Letzte Aktualisierung: 16. Dezember  2009, PK

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Peter Knauer SJ


Zusammenfassung:
Nach der christlichen Botschaft muss alle Rede von Gott berücksichtigen, dass Gott nicht »unter« Begriffe fällt. Gott ist »ohne wen nichts ist«. Nur im Sinn dieses Satzes, der eine einseitige Relation der Welt auf Gott aussagt, kann man Gott »die alles bestimmende Wirklichkeit« nennen. Man kann für die Rede von Gott die Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit nicht hinter sich lassen. Die Welt wird nicht durch Gott, sondern durch ihre Geschöpflichkeit erklärt. Es gibt keinen Gott und Welt gleichsam diffus übergreifenden Seinsbegriff, sondern die Analogie der Welt Gott gegenüber ist einseitig gerichtet. Es ist nicht möglich, von Gott her neue Aussagen über die Welt zu deduzieren.

Summary:
According to the Christian message, all talk of God must take in account, that God is "incomprehensible". God is to be defined as "whithout whom nothing is". Only in the sense of this sentence, which is based on a unilateral relation of the world towards God, can the affirmation that God "is the all determining reality" be accepted. We only speak really of God acknowledging our being created. The world is explained not by God but by its being created. Thus there is no common concept of being, diffusely overlapping God and the world. The analogy of the world towards God is unilaterally directed. We cannot deduce from God new insights about the world.

Erschienen in:
ZKTh 124 (2002) 312–325.


Eine Alternative zu der Begriffsbildung

»Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit«


Es gibt angesehene, ja berühmte Theologen, die Gott als »die alles bestimmende Wirklichkeit« bestimmen wollen. In einer sprachanalytischen »kennzeichnungs(theo)logischen Übung« hat G. Siegwart kürzlich gezeigt, dass zumindest die von ihm behandelten Verständnismöglichkeiten dieser Definition eine »Bedeutungslücke« offen lassen.1 Deren Füllung erklärt er als eine »semantische Bringschuld« der Theologen.2 Im folgenden soll begründet werden, dass die Definition selbst in dieser Form kaum aufrechtzuerhalten ist und ersetzt werden sollte durch: Gott ist »ohne wen nichts ist«.

1 Geo Siegwart, Ist Gott die alles bestimmende Wirklichkeit? Eine kennzeichnungs(theo)logi­sche Übung, in: ZKTh 123 (2001) 377–401. Vgl. auch ders., »Et hoc dicimus Deum« – Eine definitionstheoretische Betrachtung zu SthIq2a3, in: Friedo Ricken (Hrsg.), Klassische Gottes­beweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie, Stuttgart / Berlin / Köln, 2. durchgesehene und erweiterte Auflage 1998, 85–108.

2
Siegwart (2001), 396.

G. Siegwart versteht die von ihm behandelte Definition Gottes zunächst in einem Sinn, dass die Frage nach diesem Gott formal, also von der inhaltlichen Füllung des Begriffs abgesehen, mit der Frage verglichen werden könnte, »ob Perla die alles waschende Waschmaschine ist«3 (391). Erst danach komme es auf die »theologischen« bzw. »plystologischen« Eigenausdrücke an.4

3 Ebd., 391.

4 Ebd.; als Parallelbildung zu »theologisch« möchte mir Siegwarts Begriff »plystologisch« als Ironisierung eines gängigen Verständnisses von Theologie erscheinen; es ist von πλύνειν (= waschen) abgeleitet.

Aber bereits die Meinung, dass sich Sätze in bezug auf Gott abgesehen von der inhaltlichen Bedeutung des Wortes »Gott« und nur formal betrachtet sinnvoll analysieren lassen, scheint mir zu verkennen, dass die christliche Botschaft mit »Gott« eine Wirklichkeit meint, die von vornherein weder formal noch material »unter« unsere Begriffe fällt.

Es soll weiter unten eigens gezeigt werden, dass dieser Hinweis auf die von der christlichen Tradition immer gelehrte »Unbegreiflichkeit« nicht mit der von Siegwart mit Recht als bloß »populäres Dictum«5 qualifizierten theologischen Ausflucht identisch ist, dass man Gott nicht »definieren« könne.

5 Ebd., 399.

Ob alle Theologen, welche die genannte Gottesdefinition verwenden, sie so meinen, wie es Siegwart vorauszusetzen scheint, mag dahingestellt bleiben.6 Zumindest dürfte es sich tatsächlich um eine höchst problematische Begriffsbildung handeln. Sie steht im Widerspruch dazu, dass in den Religionen Gott als größer denn alles, was wir denken können, verehrt wird.

6 SIEGWART selbst lässt es offen, ob es noch andere Verstehensweisen gibt. Er schreibt aber in Fn. 17 (S.397): »Pannenberg: [Wissenschaftstheorie und] Theologie [Frankfurt/Main 1973], S. 304, weist daraufhin, daß Rudolf Bultmann diese Definition 1925 als allgemein angenommen betrachtet und in seinem Aufsatz ›Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?‹ daher ›ohne weitere Erörterung‹ von ihr ausgeht. Pannenberg selbst übernimmt und verteidigt dieses Ver­ständnis (vgl. ebd. v. a. S. 303–305).« Man wird davon ausgehen können, dass sich Siegwart am ehesten auf Pannenbergs Verständnis des Begriffs bezieht, weil dieser im Unterschied zu Bultmann ausdrücklich von Gott her die Welt zu denken versucht: »Erst auf dem Boden eines philosophisch ausgewiesenen Gottesgedankens lässt sich plausibel machen, daß die Welt und ihre tiefste Eigenart mitsamt der Menschheit als Schöpfung zu verstehen ist, und erst unter dieser Voraussetzung gibt es dann gute Gründe dafür, daß Gott in der Geschichte der Welt und der Menschheit fortgesetzt handelt.« (Wolfhart Pannenberg, Eine philosophisch-histori­sche Hermeneutik des Christentums, in: Peter Neuner / Harald Wagner (Hrsg.), In Verantwor­tung für den Glauben. Beiträge zur Fundamentaltheologie und Ökumenik (Festschrift Heinrich Fries), Freiburg - Basel - Wien 1992, 35-46, die Stelle: 40). Faktisch subsumiert Pannenberg Gott und Welt unter denselben Seinsbegriff und scheint damit Gott als Systembestandteil zu verstehen. Gottes Handeln in der Welt wird damit als welthaft ausweisbar gedacht und die Wahrheit des Glaubens als abgesehen vom Glauben bereits mit der Vernunft erkennbar.


