Letzte Aktualisierung: 26. September  2015, PK


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PETER KNAUER SJ

 

HERMENEUTISCHE FUNDAMENTALTHEOLOGIE

 

DER GLAUBENSTRAKTAT DES HUGO VON ST. VIKTOR



Erschienen in:
Testimonium vertitati – Philosophisch-theologische Studien zu kirchlichen Fragen der Gegenwart, hrsg. v. H. Wolter, FThSt 7, Frankfurt 1971, 67–80.



     Die gegenwärtige Glaubenskrise macht es notwendig, von neuem nach dem Wesen des christlichen Glaubens zu fragen. Was hat der christliche Glaube zu sagen? Selbst wer das Entscheidende am Christentum in der christlichen Praxis sieht, ist auf diese Frage zurückverwiesen. Denn der Glaube will als die Freiheit zum rechten Handeln verstanden sein. Nur aus Glauben kann man die aus der eigenen Vergänglichkeit resul­tierende Angst um sich selbst, die die Wurzel allen Egoismus und aller Unverantwort­lichkeit ist, relativieren.

Der christliche Glaube beruft sich darauf, daß Gott zu uns spricht. Aber was ist unter einem »Wort Gottes« überhaupt zu verstehen? »Wort« ist von vornherein und grundsätzlich menschliches Wort, das von einem Menschen zum anderen und in menschlicher Sprache geschieht. Wie kann ein Mensch von Gott angesprochen werden. wenn das Wesen des Wortes darin besteht, daß es einem nur von einem Menschen gesagt werden kann? Klingt nicht die Verbindung von »Gott« und »Wort« zu »Wort Gottes« wie ein Widerspruch in sich selbst? In der Tat ist die Rede von einem »Wort Gottes« nicht weniger paradox als die von einer Menschwerdung Gottes, ohne die es nach der christlichen Verkündigung kein Wort Gottes im strengen Sinn gibt (auch das Alte Testament läßt sich nur vom Neuen her als wirkliches Wort Gottes, nämlich als das Wort der Selbstmitteilung Gottes, interpretieren). – Man kann auch umgekehrt fragen: Was ist unter »Gott« zu verstehen, wenn die Gemeinschaft mit ihm so sehr eine Sache des Wortes sein soll, daß sie nur dem Glauben selbst, in dem man sie sich gesagt sein läßt, zugänglich ist? Es gibt keine dringlichere Aufgabe für die Theologie. als elementar nach der Bedeutung von »Wort Gottes« zu fragen. Was heißt »Wort Gottes« im Unterschied zu der törichten Vorstellung, daß irgendein welthaft vorge­stelltes jenseitiges Wesen Kommunikation mit uns aufnimmt?

Zu einer Verantwortung des Glaubens ist es erforderlich, »Wort Gottes« begründet von bloßem Menschenwort zu unterscheiden und es gerade so dennoch als ganz und gar menschliches Wort verständlich zu machen. Die bloße Behauptung der schlechthinnigen Andersartigkeit des Wortes Gottes und damit die Trennung von Wort Gottes und menschlichem Wort liefe auf die Verweigerung einer Verantwortung des Glaubens hinaus. Die Parole des Fideismus, »das muß man eben glauben«, liefert den Glauben der Unverständlichkeit aus und hebt sich im übrigen angesichts der Vielzahl von mit­einander unvereinbaren Offenbarungsansprüchen selbst auf. Der Versuch des Ratio­nalismus dagegen, den Glauben mit irdischen Gründen zu stützen, bedeutet eine Ver­mischung von Wort Gottes und menschlichem Wort, die den Glauben auf bloße Weltanschauung reduziert und ihn deshalb nicht als Glauben, als Erfülltsein vom Heiligen Geist, verantworten kann. Statt zu trennen oder zu vermischen, geht es wie in der Christologie darum, unterscheidend in Beziehung zu setzen.

Die traditionelle Fundamentaltheologie erweckt jedoch auf weite Strecken den Ein<68>druck eines heillosen Kompromisses zwischen Fideismus und Rationalismus. Rationa­listisch ist ihr Versuch eines positiven Beweises der Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens: Das wirkliche Ergangensein einer als solcher erkennbaren göttlichen Offen­barung könne im voraus zur Glaubenszustimmung von der bloßen Vernunft festgestellt werden. Die Offenbarung lasse sich mit Hilfe der »Wunder« beweisen, die als Ausnahme von den Naturgesetzen das Eingreifen einer »höheren Macht« dokumentieren. In dieser Sicht werden die Wunder ganz im Sinn der jüdischen Zeichenforderung inter­pretiert. In Wirklichkeit wird die Tatsache einer göttlichen Offenbarung, also daß das Wort der christlichen Verkündigung wirklich das Wort Gottes ist, nur im Glauben erkannt. Ein über die restlose Abhängigkeit alles Geschaffenen von Gott hinausgehendes besonderes Verhältnis zu ihm läßt sich nicht wie ein partikuläres weltliches Phänomen konstatieren. Die Selbstmitteilung Gottes an sein Geschöpf, um die allein es in seinem Wort gehen kann, ist nur dem Glauben als solche erkennbar.

Fideistisch wiederum ist in der klassischen Fundamentaltheologie die Auffassung, daß jene Glaubwürdigkeitserkenntnis zur Ermöglichung des »Sprunges« in den Glau­ben nicht ausreicht. Sie führt nur bis zu einem Punkt, der noch immer durch einen schmalen, aber um so tieferen Graben vom Glauben getrennt ist. Jetzt auf einmal beruft man sich auf eine nicht vor der Vernunft zu verantwortende »Gnade«. Wieder ist ein­zuwenden, daß mit der zum Glauben notwendigen Gnade keine zusätzliche seelische Kraftzufuhr gemeint ist, sondern die Tatsache, daß wir überhaupt nur deshalb zu glau­ben vermögen, weil Gott von Anfang an bei uns ist. Die Meinung, vor Gott zunächst auf sich allein gestellt zu sein und aus eigener Machtvollkommenheit glauben zu sollen, ist von vornherein Illusion. Deshalb will der Glaube gerade in seiner Übernatürlichkeit vor der Vernunft verantwortet werden. Demgegenüber widerspricht die klassisch« Fundamentaltheologie durch ihren Fideismus dem Wesen von Verantwortung und durch ihren Rationalismus dem Wesen von Glauben.

  Wirkliche Verantwortung des Glaubens muß eine Alternative sowohl zum Rationalismus wie zum Fideismus darstellen, die auch nicht die Struktur eines Kompromisse zwischen diesen beiden Mißverständnissen aufweist. Es bedarf dazu einer hermeneutischen Besinnung auf den Anspruch der christlichen Verkündigung, »Wort Gottes« zu sein. Es ist nicht nach einer zusätzlichen äußeren Begründung für ein als selbstverständlich vorausgesetztes »Wort Gottes« zu fragen, sondern nach den inneren Bedingungen dafür, daß man die christliche Verkündigung überhaupt als Wort Gottes verstehen kann.
 

Ein frühes Beispiel für eine solche hermeneutische Fundamentaltheologie, wie sie uns heute wieder zur Aufgabe geworden ist, findet sich in den Schriften Hugos von St. Viktor (†1141). Sein Gesamtwerk ist durch eine pädagogische Zielsetzung geprägt, die das Verhältnis von profaner Bildung und christlicher Frömmigkeit methodisch zu reflektieren versucht. In seinem Verständnis profaner Bildung kann man Hugo von St. Viktor als einen Vorläufer des modernen technischen Humanismus bezeichnen1 während er sich theologisch an der Geschichtlichkeit des

1 Vgl. R. Baron, Hugues et Richard de Saint-Victor, Introduction et choix de textes, Paris 1962, 27.

christlichen Glaubens orientiert und auch darin einem heutigen Grundanliegen entspricht. Sein Glaubenstrakt findet sich als relativ abgeschlossene Einheit2  

2 PL 176. 324C–344A. Wir zitieren nach der Ausgabe von 1854; der Neudruck von 1880 differiert in der Pagination jeweils um einige Zeilen und weist sehr viele Druckfehler auf.

innerhalb seines großen systematischen <69> Werkes De sacramentis christianae fidei (Die Heilsgeheimnisse des christlichen Glau­bens).



