Letzte Aktualisierung:  26. Mai 2016, PK

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Peter Knauer SJ 

Zum Jubiläumsablass (2000)

 
In ähnlicher Fassung erschienen in:
Zum Jubiläumsablass, in: Hirschberg – Monatsschrift des Bundes Neudeutschland, 53 (2000) Nr. 4, S. 24–25.

ZUSAMMENFASSUNG:
Ein Ablass läuft sachlich darauf hinaus, dass die Kirche ein bestimmtes Gebet ausdrücklich empfiehlt. Er hat weder die Struktur einer „Maßnahme“ noch einer „Bewilligung“.


Einer der Auslöser für die abendländische Kirchenspaltung war das Ablasswesen der römischen Kirche mit den damit verbundenen Missbräuchen. Zum Beispiel hatte Papst Sixtus IV. im Jahre 1476 bestimmt: Wer für die Instandsetzung der Kirche St. Peter zu Saintes eine bestimmte Summe Geldes zahle, könne damit für Verstorbene einen vollkommenen Ablass gewinnen. Es handele sich um den Nachlass von im Fegefeuer abzubüßenden Strafen für diejenigen, die sich bereits in ihrem Leben eines solchen Nachlasses würdig gezeigt hätten (DH 1398). Sixtus IV. nahm für sich die Vollmacht in Anspruch, aus dem „Kirchenschatz“ der Verdienste Christi und der Heiligen auch den Verstorbenen im Fegefeuer solche Strafnachlässe gewähren zu können. Daraus war dann öffentlich gefolgert worden, es sei im Grunde nicht einmal mehr nötig, für die Verstorbenen zu beten. Wegen der vielen Proteste versuchte damals Sixtus IV. ein Jahr später in einer Enzyklika auf ziemlich gewundene Weise den Sinn seiner ursprünglichen Bulle besser zu erklären. Es gehe um die „fürbittweise“ Zuwendung des Ablasses. In dieser Enzyklika stellte Sixtus IV. eine denkwürdige Regel auf: „Nach der Vorgehensweise der theologischen Wissenschaft muss doch jeder Satz [unserer kirchlichen Oberen], der einen unklaren Sinn enthält, immer in dem Sinn verstanden werden, in dem die Redeweise wahr wird [in quo vera redditur locutio].“ (DH 1407) Das Beste an der Enzyklika ist gerade diese Regel.

Paul VI. hat 1967 das Ablasswesen in der katholischen Kirche neu geordnet (vgl. Handbuch der Ablässe, Normen und Bewilligungen. Deutsche Ausgabe des Enchiridion Indulgentiarum, Rosenkranz-Verlag München 1971). Ein Ablass sei der „vor Gott gewährte Nachlass zeitlicher Strafe für der Schuld nach bereits getilgte Sünden“. Ein vollkommener Ablass befreie vollständig von zeitlichen Sündenstrafen, wofern man bereits alle Anhänglichkeit auch an lässliche Sünden aufgegeben habe; ein teilweiser Ablass gewähre „soviel Nachlass zeitlicher Sündenstrafen“, als der Gläubige „bereits durch sein eigenes Handeln empfängt“, wenn er das betreffende Gebet betet oder ein bestimmtes Werk ausführt! Sozusagen zur Eigenleistung ein ebenso großer Zuschuss! Ausdrücklich wird noch erwähnt, man könne einen Ablass für sich selbst gewinnen oder für bereits Verstorbene, nicht aber für noch lebende Mitchristen.

Die Vorstellung mag ziemlich befremdlich erscheinen, eine Sünde sei bereits vergeben, es müsse jedoch vor Gott noch eine Strafe für sie abgeleistet werden, die allerdings nach päpstlichem Ermessen auch wieder erlassen werden könne. Und verfügt der Papst tatsächlich über einen „Kirchenschatz“, mit dessen Mitteln er die Leiden der Verstorbenen im Fegefeuer abkürzen kann? Warum geht er dann so sparsam mit diesem Schatz um, anstatt alle diese Leiden auf einen Schlag zu beenden? Ob man sich die Läuterung der Verstorbenen wirklich nach diesem Modell vorstellen soll, ist natürlich noch eine weitere Frage.