1. Wie kann man Gott als unbegreiflich aussagen und doch von ihm sprechen?

Die ausdrückliche Frage nach dem Gott der christlichen Botschaft stellt sich erst, wenn man dieser Botschaft und ihrer Behauptung, »Wort Gottes« zu sein, begegnet. Zuerst ist dann zu fragen, wer denn dieser Gott überhaupt sein soll. Es wäre bereits ein schwerer, alles verunklarender Fehler in der Reihenfolge des Denkens, wollte man statt dessen zuerst fragen, ob es ihn denn tatsächlich gebe.

Die Antwort auf die Frage, wer Gott sein soll, muss sich von vornherein mit einer Schwierigkeit auseinandersetzen. Die christliche Botschaft hat von ihrem Gott stets behauptet, dass er nicht unter Begriffe falle.7 Damit wird nicht etwa nur eine vollkommene Begreifbarkeit Gottes bestritten. Es verhält sich nicht so, als würde man wie von einem riesigen Mosaik nur das eine oder andere Steinchen erfassen können. Vielmehr bedeutet die traditionelle Behauptung der Unbegreiflichkeit Gottes, dass er in gar keiner Weise unter Begriffe fällt. Dies heißt jedoch keineswegs, er sei somit unerkennbar.

7 Vgl. z. B. Ps 147,5; Röm 11,34f; DH 800 (IV. Laterankonzil) und DH 3001 (I. Vatikanum).

Die christliche Botschaft selbst bietet eine Antwort auf die Frage, wie man trotz seiner angeblichen Unbegreiflichkeit überhaupt von Gott sprechen kann: Wir begreifen von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, das auf ihn verweist. Gott ist, »ohne wen nichts ist«.

Von Gott kann nur so die Rede sein, dass wir uns und die ganze Welt als »aus dem Nichts geschaffen verstehen«. Dabei bedeutet »aus dem Nichts« dasselbe wie »restlos«, »total«, nämlich »in jeder Hinsicht, in der etwas sich vom Nichts unterscheidet«. Das Wort »restlos« meint immer die jeweilige konkrete Wirklichkeit. Das Geschaffensein eines Baumes besteht darin, dass er dieser konkrete Baum mit allen seinen Eigenschaften ist. Das Geschaffensein eines Menschen besteht in seinem Menschsein und allem, was es umfasst. Die Behauptung lautet: Könnten wir unser Geschaffensein aufheben, bliebe nichts von uns übrig.

»Geschaffensein« ist immer als »aus dem Nichts Geschaffensein« zu verste­hen; und »aus dem Nichts Geschaffensein bedeutet«, dass die so charakterisierte Wirklichkeit in einem »restlosen Bezogensen auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...« aufgeht. Die Pünktchen in diesem Ausdruck stehen für ein Woraufhin, das wir »Gott« nennen; es lässt sich jedoch auf keine andere Weise bestimmen als eben durch die Behauptung, dass nichts anderes ohne es sein kann.

Weil der Ausdruck »aus dem Nichts« dieselbe Bedeutung wie »total«, »restlos« hat, erfordert er nicht, dass wir uns eigens »das Nichts« vorstellen müssten. Es ist auch nicht gemeint, dass nur vor einem angeblichen Urknall nichts war. Vielmehr soll es um die Welt in jedem Augenblick ihrer Existenz gehen. Auch von der heutigen Welt und allen ihren Bestandteilen ist zu sagen, dass sie »aus dem Nichts geschaffen« sei. Dies schließt innerweltliche Zusammenhänge keineswegs aus, sondern umfasst sie. »Aus dem Nichts Geschaffensein« ist also so radikal und umfassend zu verstehen, dass es nicht einmal sinnvoll wäre, diesen Begriff etwa noch durch den einer »creatio continua« ergänzen zu wollen. Er umfasst bereits von sich aus auch die gesamte Kontinuität der Welt. Wir sagen von überhaupt allem, was es in der Welt gibt, es sei aus dem Nichts geschaffen. Selbst ein Volkswagen, von dem wir sehr wohl wissen, dass er aus einer Fabrik kommt und aus den verschiedensten vorgegebenen Materialien hergestellt wurde, ist solcherart, dass er in allem, worin er sich vom Nichts unterscheidet, ohne Gott nicht wäre. Ließe sich die gesamte Ordnung der Welt als das Ergebnis eines riesigen Zufallsspiels erklären, wäre auch dies alles noch immer als »aus dem Nichts geschaffen« auszusagen.

Der Ausdruck »aus dem Nichts Geschaffensein« setzt auch nicht voraus, dass man zuvor bereits wisse, wer Gott ist. Wenn der Ausdruck vielmehr bedeutet, dass die Welt in ihrem ganzen eigenen Sein und zu jeder Zeit völlig in einem »restlosen Bezogensein auf ...  / in restloser Verschiedenheit von ...« aufgeht, dann ist die Beziehung auf dieses Woraufhin nicht solcher Art, dass man erst das Wor­aufhin kennen muss, um dann die Beziehung darauf auszusagen. Vielmehr ist die Beziehung von vornherein bereits dadurch voll bestimmt, dass alles Wirkliche in seiner ganzen Konkretheit vollkommen in ihr aufgeht.

Wir wissen also nicht erst, wer Gott ist, um dann zu sagen, er sei der Schöpfer der Welt. Man kann nur umgekehrt aufgrund der Einsicht in unser Geschaffensein, also in ein Bezogensein auf ein Woraufhin, ohne das unsere ganze eigene Wirklichkeit nicht sein kann, von Gott als dem Woraufhin dieser Beziehung sprechen. Von seiner Existenz zu sprechen ist nur so möglich, dass man anerkennt, die eigene Existenz ihm zu verdanken. Dies kann man nicht hinter sich lassen.