/. Die Korrelation von Gott, Wort und Glaube

Hugo von St. Viktor geht wie die ganze mittelalterliche Theologie von der denkwürdi­gen »Definition« des Glaubens in Hebr 11,1 aus: »Est autem fides sperandarum substantia rerum, argumentum non apparentium.« Er verschärft diese Wesensbestimmung sogleich, indem er sie auf ihre Ausschließlichkeit hin interpretiert: Es geht im Glauben um das, was nicht mit der menschlichen Vernunft zu begreifen ist, sondern dessen Glaubwürdigkeit und Wahrheit allein im Glauben erkannt wird3. Dieser Satz, in dem im Gegensatz zur späteren klassischen

3327D: ». . . quia quae ratione humana non comprehendimus, sola fide nobis credibilia esse et vera persua­demus.«

Fundamentaltheologie der Glaube auch auf die Glaubwürdigkeitserkenntnis selbst ausgedehnt wird, bildet geradezu das Leitmotiv des ganzen Traktates. Zuallererst ist aber der eigentliche Glaubensgegenstand als ein sol­cher zu bestimmen, der allein dem Glauben zugänglich ist4, so daß auch allein der Glaube die Existenzweise

4 328D: »… invisibilia Dei … quae credi solum possunt …«

seines Gegenstandes im Glaubenden ist5.

5 328C: »… quia bona invisibilia … jam per fidem in cordibus nostris subsistunt; et ipsa fides eorum in nobis subsistentia eorum est.«

Die Frage nach dem Glaubensgegenstand stellen heißt deshalb, nach seiner Bedeutung für den Glau­benden fragen6. Der Glaube ist existential zu interpretieren.

6 327D: »… fides non in eo quod sit, sed quod faciat diffinitur …«

Man kann den Glaubens­gegenstand nicht abgesehen davon bedenken, daß er geglaubt werden will.

Aber auch umgekehrt ist das Glauben auf das Geglaubte hin zu interpretieren. Glau­ben ist zunächst ein allgemein menschliches Phänomen, und nicht jeder Glaube ist christlicher Glaube. Dennoch kommt allein im christlichen Glauben das Wesen von Glauben schlechthin an den Tag. Das ist der Grund, weshalb die Bezeichnung »Gläubi­ger« (fidelis) nur auf die Christen angewandt wird. Glaube schlechthin besteht in der Liebe zu Gott7. In seiner vergänglichen Existenz kann der Mensch gar

7 333D–334A: »Ouaeritur etiam quae res ad fidem pertineant, quas credere oportet eum qui fidelis jure nominatur. Nam fides illa qua aliquid creditur hoc modo ut qui credit fide illa, fidelis non dicatur; praesentis propositi non est. Sine fide enim etiam infideles non vivere manifestum est, ex hoc quod omnis homo in hac vita vivens, sicut habet quaedam quae per experientiam sentiat, ita quaedam etiam habet quae nec visa nec experta, sola fide credat. Fidem tamen quae in Deum est nequaquam habere dicitur. nisi qui illa credit quae credendo et amando homo Deum (!] promeretur. Haec sunt ergo quae ad fidem pertinere dicuntur quae credendo homo fidelis nominatur.«

nicht anders als aus einem Glauben leben. Die Frage ist nur, ob er an etwas glaubt, worauf letztlich gar kein Verlaß ist, also ob er irgend etwas in der Welt zu seinem Gott macht, oder ob sich sein Glaube vielmehr auf das richtet, »was allein unsere Hoffnung und Erwar­tung wirklich verdient«8. Nur das endgültige Heil des Menschen kann Gott genannt werden.

8 328C: »… quae sola digna sunt spe et exspectatione nostra, quoniam in ipsis constat bonum nostrum.«

Die Verklammerung von Gott und Glauben, daß nämlich Gott auf Glauben aus ist und Glauben sich wirklich auf Gott bezieht, geschieht allein durch das Wort. Hugo von St. Viktor läßt keinen Zweifel daran, daß sich der christliche Glaube von einer angeborenen Vernunftwahrheit oder sonstigem Wissen dadurch unterscheidet, daß er <70> allein vom Hören kommt. Er ist auf ein äußeres, geradezu fleischliches Wort angewiesen9. Gegen einen Spiritualismus, wonach den Menschen vor Christus der

9 331C, 333D: »auditu solo«; 339A: »… fides quae hic foris solo auditu verborum percipitur …«; 338A: »Alioqui, quid opus erat foris videre carnem, et carnis audire sermones, si jam a Spiritu intus fuerant perfecte instructi de omnibus …«. Letztere Formulierung übernimmt Hugo von St. Viktor von Bernhard von Clairvaux aus dessen Ad Hugonem de Sancto Victore Epistola seu tractatus de Baptismo aliisque quaestionibus ab ipso propositis er einen langen Text fast wörtlich übernimmt (PL 182, 1039A–1041A= PL 176,336B–338C; die Angaben von H. Weisweiler in Schol 20–24 [1949], 60, wären entsprechend zu berichtigen). –  Hugo v St. Viktor hat allerdings den Gesichtspunkt des »solo verbo« nicht ganz konsequent durchgeführt, da er die (unreflektiert vorausgesetzte) Möglichkeit einer anderen Offenbarungsweise der konkreten christlichen Glaubensinhalte für den Einzelfall nicht völlig ausschließt: 339C: »… exceptis paucis quibus hoc scire singulariter in munere datum erat  …«

durch innere Erleuchtung mitgeteilt worden wäre, steht das Argument, daß sie danndurch das Kommen Christi einer sichereren und besseren Erkenntnis beraubt worden wären10. Demgegenüber weiß sich rechter Glaube konstitutiv an die

10 339A; »… illi quod in re non viderunt, agnoverunt per spiritum; nos quod non vidimus, auditu solo percipimus per verbum. Quod si verum est, quis non videat quod adventus Christi non solum illuminationem fidelibus non attulit, sed certiorem et meliorem agnitionem abstulit?«

Geschichte gebunden. In der christlichen Verkündigung wird ein von Ewigkeit her verborgenes Geheimnis11 offenbar: Unsere Erlösung ist die nur im Glauben

11 338D: »mysterium a saeculis absconditum«; vgl. Ko] 1.26 (ähnlich Joh 17,24; Rom 16.25; Eph 3,9, 1 Petr 1,20 u. a.).

erfahrbare Anteilhabe am Verhältnis des Sohnes zum Vater, die durch keine geschöpfliche Qualität erreicht oder ersetzt werden kann12. Es gibt keine andere

12 Die grundlegende christologische Stelle 341B: »Missus est naturalis filius pro adoptandis, quia sine ipso alieni introducendi non fuerant in haereditatem.« Dieses »sine ipso« ist nach 341C völlig parallel dazu zu verste­hen, daß »sine fide, ut ait Apostolus, impossibile est placere Deo« (Hebr 11,6).

    Weise der Gemeinschaft mit Gott als die, daß Gott den Menschen mit der gleichen Liebe liebt, in der er von Ewigkeit her seinem eigenen Sohn zugewandt ist. Diese Liebe kann nur der Sohn selbst offbaren. Und man kann sie nur so erfahren, daß man sie auf ein bloßes Wort hin glaubt, das allerdings zu verantworten ist.
 

