Letzte Aktualisierung:  9. März 2012, PK

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Peter Knauer SJ 

Ökumene heute

 
Erschienen in:
Communitas. Périodique bimestriel: Foyer Catholique Européen, Sept.Oct. 2005, n. 324, 7–8.

ZUSAMMENFASSUNG:
Der christliche Glaube ist kein additiv zusammengesetztes Ganzes, so dass er auch
"unvollständig" sei könnte. Wo immer er überhaupt besteht, ist er ein und derselbe.




Viele haben seit Jahren den Eindruck, dass sich in der Ökumene nichts mehr tut. Das Augsburger Verständigungsdokument zur Rechtfertigungslehre aus dem Jahr 1999 scheint nahezu völlig folgenlos geblieben zu sein.

Zwar werden im Neuen Testament die Jünger Jesu aufgefordert, eins zu sein; aber heute lautet die offizielle Auskunft immer nur, dass dies so schnell nicht gehen könne. Wenn in irgendeiner Frage eine Verständigung erreicht wird, findet man ein neues Problem, das zuvor auch noch zu lösen sei.

Jesus selber hat für solche Differenzen das Gleichnis vom Splitter im Auge des Nächsten und dem Balken im eigenen Auge erzählt (Mt 7,1–5). Liegt die Trennung der Christen immer nur an den anderen, oder haben wir vielleicht selber noch immer einen Balken im Auge? Gibt es Hindernisse für die ökumenische Verständigung bei uns selbst? Würde es vielleicht sogar völlig genügen, sich nur mit dem Balken im eigenen Auge zu befassen?

Auf katholischer Seite geht man gewöhnlich davon aus, dass der Glaube der anderen Christen in manchen Punkten unvollständig sei, und solange dies der Fall sei, könnten wir keine volle Gemeinschaft miteinander haben, vor allem keine Kommuniongemeinschaft.

Aber trifft diese Vorstellung von der Möglichkeit eines unvollständigen christlichen Glaubens tatsächlich zu? Ist unser Glaube wie ein Schloss mit Seitenflügeln, Kuppeln und Türmchen, die nur zusammen die architektonische Harmonie ausmachen? Ist unser Glaube aus vielen einzelnen Dogmen zusammengesetzt, die man möglichst vollständig aufzählen muss? Hat unser Glaube die Struktur, dass wir dies und jenes glauben und darüber hinaus noch etwas und außerdem noch Verschiedenes sonst, so dass man versehentlich auch einmal etwas weglassen könnte?

In Wirklichkeit gilt vom christlichen Glauben: Die vielen verschiedenen Glaubensaussagen können immer nur ein und dieselbe Grundwirklichkeit entfalten, aber ihr niemals etwas hinzufügen. Der Grund vernünftigen Redens von Gott ist überhaupt alles Existierende, das wir als seine Schöpfung erkennen. Gott ist, ohne wen nichts von alldem sein könnte. Das ist noch Vernunfterkenntnis. Die Grundwirklichkeit des christlichen Glaubens selbst besteht im Glauben an Jesus Christus als den Sohn Gottes. Wir glauben aufgrund seines Wortes, in die ewige Liebe Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn, hinein geschaffen zu sein und allein so mit Gott Gemeinschaft haben zu können.

Dass wir in die Liebe des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist, aufgenommen sind, ist eine durch nichts mehr überbietbare Wirklichkeit. Alles, was wir glauben, ist darin bereits mitgegeben: Zum Beispiel die Eucharistie, wonach unser Glaube tatsächlich so von Jesus selbst lebt, wie das irdische Leben von der Nahrung. Zum Beispiel der Anspruch auf Unfehlbarkeit des Glaubens: Dass wir durch Jesus uns in die Liebe des Vater zu ihm als dem Sohn von Ewigkeit her aufgenommen wissen, kann man nur mit dem Anspruch auf absolute Verlässlichkeit vertreten; es lässt sich nur als das letzte Wort über überhaupt alle Wirklichkeit verstehen und kann durch nichts mehr relativiert werden. Zum Beispiel die Auferstehung, denn die Gemeinschaft mit Gott kann auch durch den Tod nicht aufgehoben werden und betrifft immer den ganzen Menschen; wer sich sich in der Liebe Gottes geborgen weiß, muss nicht mehr aus der Angst um sich selber leben. Zum Beispiel die Kirche selbst als das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Wortes Gottes.

