Letzte Aktualisierung:  17. Oktober 2012, PK

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Peter Knauer SJ

"Natürliche Gotteserkenntnis"

                                                           
Erschienen in:
Verifikationen,
Festschrift für Gerhard Ebeling zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Eberhard Jüngel, Johannes Wallmann, Wilfried Werbeck, Tübingen 1982, 275–294.

ZUSAMMENFASSUNG:
"Natürliche Gotteserkenntnis" besteht in der Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit, die aber als solche noch nicht Gemeinschaft mit Gott gibt. Keine geschaffene Qualität reicht aus, um Gemeinschaft mit Gott zu begründen.



 
Katholische Lehre behauptet die Möglichkeit einer "natürlichen Gotteserkenntnis". Evangelische Theologie erhebt dagegen fundamentale Bedenken. Wie können sich diese Bedenken auf das katholische Verständnis klärend auswirken? Dieser Frage wollen die folgenden Überlegungen nachgehen.

I. "Natürliche Gotteserkenntnis" nach katholischer Lehre

    1. Repräsentativ für die katholische Lehre sind die diesbezüglichen Texte des I. Vatikanums. "Gott, der Urgrund (principium) und das Ziel aller Dinge, kann mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Gewißheit (certo) erkannt werden." (DS 3004) Diese Gotteserkenntnis ist also an die Erkenntnis der geschaffenen Dinge gebunden. Strenggenommen wird nur behauptet, solche Gotteserkenntnis sei prinzipiell möglich; die Frage nach ihrer faktischen Verwirklichung bleibt offen. Ungeklärt bleibt z. B. auch, in welchem Sinn Gott das "Ziel" aller Dinge sein soll: Ist er ein Ziel, das angestrebt und erreicht werden kann? Können die Geschöpfe dieses Ziel aus eigener Kraft erreichen?

    Von aller "natürlichen" Erkenntnis ist die als solche "übernatürliche"
Glaubenserkenntnis sowohl nach Gegenstand (obiectum) wie nach Erkenntnisvermögen (principium) zu unterscheiden. Der Glaube bezieht sich auf "in Gott verborgene Geheimnisse, die nur durch Offenbarung zur Kenntnis gelangen können" (DS 3015). Mit "in Gott verborgen" scheint gemeint zu sein: nicht an der Welt ablesbar. Diese göttliche Offenbarung besteht in der Selbstmitteilung Gottes. In ihr macht Gott sich und seine Willensentscheide nicht nur kund (manifestat) (DS 3004), sondern schenkt sich selbst (communicat), wie das II. Vatikanum seine Zitation des I. Vatikanums ergänzt (Dei verbum 6,1). Bereits nach der Formulierung des I. Vatikanums geht es ja in dieser Offenbarung nicht um ein bloßes [276>] Erkennen von fern und entzogen Bleibendem, sondern um die "Teilhabe an göttlichen Gütern, die alle menschliche Erkenntniskraft übersteigen" (DS 3005). Mit diesen göttlichen Geheimnissen ist der Gegenstand des Glaubens gemeint: daß Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist ist; daß der Sohn um unsertwillen Mensch geworden ist; daß der Heilige Geist in die Herzen der Glaubenden gesandt wird. Eine solche Selbstmitteilung Gottes kann nur in demjenigen Glauben angenommen werden, den das I. Vatikanum mit der theologischen Tradition als "göttlich" bezeichnet (DS 3011.3015), wohl um anzudeuten, daß er als Gnade verstanden werden muß. Glaube im vollen Sinn des "credere in Deum" ist das Erfülltsein vom Heiligen Geist. Die "natürliche Erkenntnis" dagegen bezieht sich auf solche Dinge, die nicht in Gott verborgen sind, sondern an der (geschichtlichen) Welt selbst abgelesen werden können und somit bereits der natürlichen Vernunft als solcher, die wie die Welt selbst geschichtlich ist, zugänglich sind.

    Indem nach katholischer Lehre der Glaube als übernatürliche Erkenntnis von aller natürlichen Erkenntnis überhaupt unterschieden wird, ist er selbstverständlich auch von der eingangs genannten "natürlichen Gotteserkenntnis" zu unterscheiden. Offen bleibt dabei, ob "natürliche Gotteserkenntnis" als ein besonderer Bereich der natürlichen Erkenntnis zu verstehen ist oder aber vielleicht überhaupt alle natürliche Erkenntnis als Erkenntnis von "geschaffenen Dingen" sozusagen in obliquo auch Gotteserkenntnis sein soll. Offen bleibt ferner, wie sich jene "natürliche Gotteserkenntnis aus den geschaffenen Dingen" zum eigentlichen Glauben an Gott als Schöpfer verhält. Ist nicht in gewissem Sinn auch die Existenz Gottes bereits Gegenstand übernatürlichen Glaubens (vgl. Hebr 11,6)?