In dieser ausdrücklichen Offenbarung13 besteht das Neue des christlichen

                    13 339C: »Sub gratia autem manifeste omnibus jam et praedicatur et creditur …«

Glaubens. Der vorchristliche Glaube blieb demgegenüber noch ganz und gar implizit. Er vermochte das Heil nur so von Gott zu erwarten, daß er noch gar nicht wußte, worin es besteht. Das alttestamentliche »Gesetz« konnte letztlich nur das Unheil des Menschen aufdecken14, während es das Heil nur verborgen mitgeteilt

14 Dies sagt Hugo von St. Viktor konsequenter als im vorliegenden Traktat in De Verbo Incarnato collationes seu disputationes tres, Collatio I. De triplici silentio, in quorum secundo agitur de incarnatione Verbi (PL 177, 316D–317C): »Primum Silentium fuit ante legem. Secundum inter legem et gratiam. Tertium erit post hanc vitam. Primum silentium fuit, quando homo non agnovit morbum suum; et idcirco siluit, nec quaerebat remedium. Sed postquam lex subintravit et ostendit languidis vulnera sua, statim ruptum est silentium, et coeperunt mox aegri salutem quaerere; sed quia per opera legis, ubi salus non est, sanari volebant, quod quaerebant non potuerunt invenire. Tandem igitur considerans homo per legem neminem justificari posse, quasi post diuturnos clamores fatigatus et jam desperans rursum loqui cessavit, et subsecutum est secundum silentium. Tunc ergo omnipotens Verbum Dei Patris in carnem veniens rupit silentium, locutum est pacem, dedit gratiam, proposuit misericordiam, promisit veniam; et coeperunt aegri currere ad medicum, et quasi magnis clamoribus sie pura fide cordis et vera confessione oris flagitare remedium. Hoc itaque in praesenti vita hac agitur, ut homo per gratiam Dei sanitatem recipiat. Sed cum plenam sanitatem receperit, et ad illam felicitatem venturae <71> immortalitatis perductus fuerit, non erit amplius quod petat; et tunc sequetur tertium illud beatum silentium quod numquam finem habebit. Inter primum et medium silentium multa verba sonuerunt, inter medium et ultimum silentium sonat unum verbum. Multa verba fuerunt multiplicia legis mandata, quae per Moysen data est. Unum verbum est una Dei gratia, quae per Jesum Christum facta est, vel potius ipse Jesus Christus. Moyses farnulus Dei multa verba et multos sermones protulit. Deus Pater unum Verbum, unumque sermonem misit. Sed sermones Moysi omnipotentes non fuerunt, quia quod dicebant facere non potuerunt: et ideo tandem quandoque in promissione deficiendo siluerunt.« Die Vollmacht der christlichen Verkündigung besteht darin, daß in ihr alle Aspekte eins sind. so daß auch der Inhalt des Wortes Gottes nur expliziert, was es heißt, daß wirklich Gott zu uns spricht.

hat. Ein einprägsames Bild für das Verhältnis der beiden Testamente sind die Kundschafter Israels, die eine Weintraube aus dem Gelobten Land bringen (Num 13,23); sie tragen sie an einer Stange und gehen dabei der eine hinter dem anderen: Die Weintraube ist Christus <71> am Kreuz. Der vorangehende Träger, der sie nicht sieht, aber doch mitträgt, ist das vorchristliche Volk. Der zweite Träger sieht auch selbst, was er trägt, und ist darin den nachchristlichen Gläubigen zu vergleichen, denen Menschwerdung und Leiden Christi offen und allgemein verkündet wird15.

15340CD: »Quod bene illi duo viri signaverunt, qui botrum in vecte suspensum, de terra promissionis ad filios Israel in desertum portaverunt. Botrus siquidem in vecte Christus in cruce est, cujus mysterium in sacramento duo populi portant. Qui praecesserunt. portaverunt quidem: sed non viderunt, quia praecedentes adventum ejus; sacramenta passionis ejus, omnes quidem per fidem portaverunt, sed non omnes per cognitionem, quod portaverunt intelligere meruerunt. Sequentes autem et portant et vident: quia fideles qui post adventum ejus in carne subsequuntur; sacramentum passionis ejus, et per fidem suscipiunt, et per revelatam jam cognitio­nem agnoscunt.«

Das Unterscheidende ist eben diese Ver­kündigung.

So entfaltet Hugo von St. Viktor das Glaubensverständnis in der strengen Korrela­tion von Gott, Wort und Glauben: Gott allein begegnet allein im Wort dem Glauben allein. Das sich dabei ergebende sola-fide-Prinzip will ausschließen, daß es eine andere Weise der Erkenntnis der Offenbarung geben kann als den Glauben allein. Es gilt aber zugleich auch in bezug auf die menschlichen Werke: Vor Gott sind nur solche Werke gut, die aus Glauben geschehen16. Denn allein der Glaube befreit die

16 341C: »Et sicut dicit beatus Augustinus: Ubi fides non erat. bonum opus non erat.« Die guten Werke, zu denen der Glaube befähigt, beziehen sich dabei ausschließlich auf das Verhältnis zum Mitmenschen, während die Liebe zu Gott allein im Glauben besteht; vgl. in De Sacramentis die Darlegung zu den Zehn Geboten (PL 176, 352B); ». . . prima tabula dicta est, quia excellentiora continet mandata, quae pertinent ad dilectionem Dei. Secunda autem quia inferiora et proxima post haec praecepta continet quae pertinent ad dilectionem proximi. Vel prima tabula dicitur, quia in ea continentur praecepta quae insinuant fidem; secunda quia in ea continentur praecepta quae instruunt ad bonam operationem.«

menschlichen Werke von der unangemessenen Zielsetzung der Selbstrechtfertigung, damit sie dafür dienen, wofür sie wirklich gut sind, nämlich der Welt gerecht zu werden.


//. Die Notwendigkeit einer Glaubensbegründung

    Verstehen und Verständigung sind das Grundproblem menschlicher Gemeinschaft. Am leichtesten ist Übereinstimmung in bezug auf experimentell nachprüfbare Daten der äußeren Sinne zu erreichen17. Ungleich schwerer kommt

17 329D: »… corda hominum facilius sibi consentiunt in his quae oculo carnis percipiunt. quam in his quae acie mentis et sensu rationis attingunt, quia ubi in videndo non caligant, in judicando non discrepant.«

es zu einer Verständigung in Fragen des philosophischen Selbstverständnisses. Seine größte, nicht mehr überbiet­bare Schärfe erlangt das hermeneutische Problem, wo es um den Glauben geht, der das Verhältnis des Menschen zu Gott ist.

  Längst vor der Institutionalisierung einer Vielheit von Konfessionen weist Hugo von St. Viktor auf den tatsächlich vorhandenen Pluralismus der Glaubensverständnisse hin. Wenn Verständigung im rechten Glauben die tiefste Weise menschlicher Gemeinschaft <72> darstellt, so hat hier auch umgekehrt Mißverständnis und Mangel an Verständigungs­bereitschaft die für die Menschlichkeit des Menschen verheerendsten Folgen. In bezug auf den Glauben bedarf es deshalb am meisten der hermeneutischen Sorgfalt. Auch der Glaubensakt selbst ist in die Überlegung einzubeziehen, weil ein Mißverständnis des Glaubensaktes im Sinn bloß weltanschaulicher Bejahung notwendig zu einem zer­störerischen Mißverständnis des Glaubensinhaltes führt. Man kann im Eifer für die Wahrheit wahrheitsblind werden. Religiöser Fanatismus untergräbt die Religion. Es gibt eine Weise der »Rechtgläubigkeit«, die unter Beibehaltung aller Formeln des Glaubens am rechten Glauben vorbeigeht. Nichts ist gefährlicher als Leichtfertigkeit in der Verantwortung des Glaubens18.

