und Infragegestelltsein gehört zum Wesen des Glaubens. „Glaube ohne Anfechtung ist toter Glaube. Lebendiger Glaube ist Glaube in Anfechtung“ (156).


Im abschließenden Kapitel XV „Die Zukunft des Glaubens“ macht Gerhard Ebeling eine Aussage, die gut als eine Kurzformel des Glaubens stehen könnte: „...auch in seinen höchsten Möglichkeiten vermag der Mensch nicht mit seiner Zukunft dem andern wahre Zukunft, und das heißt: Heil, zuzusagen. Das vermag nur das Wort, durch das Gott zum Menschen kommt und sich ihm zusagt. Daß dieses Wort geschehen ist und darum auch weitersagbar ist, daß also ein Mensch dem andern Gott zuzusagen vermag als den, der sich darin selbst zusagt, das ist Gewißheit des christlichen Glaubens“ (186). „Daß dieses Wort geschehen ist“ bedeutet die Zusammenfassung der ganzen Christologie; „daß es darum auch weitersagbar ist“, faßt den Existenzgrund der Kirche zusammen.


Als katholischer Theologe kann ich der Sichtweise Gerhard Ebelings nur voll zustimmen. Weit davon entfernt, gegenüber der katholischen Lehre eine Verkürzung zu sein, bedeutet sie eine heilsame Präzisierung aufgrund einer Hermeneutik, die auf unsere Zeit eingeht. Als eine konsequente „Wort-Gottes-Theologie“ stellt sie vor allem heraus, daß alle einzelnen Glaubensausagen nur die Erläuterung des einen und einzigen Glaubensgeheimnisses der Selbstmitteilung Gottes in seinem Wort und unseres Geborgenseins in der Gemeinschaft mit Gott sind. Dieses Geheimnis Gottes wird allein durch das Wort dem Glauben allein offenbar.



Primärliteratur von Gerhard Ebeling


Wort und Glaube. Bd. 1. Tübingen 1960.
Darin: Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode für die protestantische Theologie und Kirche (1–49), Die nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe (90–160), Jesus und Glaube (203–254), Die Frage nach dem historischen Jesus und das Problem der Christologie (300–318), Elementare Besinnung auf verantwortliches Reden von Gott (349–371), Weltliches Reden von Gott (372–380), Diskussionsthesen für eine Vorlesung zur Einführung in das Studium der Theologie (447–457).
Wort und Glaube. Bd. 2: Beiträge zur Fundamentaltheologie und zur Lehre von Gott. Tübingen 1969.
Darin: Was heißt ein Gott haben oder was ist Gott – Bemerkungen zu Luthers Auslegung des ersten Gebots im Großen Katechismus (287–304), Die Botschaft von Gott an das Zeitalter des Atheismus (372–395), Gott und Wort (396–432).
Wort und Glaube. Bd. 3. Beiträge zur Fundamentaltheologie, Soteriologie und Ekklesiologie. Tübingen 1975.
Darin: Theologie in den Gegensätzen des Lebens (3–23), Erwägungen zu einer evangelischen Fundamentaltheologie (377–419), Der Lebensbezug des Glaubens – Über die verworrene Lage der Theologie (529–539).

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