Niemand kann einen noch größeren Glauben haben, als in dem obigen Satz ausgedrückt ist. Aber es gilt auch: Niemand kann Christ sein und sich mit weniger begnügen wollen. Würde jemand Jesus nur als einen vorbildlichen Menschen verstehen wollen, anstatt ihm die Gemeinschaft mit Gott zu verdanken, dann wäre er noch kein Christ, und es könnte sich auch noch nicht um Glauben handeln. Glauben im christlichen Verständnis ist immer auf Gottes Selbstmitteilung bezogen, darauf, dass Gott in seinem Wort sich selbst schenkt und wir seinen Geist empfangen.

Es gibt eine Reihe von Aussagen des II. Vatikanums, die für den Ökumenismus revolutionär sein müssten, sobald man sie miteinander verbindet. So heißt es zum Beispiel in der Kirchenkonstitution, dass die Gesamtheit der Gläubigen (universitas fidelium) im Glauben nicht irren könne (LG 12,1). Es gibt keinen anderen Glauben an Jesus Christus als den innerhalb der Gesamtheit der Glaubenden, denn man kann den Glauben nur von anderen Glaubenden übernehmen. Nun schreibt aber das Konzil im Ökumenismusdekret auch evangelischen Christen den Glauben an Jesus Christus zu. Gehören sie dann nicht ebenfalls zur Gesamtheit der Glaubenden, die im Glauben nicht irren kann? Tatsächlich heißt es in Bezug auf andere Glaubende, sie seien durch den Glauben und die Taufe gerechtfertigt und Christus eingegliedert („inkorporiert“) (UR 3,1). Ebenso spricht das Konzil von einer wirklichen Verbindung im Heiligen Geist, die zu den anderen Christen bestehe (LG 15). Kann es eine noch tiefere Verbindung von Menschen miteinander geben als eine solche im Heiligen Geist? Eine Verbindung, in der der Heilige Geist selber das verbindende Band ist (LG 7,3), lässt keine unterschiedlichen Grade zu, sondern ist unüberbietbar.

Kann Ökumenismus dann darin bestehen, eine noch tiefere Einheit zu suchen als die, welche bereits faktisch gegeben ist? Müssten nicht alle unsere ökumenischen Bemühungen nur darauf hinauslaufen, die bereits gegebene Einheit endlich zu erfassen und anzuerkennen?

Was hindert uns daran? Meines Erachtens beruhen die Trennungen zwischen Menschen, die an Jesus Christus als Sohn Gottes in dem Sinn glauben, dass sie sich von Gott mit der Liebe angenommen wissen, in der der Vater von Ewigkeit seinem eigenen Sohn zugewandt ist, nicht auf einem unterschiedlichen Glauben. Sie beruhen auf gegenseitigen Missverständnissen, deren Hauptgrund mangelndes gegenseitiges Zuhören, mangelnde Aufmerksamkeit ist, nicht Glaubensgewissheit, sondern bloße Selbstgewissheit.

Mit den verschiedenen christlichen Gemeinschaften verhält es sich wie mit unterschiedlichen Sprachen, für die es nur an guten Dolmetschern fehlt. Die von ihnen geglaubte Wahrheit, wenn es denn um Gottes Selbstmitteilung geht, ist ein und dieselbe. Aber oft kümmern wir uns auch in der katholischen Kirche wenig darum, dass unsere eigenen uns so vertrauten Redeweisen für andere vieldeutig und missverständlich bleiben. Deshalb ist ein aufmerksamer Dialog so notwendig.