18 335B: »Nec levi consideratione in hujusmodi opus esse putemus, ubi tam multae sunt existimationes et opiniones hominum et tam diversa fide de recta fide disputatur, nec parvum hoc esse periculum putandum est. Quomodo enim de iis quae credenda sunt fide bene sentire possumus, si de ipsa fide male sentimus? Propterea consideranda sunt diligenter singula quae dicuntur, ut ea dicamus et sentiamus in quibus dum fidem rectam asserere nitimur, sanae fidei obviare non convincamur. Sunt homines qui quasi quadam pietate impii in Deum efficiuntur, et dum ultra id quod in veritate est sentiunt, in ipsam veritatem offendunt. Haec autem ignorantia multos parit errores ...«

Die Frage nach der rechten Verantwortung des Glaubens stellt sich zugleich nach »innen« für den Gläubigen selbst und nach »außen« gegenüber dem Ungläubigen. Hugo von St. Viktor hält es für einen untragbaren Zustand, wenn sich ein Christ darauf beschränkt, dem Glauben nicht zu widersprechen, und nur gewohnheitsmäßig mit den übrigen Gläubigen an den christlichen Heilszeichen teilhat, ohne überhaupt danach zu fragen, worin die christliche Hoffnung besteht und was das Christsein mit dem Menschsein zu tun hat19. Was nutzt es, bloß in

19 332D—333A: »Ouartum genus hominum est quibus credere est. solum fidei non contradicere, qui consuetudine vivendi magis quam virtute credendi fideles nominantur. Solis enim transeuntibus intenti numquam mentem ad futura cogitanda sublevant; et quamvis fidei Christianae sacramenta cum caeteris fidelibus usu percipiunt, quare tamen Christianus sit homo vel quae spes Christiano sit in exspectatione bonorum futurorum non attendunt. Hi, quamvis nomine fideles dicantur, re tamen et veritate longe sunt a fide.«

christlicher Umgebung auf gewachsen zu sein?20

20 Vg]. Miscellanea,lib. I, tit. XVIII (PL 177,487C): »Est enim quoddam genus hominum in sancta Ecelesia quibus credere est solum non contradicere fidei; qui ita vivunt ut nati sunt, non amando vel approbando in quo nati sunt, qui si in alio nati essent, fideles non essent.«

    Allein schon die Vielheit aller möglichen Offenbarungsansprüche und an­geblichen Heilswege in dieser Welt müßte doch zu einer Besinnung über den Glauben führen: Wodurch unterscheidet sich der christliche Glaube von den vielen in gleicher Weise zweifelhaften Weltanschauungen, deren Auswechslung untereinander keine grundsätzliche Veränderung bringt?21

21 333B: Man soll betrachten, »in hoc mundo tam diversas esse hominum existimationes, super his in quibus salus hominis constat ... Accedit ad haec (Spiritu sancto suggerente) ratio, quoniam in multis dubiis si unum aliquid relinquitur ut unum aliud eligatur, dubietas non tollitur, sed mutatur.« Die Grund-Ungewißheit ist be­reits mit der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens gegeben, 333A: »... magno mox trepidationis motu de dubio vitae mortalis conscientia ipsa concutitur ...«

Ein fast noch alltestamentarisches22 Minimum der Glaubensverantwortung

22 Vgl. im Bernhardzitat 338B; daß dies auch Hugos eigene Auffassung ist, zeigt die Tatsache, daß er die geistige Ungleichzeitigkeit mancher zeitgenössischer Gläubigen mit dem alttestamentlichen Glauben vergleicht, 339B: »... et cognitionem eorurn quae ad fidem pertinent. sicut in uno eodemque tempore secundum capacitatem diversorum differentem agnoscimus, ita quoque per successionern temporum ab initio incrementis quibusdam auctam in ipsis fidelibus non dubitemus.«

besteht in der Berufung auf die anderen Glaubenden, die ihren Glauben tiefer verstehen. Weil der Glaube vom Hören kommt, besteht seine Grundform darin, daß man mit Glauben­den Gemeinschaft hält. Der mittelalterliche locus classicus für diesen Sachverhalt ist <73> Ijob 1,14: »Boves arabant et asinae pascebantur juxta eos.«23 Aber ein solcher Glaube, der in bloßer Frömmigkeit besteht und nicht selbst

23 Auf das Zitat folgt die Erläuterung, 332A: »Simplices quippe in sancta Ecclesia quamvis cum perfectis occulta sacramentorum Dei rimari non valeant; quia tarnen se ab illorum societate non dividunt quasi juxta eos positi in eadem fide et spe bene operando se pascunt.« Das Ijob-Zitat findet sich zum Beispiel auch bei Petrus Lombardus, Quattuor libri sententiarum, l. III d. 25 c. 2, und bei Thomas von Aquin. S. th. II II q. 2 a. 6 sed contra.

darüber Rechenschaft geben kann, warum es besser ist zu glauben, als nicht zu glauben, ist unmündiger Glaube, der »ohne Diskussion glaubt«24.

24 332D: »Quidam enim fideles sunt qui sola pietate credere eligunt, quod tamen utrum sit credendum an non credendum sit ratione non comprehendunt.« Von dieser Gruppe heißt es in den Miscellanea, lib. I, tit.LXVI (PL 177, 505D): »Alii enim audita sine discussione credenda suscipiunt.«

Zu seiner Vollendung kommt der Glaube erst dann, wenn man ihn selbst verantwor­ten kann, wenn er also nicht nur irgendwie begründet erscheint, sondern die mit geistli­cher Erfahrung gegebene Erkenntnis seines reinen Wesens eine solche Gewißheit mit sich bringt, daß es für einen so Glaubenden keinen möglichen Einwand mehr gibt, der ihn aus dem Glauben und der Liebe zu Gott herausreißen könnte, – würde sich auch die ganze Welt zu »Wundern« verdrehen!25 Diese

25 332D: »Alii ratione approbant quod fide credunt. Alii puritate cordis et munda conscientia interius jam gustare incipiunt quod fide credunt«, so daß bei diesen Letzteren »puritas intelligentiae apprehendit certitudinem«. Wer in dieser Weise glaubt, von dem gilt (333D): »… ut … nulla jam ratione ab ejus fide et dilectione (etiam si totus mundus in miracula vertatur) avelli queat.«

Redeweise erinnert an Dt 13,2–6: ein rein formales Eintreffen angekündigter Zeichen und Wunder hat theolo­gisch überhaupt nichts zu besagen; mit solchen Dingen kann man nicht für, sondern höchstens gegen den Glauben argumentieren. Aber wirklicher Glaube fällt nicht auf Mirakel herein. Demgegenüber ist der theologische Wunderbegriff – wie noch zu zei­gen sein wird – am Inhalt der christlichen Verkündigung als dem zu Bezeugenden ori­entiert.



///. Worin besteht sachgemäße Glaubensbegründung?

1. Wenn sich der Glaube auf »Wort Gottes« beruft, lautet die erste Frage für eine Verantwortung des Glaubens, was denn überhaupt unter »Gott« zu verstehen ist. In der Notwendigkeit, auf diese Frage zu antworten, ist das unaufgebbare Anliegen der sogenannten »Gottesbeweise« begründet. Aber wie kann sinnvoll von »Gott« die Rede sein, wenn er seinem Wesen nach unbegreiflich und nicht aussagbar sein soll? In der klassischen Fundamentaltheologie wird diese Fragestellung gewöhnlich mit dem Hin­weis auf »die« Analogie überspielt: Gott sei, wenn auch nur inadäquat und partiell, für den Menschen begreiflich. Hugo von St. Viktor geht einen anderen Weg. Er ver­schärft das Problem, anstatt sich auf einen denkschwachen Kompromiß einzulassen. Es ist für ihn geradezu Kriterium rechten Glaubens, daß die Unbegreiflichkeit Gottes ohne Abstriche gewahrt bleibt: Nur dann bedarf es für die Gemeinschaft mit Gott des Glaubens, wenn er sich von vornherein jedem Begreifen entzieht26.