Wenn man die Welt und sich selbst als in einem restlosen Bezogensein aufgehend versteht, ist es nicht zugleich sinnvoll möglich, das Woraufhin dieser Beziehung mit dem Nichts in eins fallen zu lassen. Denn ein Bezogensein auf nichts wäre gar kein Bezogensein. Andererseits aber kennen wir dieses Woraufhin nur durch unser Bezogensein auf es, und diese Kenntnis besteht in nichts anderem als darin, unser restloses Bezogensein anzuerkennen.

Mit dem Begriff des restlosen Bezogenseins ist hier gemeint, dass etwas völlig darin aufgeht, »nicht sein zu können ohne ...«. Dies sei an einem Kontrast erläutert. Die Bedeutung des Wortes »mein« geht darin auf, das Bezogensein auf ein »Ich« auszusagen. Aber wenn irgendeine Sache mit meinem Tod aufhört, »meine« zu sein, bleibt doch die Sache selbst übrig. Wenn aber das »restlose Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...« aller weltlichen Wirklichkeit aufgeho­ben werden könnte, bliebe überhaupt nichts von der betreffenden Wirklichkeit übrig.

Mit der Rede von einem »Geschaffensein aus dem Nichts« wird eine relationale Ontologie begründet, nach welcher es Relation nicht nur als etwas zur einer Substanz hinzukommendes und sie in ihrer Selbständigkeit Einschränkendes gibt. Allen solchen Relationen liegt vielmehr noch eine andere Weise der Relation zu Grunde. Geschaffensein ist eine die Substanz des Geschaffenen selber konstituierende und damit »subsistierende« Relation. Die Substanz der Welt wird Gott ge­genüber als in Relation auf ihn aufgehend verstanden. Die christliche Botschaft bringt dieses neue Vorverständnis mit sich. Es ist meines Erachtens nicht möglich, der christlichen Botschaft innerhalb eines anderen Vorverständnisses, das nur der Substanz nachgeordnete Relationen kennt, gerecht zu werden. Denn bereits der Ausdruck »aus dem Nichts Geschaffensein« lässt sich nur in einer relationalen Ontologie wirklich verstehen. Und ohne die Anerkennung unseres Geschaffen­seins verlieren alle anderen Aussagen in bezug auf Gott jeden Sinn.

 
2. Die Welt wird nicht durch Gott, sondern durch ihr Geschaffensein erklärt

Wie kann man also von einem Gott sprechen, von dem behauptet wird, dass er nicht unter unsere Begriffe falle? Wir sagen von uns und der ganzen Welt, dass nichts ohne ihn sein kann. Wir können unser Geschaffensein nicht gleichsam hinter uns lassen, indem wir von unserem Geschaffensein auf Gott schließen, sondern wir müssen immer sozusagen auf dem Teppich unseres Geschaffenseins bleiben. Es gibt keinen »Aufschwung« zu Gott.

Die Rede von Gott hat nicht die Struktur eines Schlusses von A auf B oder gar nur die Struktur einer aus A abgeleiteten Hypothese B, die dann erst anderweitig zu bewahrheiten wäre; vielmehr besteht sie letztlich gerade und nur darin, dass wir uns selber als geschaffen anerkennen und deshalb auch nur hinweisend, analog von Gott sprechen können. Solche analoge Rede ist allerdings nicht dasselbe wie vage, ungenaue Rede, sondern stellt sogar den vollkommensten Gebrauch unserer Sprache dar.

Es bleibt sprachanalytisch dabei, dass Gott in sich nicht unter Begriffe fällt, und dass wir trotzdem nicht in undeutlichen Chiffren von ihm reden: Wir sprechen richtig von ihm, wenn wir sagen, dass wir völlig darin aufgehen, ohne ihn gar nicht sein zu können. Gott ist in diesem Verständnis: »ohne wen nichts ist«. Dies ist eine »Definition« Gottes, die seine Unbegreiflichkeit wahrt und doch nicht auf Ausflüchte hinausläuft.


4. Geschaffensein als Vernunftgegenstand

Die Behauptung der christlichen Botschaft lautet, wir seien in genau dem Maß geschaffen, in dem wir sind. Wenn unser Sein Gegenstand der Vernunft sein sollte, dann müsste damit auch unser Geschaffensein mit der Vernunft erkannt werden können.8 Geschaffensein als solches könnte dann kein Glaubensgegen­stand sein. Glaubensgegenstand ist erst unsere Gemeinschaft mit Gott. Denn das bloße Geschaffensein als solches reicht weder zur Erkenntnis noch zur Begründung unserer Gemeinschaft mit Gott aus. Keine geschaffene Qualität kann Gemeinschaft mit Gott begründen. Gemeinschaft mit Gott kommt erst dadurch zustande, dass die Welt in die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn aufgenom­men wird. Diese Liebe hat nicht ihr Maß an der Welt und kann deshalb auch nicht an der Welt abgelesen werden. Zu Ihrer Erkenntnis bedarf man des Wortes Gottes.

8 Dem entspricht die Forderung des I. Vatikanums, es müsse möglich sein, aufgrund der Ge­schöpflichkeit der Welt Gott mit der natürlichen Vernunft zu erkennen (vgl. DH 3004).

Im Glaubensbekenntnis heißt es: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde«. Der erste Satzteil bedeutet die Hingabe des Herzens an Gott als den uns liebevoll zugewandten Vater; aber dieser Gott wird im zweiten Satzteil als der in allem Mächtige, nämlich als der Schöpfer aller Wirklichkeit identifiziert. Dadurch wird die Glaubensaussage von einer freischwebenden Aussage unterschieden und mit unserer Erfahrungswirklichkeit verbunden. Man könnte den Satz so wiedergeben: »Ich glaube an Gott, der der Schöpfer der Welt ist«. Aber man sollte nicht sagen: »Ich glaube, dass Gott der Schöpfer der Welt ist.« Denn dass Gott der Schöpfer der Welt ist, muss aus den genannten Gründen eine Vernunftaussage sein. Wenn sich nach DH 3015 Glaubens- und Vernunftaussagen nicht nur in der Erkenntnisweise, sondern auch im Gegenstand unterscheiden, dann ist es auch unmöglich, dass Geschaffensein zugleich Vernunft- und Glaubensgegenstand sei.