Doch zur vollen Einheit der Kirchen müsste es genügen, im Glauben an Jesus Christus in dem erläuterten Sinn übereinzustimmen. Denn dies ist bereits der ganze und in sich selbst unüberbietbare, aber auch unverminderbare Glaube. Es handelt sich keineswegs um eine Art Minimalprogramm, sondern um den vollständigen Glauben, in dem alles impliziert ist.

Aber angeblich hindert uns insbesondere die unterschiedliche Sicht vom Amt in der Kirche. Die katholische Kirche meint, den anderen Kirchen sei die Fülle des Amtes verloren gegangen. Dabei lehrt sie selber, dass die von Christus der Gemeinschaft der Glaubenden eingestiftete Amtstruktur vom Heiligen Geist „unverlierbar“ (indefectibiliter) bewahrt werde (LG 27,1). Dies ist eine der vielen Aussagen des Konzils, die innerhalb unserer eigenen Kirche auch nach vierzig Jahren noch immer keine volle Beachtung gefunden haben.

Die Struktur des Amtes ist dadurch unverlierbar, dass der Glaube nicht anders als „vom Hören“ (Röm 10,17) kommen kann. Der Glaube muss einem von anderen verkündet werden. Dies gilt nicht nur für jeden einzelnen für sich, sondern auch für die ganze Gemeinschaft der Glaubenden. Es liegt am Wesen des Glaubens selber, dass Letzteres seinen Ausdruck finden können muss. Die Verkündigung gegenüber der Gemeinde als ganzer ist die Funktion des Amtes. Die notwendige Möglichkeit des Amtes ist mit dem Wesen des Glaubens selbst unverlierbar mitgegeben, selbst wenn sie manchmal latent bleibt. Es ist so wie mit der Eucharistie, in der immer die ganze Wirklichkeit Christi präsent ist, selbst wenn manchmal das Zeichen dafür unvollständig bleibt und man die Kommunion aus welchen Gründen auch immer nur unter der Gestalt des Brotes empfangen kann, anstatt einsetzungsgemäß unter den Gestalten von Brot und Wein.

Jeder Christ handelt, wo er den Glauben an Jesus Christus bezeugt, in der Person Christi und damit in seiner Autorität. Aber die Amtsträger handeln in der Person Christi „als Haupt“ (PO 2,3), das heißt gegenüber dem ganzen „Leib“ der Gemeinde; und gerade darin besteht ihr Amt. In diesem Sinn werden auch evangelische Christen, wenn man sie nur fragt, das Amt anerkennen: Die apostolische Sukzession der Amtsträger ist in der apostolischen Sukzession des Glaubens selber verwurzelt und nicht umgekehrt. Es gibt keinen anderen Glauben an Jesus Christus im Sinn seiner Gottessohnschaft als den der Apostel.

Ich persönlich kenne keinen Kontroverspunkt zumindest zwischen lutherischen, aber auch zwischen reformatorischen und katholischen Christen, in dem es nicht möglich wäre, die unterschiedlichen Ausdrucksweisen ineinander zu dolmetschen.

Die Apostelgeschichte berichtet, wie Petrus den Heiden Kornelius deshalb getauft hat, weil Gott den gleichen Geist des Glaubens auch ihm geschenkt hat. Er musste sich gegen Einwände aus der Jerusalemer Gemeinde mit den Worten verteidigen: „Wer bin ich, dass ich Gott hindern dürfte?“ (Apg 11,17) Könnte dies noch heute so etwas wie ein päpstliches Motto sein?

Vielleicht wird es einmal mit den Trennwänden zwischen den verschiedenen Kirchen von einem Tag zu anderen so gehen wie mit der Berliner Mauer, die 1989 unerwartet und rasch gefallen ist. Denn kann, wer an Jesus Christus glaubt, anderen, die dies in dem genannten, unüberbietbaren Sinn ebenfalls tun, die Gemeinschaft verweigern?

 


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