26 329A: »Ergo Deus credi potest, comprehendi omnino non potest.«

Aber gerade eine solche Nichtaussagbarkeit Gottes muß nun in streng rationaler Begründung ausgesagt werden, wenn überhaupt verständlich sein soll, worum es in der christlichen Verkündigung geht. Der Gebrauch des Geheimnisbegriffs muß verant-<74>wortet werden, soll er nicht wie eine bloße Ausrede aus Denkschwierigkeiten erscheinen.

    In Anlehnung an einen Augustinustext27, der stark auf die Tradition der negative

27 Enarrationes in Psalnios LXXXV, 12 (CCL 39: 1186, 23–2.1 = PL 37, 1090). Bereits der Text des Augustinus endet mit dem Hinweis auf l Kor 2,9: »Ouod oculus non uidit, nec auris audiuit, nec in cor hominis adscendit.« Die Anführung dieser Schriftstelle in 329C geht also nicht ursprünglich auf Hugo von St.Viktor selbst zuruck, wie H. Weisweiler in seinem verdienstvollen Artikel Sacramentum fidei. Augustinische und dionysische Gedanken in der Glaubensauffassung Hugos von St. Viktor, in: Theologie in Geschichte und  Gegenwart. FS Michael Schmaus, hrsg. v. J. Auer und H. Volk, München 1957, 449, gemeint hat.

Theologie eingewirkt hat, erläutert Hugo von St. Viktor, daß Gott nur als der gegen über allem, was in der Welt existiert, Andere benannt werden kann28, und zwar von

28 329AB: »Si terram cogitas, si coelum cogitas, si omnia quae in coelo sunt et in terra cogitas, nihil horum est Deus. Denique si spiritum cogitas, si animam cogitas: non est hoc Deus.«

daher, daß alle weltliche Wirklichkeit ihrerseits als geschöpflich bestimmt werde muß29'. Dabei ist die Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf größer als jede

29 334BC: »… confiteri unum creatorem, et ab eo facta esse omnia quae habent esse.«

Distanz der geschaffenen Wirklichkeiten untereinander30. Man kann

30 329B: »Omne enim quod creatum est minus ab invicem distat, quam ille qui fecit ab eo quod fecit. «

dementsprechend Gott nicht einmal als »Geist« definieren: Die Ähnlichkeit materieller mit geistiger Wirklichkeit ist größer als die geistiger Wirklichkeit Gott gegenüber31. Die verbreitete Redeweise von Gott als einem »höchsten Wesen«, das

                  31 329B: »Vide quale simile si spiritum demonstrare velles et Corpus ostenderes, qualis similitudo haec esset, et tamen plus longe est Deus et Spiritus quam Spiritus et corpus.«

man in irgendeiner metaphysische Synthese einordnen kann, wäre deshalb für Hugo von St. Viktor unvollziehbar. Gott kann überhaupt nur als der ausgesagt werden, dem sich alle weltliche Wirklichkeit jeder Hinsicht – in allem, worin sie sich vom Nichts unterscheidet – verdankt. Alle natürliche Gotteserkenntnis beschränkt sich letzten Endes auf diese Erkenntnis unserer eigenen Geschöpflichkeit, die gerade nicht Gott selbst, sondern das von ihm Verschiedene ist32..

32 Vgl. dazu bereits in Hugos Expositio in Hierarchiam Coelestem S. Dionysii Areopagitae. PL 175. 976B: »Ergo, omne quod dicitur de Deo quia est, secundum id dicitur. quod dici et cogitari potest, quoniam aliter dici non potest; et omne quod dici et cogitari potest. minus est et infra est quam quod Deus est«; ebd. 97 »Vide ergo quid dicas, cum dicis Deus; aut quid cogites, cum dicis Deus. Creatorem, inquis, omnium cogito, cum dico Deus, qui omnia fecit, et ipse factus non est. Ergo cum dicis Deus, cogitas quod fecit omnia. Cogitas quod fecit, et non cogitas quod est ipse qui fecit.« – Die von H. Weisweiler. l. c., 449. gegebene Deutung Redens von Gott »secundum quid« (nur »teilweise« Gotteserkenntnis sei einfachhin keine »vollständige«,  widerspricht dem Wortlaut des von ihm selbst angeführten Textes, 329A: »Ouod enim secundum aliquid vel cogitari non potest, dici omnino et cogitari non potest.« Im übrigen hat »secundum quid« überhaupt nichts mit »teilweise« zu tun (als könnte man Gott »teilweise« erkennen), sondern meint unsere eigene Geschöpflichkeit als das Bezogensein auf Gott in Verschiedenheit von ihm, das es erlaubt, Gott selbst zwar nicht an sich, aber am dem anderen von ihm zu erkennen.

Gottes Nichtaussagbarkeit wird damit gewahrt, daß eigentlich nur unsere eigene restlose Abhängigkeit von ihm ausgesagt wird. Formalisiert müßte man sagen, Gott ist der, »ohne den nichts ist«. Deshalb kann von ihm nur das »Daß«, ab kein »Was und Wie« ausgesagt werden33.

33 329B: »Non potest cogitari Deus quid est, etiam si credi potest quia est, non qualis est comprehendi.«

Bei aller Berufung auf die mit der Abhängigkeit des Geschöpfes von Gott gegebene Analogie, wonach das Geschöpf dem Schöpfer ähnlich ist, darf nicht vergessen werden, daß keine Ähnlichkeit in der umgekehrt Richtung besteht: Die Analogie ist einseitig gerichtet. Nur von unseres eigenen Geschöpflichkeit her und um sie anzuerkennen, kann also das Wort »Gott« schließlih doch sinnvoll gebraucht werden34.

34 329BC: »… hoc est illud quod dicere volumus, si tamen dicere possumus quod cogitare non possumus.«

<75> Eine solche Gotteserkenntnis ist jedoch in sich selbst nur philosophischer Art: »na­türliche Gotteserkenntnis«. Für sich allein eröffnet sie nicht den Zugang zu Gott und keine Gemeinschaft mit ihm35. Dennoch bildet sie einen integrierenden

35 33C: Man anerkennt so die »majestas«, aber noch nicht die »pietas« Gottes. Schärfer wiederum in der Expositio in Hierarchiam Coelestem, PL 175, 977A: »… tamen de ipso hoc dicis, non ut accedas ad ipsum, sed ut ipsi appropinques. Magnum est enim homini nunc ad ipsum ire, etsi non detur pervenire.« Allerdings liegt im Zusammenhang dieses Textes bei Hugo von St. Viktor offenbar eine Vermengung der verschiedenen Gesichtspunkte von natürlicher und übernatürlicher Gotteserkenntnis einerseits und Glauben und Schauen anderseits vor.

Bestandteil des Glaubens selbst. Sie ist der Hintergrund, auf dem allein der eigentliche Glaubensin­halt, Gottes gnädige Hinwendung zum Menschen, verständlich gemacht werden kann. Solcherart in christlichen Gebrauch genommen, läßt sich auch die natürliche Gotteser­kenntnis als »Glaube« bezeichnen. Ihre Aufgabe besteht darin, zwischen Gott und Geschöpf in der rechten Weise zu unterscheiden. Geschieht das nicht, leidet notwendig der Glaube selbst Schaden. Denn in der Verwechslung von Gott und Geschöpf besteht geradezu das Wesen von Sünde.