Erst im Glauben geht es um Gottes Selbstmitteilung, die aber unser Geschaffensein als unser Verschiedensein von ihm voraussetzt. »Voraussetzen« ist hier nicht im zeitlichen, sondern im sachlichen Sinn gemeint. Denn wir sind nach der christlichen Botschaft von vornherein in die Liebe des Vaters zum Sohn hineingeschaffen. Die nachträgliche, notwendig geschichtliche Offenbarung besteht darin, dass uns unsere wahre Wirklichkeit von Anfang an erst jetzt auch zur Kenntnis kommt. Durch die Menschwerdung des Sohnes wird Gottes Liebe zu uns nicht größer als zuvor, sondern sie wird offenbar in ihrer Unüberbietbarkeit von Anfang an.

Unser Geschaffensein ist also Vernunftaussage, und nur das »in Christus« unseres Geschaffenseins ist Glaubensaussage. Unser Geschaffensein und damit die Existenz Gottes werden mit der Vernunft erkannt.

Man kann jedoch keinen eigentlichen »Gottesbeweis« führen, weil dies der Behauptung der Unbegreiflichkeit des zu beweisenden Gottes widersprechen würde. Es gibt keine Gott und Welt übergreifenden Denkprinzipien, die es erlauben würden, Gott zum Gegenstand eines Schlussverfahrens zu machen. Wohl aber muss es möglich sein, einen Geschöpflichkeitsbeweis zu führen. Aus einem Geschöpflichkeitsbeweis folgt die Existenz Gottes nicht »analytisch« im sonst in der Logik üblichen Sinn dieses Wortes, sondern sie kann vom Geschöpflichkeits­beweis her nur analog, nämlich hinweisend ausgesagt werden. Auch das Wort »Existenz« kann in bezug auf Gott nur »hinweisend« gebraucht werden.

Es handelt sich also tatsächlich nicht um eine Art logischen Schlusses auf Gott. Wir schließen nicht von der Welt auf Gott, sondern nur von der Welt auf ihre Geschöpflichkeit, und darüber hinaus können wir nichts schließen. In der Aussage, Gott sei, »ohne wen nichts ist« bleibt es dabei, dass wir immer nur das von Gott Verschiedene begreifen, das auf ihn verweist.

Die Anerkennung unserer Geschöpflichkeit ist so etwas wie eine logische Endstation. Aus der Geschöpflichkeit als solcher kann man keine weiteren Schlüsse ziehen, weil es sich bereits um die umfassendste Aussage über die Welt handelt. Aber die Anerkennung unserer Geschöpflichkeit ist in sich selbst zugleich bereits hinweisende Rede in Bezug auf Gott.

Der Inhalt der dann durchaus berechtigten Aussage, dass Gott existiere, geht nicht über die Aussage hinaus, dass wir ohne ihn nicht wären. Das Wort »existieren« wird in dieser Aussage in Bezug auf Gott analog auf Grund dessen gebraucht, dass wir ohne ihn nicht »existieren« würden. Wegen des auch formal betrachtet analogen Gebrauchs des Wortes »existieren« lässt sich der Satz »Gott existiert« nicht auch abgesehen von seiner Herkunft sinnvoll formal analysieren. Die selbst nur hinweisend gewonnene Aussage, dass Gott existiere, ist kein mög­licher Ausgangspunkt für irgendwelche logischen Schlüsse.

Wie kann man Geschöpflichkeit beweisen? Angenommen, die Welt wäre letztlich »restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...«, wie es in der Behauptung unseres Geschaffenseins aus dem Nichts impliziert ist. Dann müsste sie in sich selbst Einheit von Gegensätzen sein. Dem »restlosen Bezogen­sein auf ... / in Verschiedenheit von ...« müsste die Einheit von Positivität und Negativität in der Welt entsprechen. Dem »restlosen Bezogensein auf ... / in Ver­schiedenheit von ...« müsste die Einheit von Positivität und Negativität in der Welt entsprechen. Dem problemlosen Miteinander von »restlosem Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...« müsste die Einheit von Positivität und Negativität entsprechen. Und so stellt die Welt sich tatsächlich dar: als ein Zugleich von Gegensätzen. Zum Beispiel lässt sich Veränderung nur als ein Zu­gleich von Identität und Nichtidentität bestimmen: Eine sich verändernde Wirklich­keit bleibt dieselbe und ist doch nicht ganz dieselbe. Die Gegensätze bestehen zugleich und lassen sich nicht voneinander isolieren. Ihre Einheit lässt sich anders als logisch widersprüchlich nur durch die Angabe zweier verschiedener Hinsichten beschreiben, die sich nicht wiederum gegenseitig ausschließen. Letztlich findet man solche Hinsichten nur im Begriff des »restlosen Bezogenseins auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...«. In dieser Einsicht besteht der Geschöpflichkeitsbeweis.

Dann wird aber die Welt gerade nicht durch Gott, sondern durch ihre Geschöpflichkeit erklärt, nämlich eben durch die Aussage ihres »restlosen Bezogenseins auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...«. Allein durch diese Aussage ist es möglich, weltliche Wirklichkeit in ihrer Einheit von Gegensätzen definitiv lo­gisch widerspruchsfrei zu beschreiben.

Man kann jedoch nicht die Erklärung der Welt durch ihre Geschöpflichkeit in die Erklärung der Welt durch Gott überführen. »Durch ihre Geschöpflichkeit erklären« könnte nur dann dasselbe wie »durch Gott erklären« sein, wenn Geschöpflichkeit und Gott ein und dasselbe wären.