Mit der Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ am 31. Oktober des Jahres 1999 ist die katholische Kirche aus ökumenischem guten Willen gleichsam über ihren Schatten gesprungen – oder wenigstens über den einiger römischer Gutachter. Aber mit der Verkündigung eines Jubiläumsablasses für das Jahr 2000 scheint sie einen solchen Sprung über den eigenen Schatten doch lieber wieder vermieden zu haben. Hat man sich missverständliche Redeweisen in langer Zeit erst einmal gut angewöhnt, wird es offenbar recht mühsam, sich von ihnen wieder zu lösen. Zumal wenn man dazu neigt, die Unfehlbarkeit des Glaubens mit der Meinung zu verwechseln, dass man sich selber immer richtig ausdrückt.

Die Voraussetzungen für die Gewinnung dieses Jubiläumsablasses sind: persönliche, vollständige, sakramentale Beichte, Teilnahme an der Eucharistie, Besuch einer vom Bischof bestimmten Kirche, Gebet nach Meinung des Heiligen Vaters (Vaterunser, Glaubensbekenntnis und Gegrüßet seist du, Maria).

All dies ist durchaus zu empfehlen. Das Problem ist nur, was denn der Ablass selbst soll. Gibt es vielleicht doch irgendeinen Sinn, in dem gemäß der Regel von Sixtus IV. die so befremdlichen Redeweisen der Ablasslehre „wahr werden“? Bekanntlich rät ja auch Ignatius von Loyola, eher bereit zu sein, die Aussagen des Nächsten zu retten als sie zu verurteilen (GÜ 22). Wie kann man mit der ökumenisch so wenig sensiblen Verkündigung eines Jubiläumsablasses trotz allem freundlich umgehen? Natürlich in der Hoffnung, man würde auch in Rom mit der Zeit mit den ungewohnten Redeweisen anderer freundlicher umgehen.

Im Zusammenhang mit der Neuordnung des Ablasswesens wurde 1968 in Rom in dem bereits erwähnten „Enchiridion Indulgentiarum“ eine Sammlung von Gebeten veröffentlicht, die mit einem Ablass verbunden werden. 1999 erschien dieses Buch in vierter, durchgesehener Auflage. Es handelt sich erstaunlicher- und erfreulicherweise um eine sehr schöne Sammlung der am meisten verbreiteten und wertvollsten christlichen Gebete; es ist sozusagen ein kleines Handbuch christlicher Spiritualität. Diese Gebete sind ein kostbarer „Kirchenschatz“, den die Kirche ihren Gläubigen sehr gerne applizieren möchte.

Ein solches Gebet oder ein bestimmtes gutes Werk oder vielleicht eine Wallfahrt mit einem Ablass zu versehen besagt in einfachem Deutsch tatsächlich nur, dass man all dies angelegentlich empfiehlt. Dies ist meines Erachtens auch die sachliche Quintessenz der neueren römischen Verlautbarungen zum Thema, wenn man einmal von deren üblicherweise so inflationärem Sprachgebrauch absieht: Die Gläubigen sollen zum Gebet und zur Bekehrung des Herzens ermutigt werden. Die Gewährung eines Ablasses fügt zu dem betreffenden Gebet nichts anderes hinzu als seine ausdrückliche Empfehlung durch die Kirche.

Entsprechend der Empfehlung zu beten oder zu handeln, bedeutet dann zugleich einen Akt der Solidarität mit unserer Kirche. Und selbstverständlich kann und sollte man auch für die Verstorbenen beten. Für Verstorbene beten bedeutet, um ihretwillen selber tiefer in Glaube, Hoffnung und Liebe hineinzuwachsen. Natürlich macht man damit auch eine Entfremdung von der Kirche als Folge der eigenen Sünden rückgängig. Und wer wollte bestreiten, dass dies auch zur Freude der uns in Christus verbunden bleibenden Verstorbenen gereicht; es ist der Vollzug unserer Gemeinschaft mit ihnen. Einen Ablass gewinnen dürfte nicht mehr und nicht weniger als dies sein.

Ein Ablassgebet zu beten ist jedenfalls nicht sinnvoll als so etwas wie eine „Maßnahme“ Gott gegenüber, sondern nur als ein liebevolles Antworten auf sein gutes Wort. Das ist ja überhaupt die Definition des Betens im Namen Jesu. Der Vorstellung von besonderen kirchlichen „Bewilligungen“ bedarf es dazu gar nicht so sehr. Eher müsste man davon sprechen, dass die Kirche ihren Schatz den Gläubigen dadurch zuwendet, dass sie ihnen bestimmte Gebete ausdrücklich empfiehlt. Ob dafür das Wort Ablass sehr hilfreich ist, mag offen bleiben.

 


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