    Für sich allein genommen ist jedoch solche philosophische Gotteserkenntnis noch kein Glaube. Der Glaube bezieht sich auf die Gemeinschaft des Menschen mit Gott, die ihm in der christlichen Verkündigung zu glauben zugesagt wird. Philosophische Gotteserkenntnis findet sich auch außerhalb des christlichen Glaubens36. Zur Gemein­schaft mit Gott bedarf es des Heiligen Geistes, dessen

36 334CD: »In prima parte recta fides inter creatorem et creaturam ita discernere debet ut unicuique horum quod suum est tribuat; et vicissim alterius proprietatem in alterum non transfundat, id est nec creaturae attribuat Creatoris majestatem, nec Creatori ascribat creaturae infirmitatem, nec Deum concludat tempore, nec crea­turam extendat aeternitate. Ita fides si unicuique quod suum est tribuit, recte offert [!]; si inter utrumque bene discernit recte dividit, et non peccat. Si vero in quolibet horum delinquitur, fides sane necesse est ut detrimentum patiatur ... Rursus philosophi gentilium quamvis inter Creatorem et opus ejus recte discernerent, nequaquam tamen fideles appellandi sunt, quia fidem de Salvatore non habuerunt. Sequuntur ergo deinde ea quae in secunda parte posuimus …«

verborgene Gegenwart allein durch das Wort offenbar werden kann, so daß seine offenbare Gegenwart auch nur durch das Wort mitgeteilt wird. Nur im Heiligen Geist, und das heißt: im Glauben, wird Gott in sich selber erkannt37.

37 Vgl. PL 175. 976AB: »Qui autem spiritum Dei in se habent. et Deum habent …«. H. Weisweiler, I.e.. 443, sagt sehr gut: »Damit wird die negative Theologie dem Glauben wieder durch den Hl. Geist geöffnet.« Denn das Endergebnis einer bloß natürlichen Theologie für sich allein wäre die definitive Unmöglichkeit einer Gemeinschaft des Menschen mit Gott. Gemeinschaft mit Gott kann nur in einem trinitarischen Gottesverständ­nis sinnvoll ausgesagt werden

2. Wie kann man nun für die Wahrheit der christlichen Verkündigung selbst, die beansprucht, das Wort Gottes weiter zu sagen, argumentieren? Hugo von St. Viktor antwortet auf diese Frage zunächst mit einer Überlegung darüber, welche Argumenta­tionsweise hier überhaupt angemessen ist. Wenn es sich bei diesem Wort Gottes wirk­lich um Gott im eben erläuterten Sinn handeln soll, kann es grundsätzlich nicht in einen weiteren Rahmen eingeordnet werden, von dem her seine Wahrheit zu begründen wäre. Es versteht sich ja selbst als das letzte und umfassende Wort über die ganze Wirklichkeit des Menschen. Die Frage nach irgendwelchen Prämissen, aus denen man den Glauben ableiten könnte, steht in Widerspruch zum Wesen des Glaubens. Würde sich der Glaube als ableitbar erweisen, wäre er eben damit widerlegt. Er wäre seinem eigenen Anspruch untreu geworden.

 

Das einzige Argument, unterhalb dessen es zu keiner Verantwortung des Glaubens kommen kann, über das hinaus aber auch kein höheres Argument mehr möglich ist, <76> besteht in dem negativen Nachweis, daß sich die christliche Verkündigung, wo sie sachgemäß ist, irdischer Beurteilung entzieht38.

38 330AB: »Non enim aliud argumentum majus de illis dubitantibus proferre possumus, quam quod illa quae creduntur fide, ratione non comprehenduntur. Ouod enim aliud argumentum ad illa esse polest, quibus simile et comparabile nihil esse potest? Cum utique argumentum nullatenus esse posset, nisi aliquam cum illi ad quod argumentum esset similitudinem etiam haberet. Ouae igitur omnem similitudinem et comparationem transcendunt, qua similitudine argui et comprobari possunt?«

Dieser Verweis auf den Geheimnischarakter des christlichen Glaubens und damit auf die Unmöglichkeit einer der Glaubenszustimmung vorausgehenden positiven Glaubensbegründung ist gleichwohl ein wirkliches Argument, weil sich darin das Christentum von jedem anderen weltanschaulichen Anspruch strukturell unterscheidet. Wenn die christliche Verkündigung zur Klarheit gelangt, ist ihr gegenüber nur Glaube oder Unglaube möglich, und es gibt keine dritte Alternative39.

39 Darauf verweist die mehrfache Gegenüberstellung von Glaube und Unglaube. 330B. 332D. 333B.

In verschärfender Formalisierung ließe sich deshalb zur Glaubensbegründung sagen, daß einerseits die Glaubwürdigkeit der christlichen Verkündigung, daß sie nämlich de Glauben wert ist, den sie selbst als ein Geschehen im Heiligen Geist beschreibt, nur geglaubt werden kann; diese These richtet sich gegen jede Form von Rationalismus. Anderseits jedoch kann die Unglaubwürdigkeit des Unglaubens40,

40 330B: »… increduli esse non debemus.«

nämlich jeder Stellungnahme zur christlichen Verkündigung, zu der der Mensch von sich aus fähig ist – dazu gehört Nein, Unentschiedenheit und bloß weltanschauliches Ja41 –, vor der Vernunft manifest gemacht werden kann; mit dieser zweiten,

41 Vgl. den bereits in Anm. 18 zitierten Text.

komplementären These unterscheiden wir uns von jeder Form von Fideismus. Daraus, daß man den Unglaube nicht verantworten kann, folgt aber durchaus nicht, daß der Glaube anders als allein im Glauben zu verantworten ist.

    Wie kommt es jedoch zu solchem Glauben? Hier steht bei Hugo von St. Viktor der Hinweis auf das Zeugnis derer, die uns im Glauben vorangehen. Die Mitteilung des Glaubens durch das Zeugnis nimmt die Stelle ein, die die spätere klassische Fundamentaltheologie der von ihr selbst mißverstandenen Beglaubigung durch »Wunder« zuweist42. In der Tat ließe sich zeigen, daß die wahren Wunder im

42 Vielleicht in Anlehnung an Hebr 12, l lautet die Fortsetzung des in Anm. 38 zitierten Textes: »… nisi quia ex fide et devotione praecedentium sanctorum colligimus, quoniam ad illa quae futura praedicantur bona increduli esse non debemus. Magna enim est ratio haec et omnino fide digna; quia nequaquam sancti et justi omnes pro aeternae vitae desiderio tanta constantia praesentem vitam despicerent, si non amplius aliquid ultra nostram intelligentiam de illius veritate praesensissent.« Ein solches TESTIMONIUM VERITATI hat eine andere Struktur als jene schlechte Apologetik, gegen die Hugo von St. Viktor Bernhard zitiert. 337C: »Et nos millibus hominum certitudinem de omnibus nostro mendacio confirmamus.«

theologischen Sinn auf die Trias Wort, Glaube und Liebe zurückgeführt werden können. Das grundlegende Wunder ist die christliche Verkündigung selbst, deren Inhalt alle Erwartung übersteigt und sich nachweislich irdischer Beurteilung entzieht. Wunder ist auch der zur Liebe befreiende Glaube, den dieses Wort findet. Schließlich ist diese Liebe selbst, nämlich wahrhaft gute Werke, die dem Menschen gerecht werden, ein Wunder über alle Wunder43.

43 Vgl. Anm. 16. Der Mensch ist nur aus Glauben zu der unbedingten Nächstenliebe fähig, die den anderen als den von Gott geliebten Menschen anerkennt. 529A: »Proximus autem ideo propter Deum diligendus est quia cum ipso in Deo est bonum nostrum.« Das Heil ist nur möglich als unser Hei\ und besteht in Gott selbst.