4. Der unaufhebbar analoge Charakter der Rede von Gott

Durch die Einführung des so verstandenen Wortes Gott (Gott ist »ohne wen nichts ist«) wird die Illusion aufgebrochen, es könne nur das geben und man könne nur das erkennen, was »unter« Begriffe fällt. Diese Illusion ist sozusagen die Spur der Erbsünde im menschlichen Denken. Sie wirkt sich in dem Versuch eines Herrschaftsdenkens aus, als stünde man mit dem eigenen Denken noch über Gott und Welt. Dieser Illusion scheinen diejenigen sogenannten »Gottesbeweise« zu erliegen, bei denen die Existenz Gottes durch vermeintlich Gott und Welt noch übergreifende Denkprinzipien erschlossen werden soll.

Mir ist einmal der Einwand begegnet, es sei doch viel zu wenig, Gott nur als den aussagen zu wollen, »ohne den nichts ist«. Aber dieser Einwand ist nur möglich, solange der Gehalt dieser Aussage und damit ihre Unüberbietbarkeit nicht erkannt wird. Es ist seit Anselm von Canterbury eine theologische Grundregel, des Aussagen in bezug auf Gott nur dann wahr sein können, wenn sie nicht stei­gerungsfähig sind.

Die analoge Rede von Gott wird bereits von Augustinus so erläutert: »Du also, Herr, hast Himmel und Erde erschaffen, der du schön bist – denn sie sind schön; der du gut bist – denn sie sind gut; der du bist – denn sie sind [= via affirmati­va]. Doch sind sie nicht in der Weise schön und sind nicht in der Weise gut und nicht in der Weise sind sie, wie du, ihr Schöpfer [= via negativa], mit dem ver­glichen sie weder schön sind noch gut sind noch sind [= via eminentiae].«9 Hier wird nicht aus einer Schönheit Gottes auf die Schönheit der Welt geschlossen, sondern die Schönheit der Welt wird als Hinweis auf die übergroße Schönheit Gottes verstanden.

9 Augustinus, Bekenntnisse, 11. Buch, Kap. 6, Nr. 4.

Das Bezogensein der Welt auf Gott begründet die via affirmativa der Analogielehre: Alle Positivität der Welt verweist auf eine unser Begreifen übersteigende Positivität Gottes. Das Verschiedensein der Welt von Gott begründet die via nega­tiva: Alle Begrenzung und Endlichkeit der Welt ist in Bezug auf Gott zu verneinen. Die via eminentiae der Analogielehre ist darin begründet, dass zwar die Welt auf Gott bezogen ist, aber nicht ihrerseits konstituierender Terminus einer Beziehung Gottes auf sie sein kann. Die via eminentiae ist nicht bereits damit gegeben, dass man die affirmativen Aussagen ins Unendliche steigert; dies ist immer noch nur via affirmativa und via negativa, die aber ohne die via eminentiae missverstanden bleiben, weil Gott dann als eine Projektion verstanden würde, die dann natürlich durchaus noch immer unter unsere Begriffe fiele. Vielmehr geht es in der via emi­nentiae um die Bestreitung jeder Ähnlichkeit in der Richtung von Gott zur Welt.10 Dies ist nur in einer relationalen Ontologie verständlich, wonach Geschöpflichkeit eine die Substanz der Welt konstituierende Relation der Welt auf Gott ist. Die Welt ist in ihrer »Ähnlichkeit« mit Gott ihm zugleich »unähnlich«. Gott seiner­seits ist der Welt nur »unähnlich«.11

10 W. Kasper, Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 127, beschreibt die Analogielehre anders und, wie mir scheint, ungenau: »Die via affirmationis geht von dem positiven Zusammenhang aus zwischen dem Endlichen und Unendlichen, der sich aus der Schöpfung ergibt; und sie erkennt Gott aus seinen Wirkungen in der Welt. Die via negationis negiert den endlichen Modus unse­rer Aussageweise und der Verwirklichung der Vollkommenheiten im endlichen Bereich. Die via eminentiae schließlich sagt, daß diese endlichen Vollkommenheiten Gott in höherem Maß, in sublimerer Weise, ja in schlechterdings überbietender (eminenter) Weise zukommen. Wir erken­nen darin von Gott mehr, was er nicht ist, als was er ist; wir erkennen, daß wir ihn nicht er­kennen können. Doch immerhin: Wir erkennen dieses unser Nichterkennen. Es handelt sich nicht um eine schlichte ignorantia, sondern um eine docta ignorantia, ein wissendes Nichtwis­sen.« Hier scheint die via eminentiae in die via affirmativa und die via negativa eingeebnet zu werden. Es wird nicht deutlich gesehen, dass bereits die via affirmativa Gott unendliche Voll­kommenheit zuschreibt; so gelingt es nicht, das auch demgegenüber noch Neue der via emi­nentiae herauszuarbeiten. Es ist auch eine unzutreffende Formulierung, dass Gott »endliche Vollkommenheiten in höherem Maß« zukommen; ihm kommen überhaupt keine endlichen Vollkommenheiten zu.

11 Deshalb kann das IV. Laterankonzil formulieren: »Denn zwischen Schöpfer und Geschöpf kann keine Ähnlichkeit ausgesagt werden, ohne das zwischen ihnen eine noch größere Unähnlich­keit auszusagen wäre.« (DH 806) Es ist fraglich, ob dies zutreffend interpretiert wird, wenn Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem, n. 8, schreibt: »Wenn Gott von sich spricht, – sei es ›durch die Propheten‹, sei es ›durch den Sohn‹ (vgl. Hebr 1,1.2), der Mensch geworden ist – spricht er in menschlicher Sprache, gebraucht er menschliche Begriffe und Bilder. Wenn diese Ausdrucksweise von einem gewissen Anthropomorphismus gekenn­zeichnet ist, hat das seinen Grund darin, daß der Mensch Gott ›ähnlich‹ ist: geschaffen nach seinem Bild und Gleichnis. Dann ist auch Gott in gewissem Maße ›dem Menschen ähnlich‹ und kann eben auf Grund dieser Ähnlichkeit von den Menschen erkannt werden. Zugleich aber ist die Sprache der Bibel klar genug, um die Grenzen dieser ›Ähnlichkeit‹, die Grenzen der ›Analo­gie‹ anzuzeigen. Tatsächlich sagt die biblische Offenbarung, daß zwar die ›Ähnlichkeit‹ des Menschen mit Gott, aber noch wesentlicher die ›Nicht-Ähnlichkeit‹ zutrifft, welche die ganze Schöpfung vom Schöpfer trennt.« Doch ist weder Gott dem Geschöpf ähnlich noch hat die Analogie (die nicht auf die via affirmativa eingeschränkt werden darf, sondern alle drei viae umfasst) Grenzen noch ist die Schöpfung vom Schöpfer getrennt; sie ist von ihm nur unterschieden, also in keiner Weise mit ihm identisch; aber als auf ihn bezogen ist sie mit ihm verbunden und gerade nicht von ihm getrennt.

Die Analogie der Welt zu Gott ist also einseitig gerichtet; es handelt sich nicht um eine Art diffus übergreifenden gemeinsamen Seinsbegriffs. Auch der Seinsbegriff kann Gott gegenüber nur hinweisend gebraucht werden. Er bedeutet dann nur die Enfaltung der Aussage, dass wir unser Sein ganz und gar ihm verdanken. Selbst die bloße Aussage, dass Gott existiert, ist bereits hinweisende, eben analo­ge Rede.

Die Einseitigkeit der Analogie unterscheidet unser Gottesverständnis von einer Projektion. Bei einer Projektion müsste die Ähnlichkeit wechselseitig sein. Man kann Gott nicht in der Weise einer Projektion denken, von der dann nur noch zusätzlich nachgewiesen werden muss, dass ihr eine Realität entspreche. Von einem projizierten Gott könnte man nicht sagen, dass er gar nicht »unter« unsere Begriffe falle.

Bereits Anselm von Canterbury hat darauf hingewiesen, dass Gott nicht nur als eine Wirklichkeit zu verstehen ist, der gegenüber nichts noch Größeres gedacht werden kann, sondern die größer ist als alles, was wir denken können.12 Nach Anselm sind auch Gott und Welt zusammen nicht mehr als Gott; und dies ist eine Aussage über die Welt als völlig in einem »restlosen Bezogensein auf Gott in restloser Verschiedenheit von ihm« aufgehend«. Anselms Gotteslehre wird gewöhnlich so gedeutet, als wolle er aus dem Begriff Gottes seine Existenz ableiten. Aber in Wirklichkeit deduziert Anselm nicht aus dem Gottesbegriff die Existenz Gottes, da er ja selber Gott als unbegreiflich erklärt. Vielmehr besteht sein Gottesverständnis in nichts anderem als der Anerkennung der Geschöpflichkeit der Welt.13

12 »Und zwar glauben wir, dass du etwas bist, im Vergleich zu dem nichts Größeres gedacht werden kann. Und gewiss, im Vergleich zu dem nichts Größeres gedacht werden kann, das kann nicht nur im Intellekt sein.« (Proslogion 2) »Deshalb, Herr, bist du nicht nur, quo maius cogitari nequit, im Vergleich zu dem nichts Größeres gedacht werden kann, sondern du bist Größeres, als gedacht werden kann.« (Proslogion 15)

13 Darauf hat bereits Robert Sokolowski, The God of Faith and Reason – Foundations of Christi­an Theology, Notre Dame 1978, 8–12 aufmerksam gemacht; vgl. auch Yves Cattin, La preu­ve de Dieu – Introduction a une lecture du Proslogion d'Anselm de Canterbury, Paris 1986.

Gott ist »ohne wen nichts ist«. Dies ist auf der einen Seite der leerste Gottesbegriff, weil er vollkommen die Unbegreiflichkeit Gottes wahrt. Er kann nicht dazu dienen, Gott wenigstens – wie es manchmal heißt – »ein Stück weit« zu begreifen. Auf der anderen Seite ist es aber auch der gefüllteste Gottesbegriff, denn er ist mit der gesamten Wirklichkeit unserer Welt gefüllt, damit man überhaupt rich­tig von Gott spricht.14

14 Vgl. Friedrich Hölderlin: »O daß das Herz mir nie altere, daß der Freuden, daß der Gedanken, der Lebenszeichen keines mir unwert werde ..., denn alle brauchet das Herz, damit es Unaus­sprechliches nenne.« (Zitiert bei Gerhard Ebeling, Einführung in theologische Sprachlehre, Tübingen 1971, XV).

5. Warum man aus dem Gottesbegriff nichts deduzieren kann

Thomas von Aquin schreibt: »Da Gott außerhalb der gesamten Ordnung des Geschaffenen steht und alle Geschöpfe auf ihn hingeordnet sind, nicht aber umgekehrt, so ist manifest, daß die Geschöpfe sich real auf Gott selbst beziehen. Aber in Gott gibt es keinerlei reale Relation von ihm auf die Geschöpfe, sondern nur eine gedachte (secundum rationem tantum) Relation, insofern nämlich die Geschöpfe sich auf ihn beziehen.«15 Thomas will damit die Absolutheit Gottes wahren. Deshalb erklärt er, dass die Relation der Geschöpfe auf ihn einseitig sei. Gott könne nicht als abhängig von irgendeinem Geschöpf gedacht werden. Denn kein Geschöpf kann konstituierender Terminus einer Relation Gottes auf es sein.

15 Summa theologica I q13 a7 c.

Damit werden nicht die Möglichkeiten Gottes eingeschränkt, sondern es werden nur einer zügellosen, spazierflüchtigen Phantasie des Menschen Grenzen gesetzt. Gott ist nicht »allmächtig« in dem bloß potentiellen Sinn dieser Phantasie, dass er Beliebiges können müsste (nur wüsste man dann nie, ob er es auch tatsächlich will). Vielmehr erweist sich Gott als »mächtig in allem«, was tatsächlich geschieht, einschließlich des Leides und des Todes. Dies ist eine aktuale Allmacht.