3. A posteriori, nachdem man einmal mit der Verkündigung des christlichen Glaubens konfrontiert ist, läßt sie sich daraufhin befragen, inwiefern sie durch ihren Inhalt <77> alle anderen Weltanschauungen überragt, so daß es neben dem christlichen Glauben keine andere vergleichbare Möglichkeit erfüllter menschlicher Existenz in dieser Welt gibt: »Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens« (Joh 6,68). Der inneren Einheit der Glaubensaussagen entspricht ihre nur dem Glauben selbst zugäng­liche unüberbietbare Wahrheit, und dieser wiederum ihre höchste Gutheit für den Men­schen. So gehört für Hugo von St. Viktor zur Glaubensbegründung der Hinweis, wie hier alles zur Einheit gelangt: Schöpfung und Erlösung sind gerade in ihrer Unterschei­dung das eine Werk Gottes, der den Menschen schafft, um sich selbst ihm mitzuteilen44. Gerade um ihre Einheit zu

44 334AB: »[Credenda] in duobus haec principaliter constare invenimus. Sunt enim quaedam duo, et haec duo in uno sunt; et unum sunt haec duo. Creator et salvator duo nomina sunt et res una; tamen aliud notat creator, aliud salvator ... ab uno utrumque factum est. ut bonum nostrum totum esset ab uno, et totum in uno, et unum.«

wahren, ist jedoch ihre Unterscheidung – als die traditio­nelle Unterscheidung zwischen Natur und Gnade – unumgänglich45. Der christliche Glaube bezieht sich

45 334D–335A: »Prima pars fidei spectat ad debitum naturae; secunda pars fidei spectat ad debitum gratiae. Illa credere debemus, quia per naturam conditi sumus. Ista credere debemus, quia per gratiam reparati sumus.«

also nicht auf eine Vielheit untereinander unzusammenhängender Wahrheiten, sondern es geht in ihm um eine einzige letzte Wahrheit, in der auch alle andere vorläufige Wahrheit zu ihrem Recht kommt. Was solche innere Einheit und Geschlossenheit aufweist – so formuliert Hugo von St. Viktor als Kriterium für das rechte Glaubensverständnis – ist allem anderen vorzuziehen46. Dem Maß dieser

46 333B; »… melius est confiteri unum principium quam multa; quia ubi multitudo est, aut pluralitas superflua est, aut unitas imperfecta.«

inneren Einheit wird auch die Glaubensgewißheit entsprechen47. Schließlich erweist

47 Vgl. den Text in Anm. 25.

sich der christliche Glaube im Vergleich zu allem anderen auch als das »maximum bonum« für den Menschen. Es ist »besser«, Gott nicht nur als Schöpfer, sondern auch als den zu bekennen, der den Menschen begnadet; nicht nur seiner unzugänglichen »Maje­stät«, sondern auch seiner irdisch sichtbar werdenden »Menschlichkeit« zu begegnen. So findet im christlichen Glauben der ganze Mensch seine Erfüllung48.

48 333C: »Et maximum bonum hominis est ut in Deo suo et majestatem inveniat quam oculo cordis contempletur; et humanitatem quam oculo carnis speculetur, ut totus homo in Deo beatificetur.«

Die Vollmacht des Wortes Gottes, aufgrund dessen man glaubt, besteht also darin, daß sein Inhalt nichts anderes als die Explikation seines eigenen Geschehens ist: näm­lich daß uns Gott in Jesus Christus mit derjenigen Liebe zugewandt ist, in der er sich von Ewigkeit her zu ihm als zu seinem eigenen Sohn verhält. An Jesus Christus als an den Sohn Gottes glauben, heißt deshalb, sich von Gott mit der gleichen Liebe geliebt wissen wie er. Ohne Jesus Christus könnte ein solches Verhältnis zu Gott nicht ausge­sagt werden. Deshalb besteht das Wort der christlichen Verkündigung in der Überlie­ferung der Person Jesu Christi. Und glauben heißt, zu ihm zu gehören.



IV. Die psychologische Struktur des Glaubensaktes

Hugo von St. Viktor ist im XII. Jahrhundert der »Klassiker der Psychologie des Glau­bens«49. Aber ist es überhaupt möglich, den Glaubensakt in psychologischen

49 N. Dunas, Connaissance de la foi. Paris 1963, 177.        

Katego­rien richtig zu beschreiben, ohne diese selbst grundlegend zu verändern? Besteht nicht anderenfalls die Gefahr, daß man den Glauben doch wieder in ein umfassenderes Gan-<78>zes einzuordnen versucht? Auch Hugo von St. Viktor scheint dieser Versuchung nicht ganz entgangen zu sein. Einerseits unterscheidet er mit Recht die Subsistenzweise des Glaubensgegenstandes im Glaubenden von jedem anderen geistigen Vollzug: Es han­delt sich weder um äußere Sinneserfahrung von einem unmittelbar vorhandenen Ge­genstand noch um eine innere Erfahrung wie die der eigenen Freude oder Trauer. Furcht oder Liebe, noch wird der Glaubensgegenstand durch Schlußfolgerung oder Vorstellung erreicht50. Anderseits

50 328CD: »Cum enim res quaelibet apud nos subsistant, vel per actum, quando videlicet praesentes sensu comprehenduntur, vel per intellectum, quando absentes; vel etiam non existentes in similitudine sua et in imagine per intellectum capiuntur, vel etiam per experientiam, quando ea quae in nobis sunt sentiuntur a nobis, ut est gaudium, tristitia, timor et amor, quae subsistunt in nobis et sentiuntur a nobis: nullo horum modorum invisihilia Dei comprehenduntur a nobis quae credi solum possunt comprehendi omnino non possunt.«

bestimmt er jedoch Glauben auch in einem weiteren Sinn, der sich nicht nur auf den christlichen Glauben bezieht: »Glauben ist die innere Gewißheit von Nicht-Gegenwärtigem; sie ist etwas Höheres als bloße Meinung, aber etwas Geringeres gegenüber dem Wissen«51. Hier wird der Glaube in eine Skala ver­schiedener

51 330C: »…si quis plenam ac generalem diffinitionem fidei signare voluerit dicere polest: >Fidem esse certitudinem quamdam animi de rebus absentibus, supra opinionem et infra scientiam constitutam.<«

Möglichkeiten eingeordnet: Man kann einen Sachverhalt leugnen, ihn für möglich, wahrscheinlich oder sicher halten; darüber hinaus gäbe es die noch vollkom­menere Erkenntnis, bei der der Sachverhalt sich selbst unmittelbar zeigt52. Der Glaube ist in

52 330D: »Post ista genera cognitionis illud perfectius sequitur cum res non ex auditu solo, sed per suam praesentiam notificatur.«

dieser Sicht noch nicht die volle Erkenntnis, weil ihm die Evidenz fehlt. Diese Feststellung scheint auf den ersten Blick auch auf den christlichen Glauben zu passen. insofern er etwas Geringeres als die »unmittelbare Gottesschau« ist. Dennoch zögen Hugo von St. Viktor offenbar: Er sagt, daß Glaube seiner Verdienstlichkeit nach mehr als Schauen ist53. Auch gegenüber der angeblich

53 331A: »Nisi enim credere aliquando quantum ad meritum plus esset quam vera videre, nequaquam visio subtraheretur ut fides mereretur.«

unmittelbaren Gottesschau des Men­schen vor dem Sündenfall komme dem heutigen Glauben größere Kraft zu54. Unge­klärt bleibt, ob die »contemplatio«, die schon auf

54 344A: »… si nunc per fidem ambulans, viam veritatis etiam impugnatus non deserat, qui prius visione praesentis Dei roboratus, sola persuasione prostratus erat.«

Erden beginnen kann55 und sich in der ewigen Herrlichkeit fortsetzt56, eine

55 333D: »… in tantum ut jam quodammodo eum per contemplationem praesentem habere incipiat …«

56 343A: »Sie ergo justus, quandiu in hoc corpore existens, peregrinatur a Domino, vivere habet ex fide quemadmodum cum eductus de hoc ergastulo fuerit, et introductus in gaudium Domini sui,  vivere habebit ex contemplatione.«

Überbietung des Glaubens darstellt oder vielmehr den Glauben selbst zur Vollendung bringt. Letzteres würde bedeuten, dass auch die selige Gottesschau noch immer Glauben wäre, der nur nicht mehr von der Möglichkeit des Unglaubens bedroht ist. Wenn die wirkliche Gemeinschaft mit Gott im Glauben als dem Hineingenommensein in das Verhältnis Jesu Christi zum Vater besteht, dann ist der Glaube durch schlechterdings nichts überbietbar.