Eine Relation Gottes auf die Welt lässt sich nach Thomas nur als eine Relation zwischen unserem hinweisenden Begriff von Gott und unserem Begriff von der Welt, also selbst nur als eine begriffliche Relation verstehen; ihr Fundament in der Realität ist allein die einseitige reale Relation der Welt auf Gott. Von Gott kann man nicht wie von einem Bestandteil der Welt als des Bereichs der Wechselwir­kungen sprechen.

Thomas erklärt, dass man von Relationen Gottes auf die Welt nur insofern sprechen könne, als die Welt real auf ihn bezogen sei; ferner, dass es in Gott keine solchen Relationen als reale geben könne, die von einem geschaffenen Terminus abhängen; und es könne solche Relationen Gottes auf die Welt erst recht nicht außerhalb Gottes geben.16

16 Vgl. Summa contra Gentiles, II, c. 11–13.

Diese Aussagen von Thomas haben eine sprachanalytische Intention. Sie kritisieren die spontane Vorstellung, die genau entgegengesetzt liefe und letztlich auch in der Formulierung »Gott ist die alles bestimmende Wirklichkeit« zum Ausdruck zu kommen scheint. Die von der Sprache her sich aufdrängende spontane Vorstellung macht Gott zum Ausgangspunkt; weil er real etwas unternimmt, entsteht die Welt. Und wir können dann logisch von der Welt wieder auf Gott zurückschließen. Dann wäre das Schöpfungshandeln Gottes in Bezug auf die Welt die reale Beziehung, und unser Zurückschließen von der Welt auf Gott wäre die nur gedachte Relation. Natürlich wird ebenso auch die andere noch näher liegende spontane Vorstellung kritisiert, in der man aufgrund der Tatsache, dass die Welt als der Bereich der Wechselwirkungen erfahren und beschrieben wird, unbesehen auch das Verhältnis von Welt und Gott als Wechselwirkung auffassen will.

Der Satz, Gott sei »ohne wen nichts ist«, lässt sich nach dem Gesagten nicht ohne weiteres in den Satz umformen, Gott sei »die alles bestimmende Wirklichkeit«. Denn der erste Satz geht ausdrücklich von der Welt aus und erklärt sie als völlig in einem Bezogensein auf eine Wirklichkeit aufgehend, die nur so definiert werden kann, dass alles auf sie verweist. Der zweite Satz dagegen erweckt den Eindruck, als würde man von Gott her denken; er wird zumindest falsch verstanden, wenn man dies im Sinn einer realen Relation Gottes auf »alles« versteht. Er lässt sich nur retten, wenn man ihn im Sinn der soeben dargelegten Erläuterung von Thomas von Aquin in seinem ganzen Gehalt auf den ersten Satz als auf sein einziges fundamentum in re zurückführt. Aber dann tut man besser, von vornherein nur mit dem ersten Satz zu arbeiten.

Auch die Argumentation des Thomas macht trotz allem noch immer den Eindruck, als wolle er mit der Absolutheit Gottes argumentieren: »Da Gott außerhalb der gesamten Ordnung des Geschaffenen steht ...«. Aber wenn Gott nicht unter unsere Begriffe fällt, dann auch nicht seine Absolutheit. Da man auch von ihr nur aufsteigend hinweisend sprechen kann, kann man grundsätzlich nichts aus ihr deduzieren oder begründen, auch nicht, dass die Relation der Welt auf Gott einseitig sein müsse. Es ist nicht möglich, Gott oder auch nur den Satz »Gott existiert« zum Ausgangspunkt oder auch nur Bestandteil einer Argumentationskette zu machen. Man muss deshalb immer dabei bleiben, nur von der Welt her zu argumentieren. Dass die Relation der Welt auf Gott einseitig sei, muss man von daher begründen, dass die Welt völlig in dieser Relation aufgeht und dass ohne Anerkennung dieser Tatsache das Widerspruchsproblem einer Einheit von Gegensätzen, das von aller weltlichen Wirklichkeit gestellt wird, nicht beantwortet werden kann.

Gott ist »ohne wen nichts ist«. Das hier neben dem Wort Gott stehende Wort »ist« wird in einseitig hinweisender Analogie von der Welt her gleichsam in obliquo in Bezug auf Gott gebraucht, während das am Schluss vor den abschließenden Anführungsstrichen stehende Wort »ist« in recto auf alle weltlichen Wirklichkeiten zutrifft.

Zwar kommt auch den verschiedensten weltlichen Wirklichkeiten untereinander Sein nicht in einfachhin univokem Sinn zu, sondern es gibt hier eine wechselseitige Analogie zwischen ihnen. Einem Baum kommt Sein in anderer Weise zu als einem Menschen; der Seinsbegriff ist dabei nicht eine Art höchstes Genus, sondern umfasst auch alle spezifischen Differenzen. Er kann nicht abstrakt, sondern nur konkret gebraucht werden. Aber diese innerweltliche, wechselseitige Analogie ist eine andere als die einseitige Analogie der Welt Gott gegenüber. Letzterer entspricht keine Analogie Gottes zur Welt.

Es gibt somit keine Möglichkeit, aus der Aussage, Gott sei »ohne wen nichts ist«, Rückschlüsse auf die Welt zu ziehen. Aufgrund der Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott würde solchen Rückschlüssen jede ontologische Grundlage abgehen. Die Aussage, Gott sei »ohne wen nichts ist«, hält zwar jede logische Prüfung aus, eignet sich aber nicht zu irgendeiner Form von Konsequenzenmacherei. Zum Beispiel ist die Theodizeeproblematik, wie Gott dies oder jenes zulassen könne, damit aus den Angeln gehoben; in der christlichen Botschaft fragt und beantwortet man statt dessen, wie und warum man im Glauben mit dem Leid anders umgehen kann, als dass man verzweifeln müsste.

Wie kann man also von der Welt her argumentieren? Die Behauptung, die Welt könne konstituierender Terminus einer Relation Gottes auf sie sein, liefe darauf hinaus, ihr Aus-dem-Nichts-Geschaffensein nachträglich zu bestreiten. Dies und nicht die Absolutheit Gottes, die ja gar nicht unter unsere Begriffe fallen kann, ist der argumentative Grund, weshalb die Relation der Welt auf Gott als vollkommen einseitig ausgesagt werden muss.

Gewöhnlich will allerdings auch heutige Theologie von einer einseitigen realen Relation des Geschaffenen auf Gott um gar keinen Preis etwas wissen. Bereits der bloße Gedanke daran stößt nach meiner Erfahrung fast immer, wenn nicht auf völliges Unverständnis, dann auf Entrüstung und Abschottung. Ist es nicht vollkommen selbstverständlich, dass man von einer Relation von A auf B auf eine Relation von B auf A schließen kann? Tatsächlich stehen alle innerweltlichen Sachverhalte in einer wechselseitigen Beziehung und damit Abhängigkeit. Aber die Meinung, dass auch Gott in den Bereich der Wechselbeziehungen gehöre, ist doch damit gerade noch nicht begründet. Sie geht von einem ungeprüften Vorverständnis aus, in welchem man der christlichen Botschaft nicht gerecht werden kann.

Ein ähnlicher Einwand gegen die Rede von der einseitigen Beziehung der Welt auf Gott besteht in der Behauptung, dass damit das Gott-Welt-Verhältnis gleichsam halbiert werde, also auf die Beziehung der Welt auf Gott »verkürzt« werde. Nur verkennt dieser Einwand, dass »aus dem Nichts Geschaffensein« bedeutet, dass die Welt so völlig in ihrer einseitigen Beziehung auf Gott aufgeht, dass es sich um eine die Substanz der Welt konstituierende und nicht etwa nur zu ihr hinzukommende Beziehung handelt. Es geht hier um eine mit der ganzen Wirklichkeit der Welt »gefüllte« Relation; sie lässt sich gar nicht als unvollständig verstehen. Die Pointe einer relationalen Ontologie besteht gerade darin, zu bestreiten, dass es nur zur Substanz hinzukommende Relationen geben könne.

Wieder ein anderer Einwand lautet, man könne es doch Gott nicht verbieten, sich auf die Weise auf die Welt zu beziehen, wie er es wolle. Aber auch dieses vermeintlich fromme und demütige Argument übersieht, dass man damit nichts anderes tut, als das eigene Aus-dem-Nichts-Geschaffensein nachträglich zu bestreiten. Denn dieses wird nur dann anerkannt, wenn es völlig ausgeschlossen bleibt, dass ein Geschöpf seinerseits konstituierender Terminus einer Relation Gottes auf es sein könne.

Viele Theologen halten es für die größte Selbstverständlichkeit der Welt und bereits für eine Vernunfteinsicht, dass Gott seiner Schöpfung zugewandt sei und jederzeit in sie eingreifen könne. Aber zum einen ist ja die Welt von vornherein ganz in Gottes Hand. Die übliche Rede von einem Eingreifen Gottes scheint genau dies zu verkennen, indem sie unbesehen voraussetzt, dass die Welt zunächst unabhängig von Gott ihren eigenen Lauf geht. Er müsste dann eigens in sie eingreifen, um etwas von sich abhängig zu machen. Zum anderen: Es gibt keinen größeren Einwand gegen die Rede von Wort Gottes und von Gemeinschaft mit Gott als gerade die Bedeutung des Wortes »Gott« selber, als die Anerkennung der Transzendenz Gottes. Gott wohnt nach der christlichen Botschaft »in unzugäng­lichem Licht« (1 Tim 6,2). »Niemand hat ihn je gesehen.« (Joh 1,18) Gott kann nicht als Systembestandteil der Welt ausgesagt werden.

So kann es auch keine »Gotteserfahrungen« geben. Es ist zunächst höchst unselbstverständlich, dass wir überhaupt von einer Gemeinschaft mit Gott reden können. Dies ist auch das der ganzen Rechtfertigungslehre zu Grunde liegende Problem: »Wie kriege ich einen gnädigen Gott«, wenn keine geschaffene Qualität ausreichen kann, Gemeinschaft mit Gott zu begründen?

Die Antwort der christlichen Botschaft auf dieses Problem lautet, dass eine reale Beziehung Gottes auf die Welt nur dann ausgesagt werden kann, wenn diese Relation selbst Gott ist und nicht die Welt das für sie konstituierende Woraufhin ist. Die Welt wird vielmehr als in eine Liebe Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn, aufgenommen ausgesagt; diese Liebe ist Gott, der Heilige Geist. Diese reale Beziehung Gottes auf die Welt ist vorgängig dazu eine Beziehung Gottes auf Gott, die selber Gott ist. Nicht die Welt ist das diese Beziehung konstituierende Woraufhin, sondern das diese Beziehung konstituierende Woraufhin ist Gott. Eine solche Liebe Gottes hat nicht an der Welt ihr Maß und kann deshalb auch nicht an ihr abgelesen werden. Um sie zu erkennen, bedarf es der christlichen Botschaft, die sich auf Jesus als den menschgewordenen Sohn Gottes beruft. Seine Gottes­sohnschaft kann nur in einem Glauben erkannt werden, der selber das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist (vgl. 1 Kor 12,3). Aber wenn es im Glauben um eine verlässliche Gemeinschaft mit Gott als dem in allem Mächtigen geht, dann bedeutet dies, dass keine Macht der Welt, nicht einmal der Tod, von dieser Gemeinschaft mit ihm trennen kann. Man muss dann nicht mehr aus der Angst um sich selber leben, die sonst der Grund aller Unmenschlichkeit ist. Im Glauben geht es um eine Selbstmitteilung Gottes, die unteilbar und ganz ist; sie lässt keine unterschiedlichen Grade zu. Diese Einsicht liegt auch allem christlichen Ökumenismus zugrunde und lässt den Glauben, wo immer er überhaupt besteht, als völlig ein und denselben erkennen.



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