Sehr fruchtbar für eine systematische Glaubenstheologie sind die Überlegungen über das Verhältnis von Erkennen (cognitio) und Wollen (affectus) im Glauben. Dei Glaube selbst, die »fides qua«, besteht im »affectus«, der willentlichen Bejahung des­sen, was einem als das zu Glaubende mitgeteilt wird. Die vom Glauben vorausgesetzte Erkenntnis besteht deshalb im Konfrontiertwerden mit der Glaubensverkündigung. <79> Man versteht, was einem gesagt wird, auch wenn man davon allein noch nicht weiß, ob das Gesagte der Wahrheit entspricht oder nicht57.

57 33 IC: »Credere igitur in affectu est, quod vero creditur in cognitione est. Cognitionem autem hic intelligimus scientiam rerum non illam quae ex praesentia ipsarum comprehenditur, sed illam quae auditu solo percipitur, et ex verborum significatione manifestatur. Cum illud quod dicitur et ab illo qui audit, intelligitur, quod dicitur, etiam si nesciat utrum sit an non sit ita ut dicitur; scientia tamen est inquantum intelligit et scit quid est quod dicitur.«

Man erkennt, daß die Kirche behauptet, im Namen Gottes zu sprechen, und daß sich ihr konkreter Anspruch nach­weislich aller irdischen Beurteilung entzieht; daß ihre Behauptung wahr ist und sie tatsächlich im Namen Gottes spricht, kann nur geglaubt werden. Die vorausgesetzte Erkenntnis ist auch ohne jeden Glauben möglich, während umgekehrt der Glaube nicht ohne solche Erkenntnis sein kann: Er würde ohne sie gegenstandslos58. Hier kehrt die bereits bei der

58 331D: »Potest autem cognitio hujus sine omni fide esse; fides autem sine omni cognitione esse non potest, quoniam qui audit aliquid et intelligit, non semper credit; qui autem nihil intelligit nihil credit …«

Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie aufgewiesene Struktur auf einer nunmehr unmittelbar geschichtlichen Ebene wieder. Ähnlich wie Philosophie auch ohne Theologie, Theologie aber nicht ohne Philosophie existiert, kann man auch geschichtlich mit der Glaubensverkündigung konfrontiert sein, ohne deshalb bereits zu glauben, aber man kann nicht glauben ohne diese Verkündigung. Der Glaube selbst, sein eigentlich »verdienstliches« Moment, liegt jedoch im »affectus«, der die feste »Beständigkeit« ist, mit der man den Glaubensinhalt bejaht und erstrebt: Er ist die Liebe zu dem, was man glaubt59. In eben dieser »Beständigkeit«,

59 335D: »… cum pietas divina non attendat quanta cognitione credatur, sed magis quanta devotione id quod creditur, diligatur.«

mit der man sich weigert, irgendeine weltliche Wirklichkeit als seinen Gott anzuerken­nen, besteht auch das Zeugnis für den Glauben60. Offenbar versteht

60 Vgl. Anm. 42; 332C: »Illa namque apud Deum fides magna reputatur, quae etsi minus vigeat scientia, per constantiam tarnen foris ostenditur.«

Hugo von St. Vik­tor dabei in Entsprechung zum biblischen Glaubensbegriff den eigentlichen Glauben als »fides formata«.

Obwohl also ein Minimum an Erkenntnis immer vorausgesetzt ist, – und sei es dieje­nige »Erkenntnis«, die der bloße Anschluß an die Gemeinschaft der Glaubenden ist61 –, ist die Stärke des »affectus« relativ unabhängig davon, in

61 Vgl. Anm. 23; 331D–332A: »Nam et fides etiam est de fide qua creditur quod nescitur, quia scienti et credenti creditur. Ille enim qui credenti credit, non inconvenienter credere dicitur quod ille credit cui credit; et si nesciat illud quid sit quod credit, et scit cui credit. Tales sunt simplices in sancta Ecciesia qui perfectioribus credentibus et cognoscentibus credunt ...« Natürlich handelt es sich hier um einen noch unmündigen Glauben.

welchem Maß die Erkenntnis expliziert ist. Die Entfaltung des Glaubensinhaltes kann eine Hilfe für den Glaubenden darstellen und ist auch im Maß der Fassungskraft des einzelnen Gläubigen durchaus zu leisten62. Man darf jedoch nicht mit einer

62 332CD: »Cum ergo fides cognitione crescit, adjuvatur, cum vero affectu crescit promeretur.«

verstiegenen Theologie folgern, jedermann müsse zu solcher vollständigen Explikation kommen, und anderenfalls sei sein Glaube nicht recht. Solche Überheblichkeit der Fachtheologie ist nach Hugos Auf­fassung nur ein Zeichen von noch größerer Dummheit63. Ihm geht es um eine Verant­wortung des Glaubens, der

63 335D: »Hoc idcirco commemoramus, quia agnovimus quosdam esse minus discretos, qui humanae possibilitatis mensuram nesciunt; quia suam passibilitatem non attendunt, et si attendunt, majori stultitia existimant hoc omnes esse debere, quo se prae caeteris vident amplius aliquid accepisse.« Rechter Glaube will geradezu zur Annahme der eigenen und der fremden »conditio humana« befreien.

auch der Glaube der Einfachen und Geringen sein kann. Nur eine solche Interpretation des Glaubens kann der Wahrheit entsprechen, die die <80> Erlangung des Heiles nicht von intellektueller Begabung abhängig macht und damit erschwert64. Man darf niemandem den Glauben nur deshalb absprechen, weil er

64 339AB: »Quocirca rectam fidem consulentes, commodiora saluti et propinquiora veritati confiteamur …«    

einzelne Glaubensaussagen nicht richtig versteht; vielmehr scheint für Hugo von St. Viktor erst mit solcher lieblosen Intoleranz die Häresie zu beginnen65. Hierher gehört

65 Als Beispiel für ein pietate-impius-Werden nennt Hugo von St. Viktor. 335CD: »Similiter sunt qui dicunt fidelem non esse qui vel aliter credit quaedam, quia per infirmitatem comprehendere non valet qualiter in ipsa veritate est, vel non omnia credit, quia per ignorantiam capere non potest quantum est.«

auch die Bemerkung, daß kein Mensch feststellen und darüber entscheiden kann, ob ein anderer wirklich gut oder schlecht ist66.

66 338D: »Si omnes hoc ab initio boni cognoverunt, quomodo vel mali hoc ignorare potuerunt, maxime cum ab ipsis bonis qui hoc percepissent, qui vere boni vel mali essent; quibus hoc revelandum vel celandum foret discerni non potuisset.«

Damit, daß das eigentliche Wesen des Glaubens in der Hingabe besteht, hängt es zusammen, daß Hugo von St. Viktor ihn nicht so sehr als eine bloße Sichtweise, sondern als ein Geschehen interpretiert, in dem man in das rechte Verhältnis zu Gott und zur Welt kommt. Im Glauben wird Gott die Gottheit »dargebracht«, und eben damit wird auch die Welt als das anerkannt und bejaht, was sie ist, nämlich die von Gott geliebte Schöpfung67. Man wird sie nicht mehr vergöttern noch jemals an ihr verzweifeln.

              67 Vgl. Anm. 36.

Im Glaubenstraktat Hugos von St. Viktor ist uns eine Weise der Verantwortung des Glaubens begegnet, in der theologische Reflexion und geistliche Erfahrung noch nicht auseinandergetreten sind und die Frömmigkeit nicht im Gegensatz zur profanen Bildung steht. Es wäre die Aufgabe heutiger Theologie, zu einer ähnlichen Gleichzei­tigkeit mit unserer Gegenwart zu gelangen, ja ihr durch die Hoffnung auf das allein Verläßliche, nämlich Gottes Liebe zum Menschen, voraus zu sein.  


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