    Der übernatürlichen Gotteserkenntnis, die im Glauben besteht, ist nach der Lehre des I. Vatikanums als eine Art willkommener Nebenwirkung zugleich zuzuschreiben, daß jene natürliche Gotteserkenntnis "auch in der gegenwärtigen Situation des Menschengeschlechtes von jedermann (ab omnibus) leicht, in fester Gewißheit und ohne Beimischung von Irrtum" erreicht werden kann (DS 3005). Mit "der gegenwärtigen Situation des Menschengeschlechtes" wird offenbar auf die erbsündliche Situation angespielt. Der Text läßt es offen, wie sich das "für jedermann" gelten sollende "leicht, mit fester Gewißheit und ohne Beimischung von Irrtum" zu dem ursprünglichen „mit Gewißheit" im erstzitierten Text (DS 3004) verhält. Dort wurde die prinzipielle Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis noch ganz abgesehen von der Situation ausgesagt, in der sich die Menschheit befindet. Handelt es sich gegenüber dem ursprünglichen „mit Gewißheit" um eine Steigerung? Oder ist die Wiederherstellung einer irgendwie verlo[277>]rengegangenen, zumindest beeinträchtigten Gewißheit gemeint? Für Letzteres spricht, daß eine noch mit Irrtum vermischte Erkenntnis nicht gut als im Sinn von DS 3004 „gewiß" bezeichnet werden könnte.


    2. Welche sind die Anliegen, die hinter einer solchen Lehre von der Möglichkeit „natürlicher Gotteserkenntnis" stehen? Abgesehen davon, daß man sie z. B. in Röm 1,20 und seinem Kontext biblisch grundgelegt sieht, geht es hermeneutisch vor allem darum, einen Anknüpfungspunkt für das „Wort Gottes" namhaft zu machen.

    Zum einen setzt die Glaubensverkündigung zweifellos den mit Vernunft begabten und auf seine sittliche Verantwortung ansprechbaren Menschen voraus. Diese Voraussetzung kann für das Glaubensverständnis nicht gleichgültig sein.

    Sodann versteht sich die Glaubensverkündigung ja als das Geschehen und die Mitteilung göttlicher Gnade. Von „Gnade" kann aber sinnvoll nur so die Rede sein, daß sie als das gegenüber der eigenen Wirklichkeit des Menschen Neue erscheint. Die Gnade setzt die Natur gerade dazu voraus, um sich von ihr als ungeschuldet abheben zu können. Gewiß hat in der Sicht des Glaubens der Mensch auch seine eigene Wirklichkeit, die das von Gott Verschiedene ist, bereits als Geschenk empfangen. Aber mit „Gnade" ist etwas gemeint, was darüber hinausgeht, nämlich die Selbstmitteilung Gottes. Sie ist gegenüber der Geschöpflichkeit als solcher noch einmal Geschenk.
   
    Nun tritt aber die Glaubensverkündigung bei all ihrer Neuheit doch nicht wie eine vollkommen unbekannte Fremdsprache an den Menschen heran. Sie gebraucht vielmehr Worte, deren Bedeutung einem schon im voraus zur Begegnung mit der christlichen Glaubensverkündigung irgendwie bekannt ist, selbst wenn diese Bedeutung dann von der Glaubensverkündigung noch modifiziert werden mag. Insofern setzt das übernatürliche Glaubenserkennen ein davon unterscheidbares natürliches Erkennen beim angesprochenen Menschen voraus.
   
    Weiterhin will die Glaubensverkündigung nicht nur wie etwas beliebig zum Menschen Hinzukommendes verstanden werden. Zwar kann der natürliche Mensch von sich aus in keiner Weise die Gnade fordern. Aber deshalb ist sie durchaus nicht etwas bloß Zusätzliches, angesichts dessen jemand rechtens indifferent bleiben könnte. Das Angebot der Gnade will vielmehr so verstanden werden, daß einerseits seine Annahme selber von der Gnade Gottes getragen sein muß, aber anderseits seine Ablehnung sich als willkürlicher Akt und damit als zumindest begonnene Selbstzerstörung des natürlichen Menschen vernünftig aufweisen läßt.
   
    Deshalb formuliert das I. Vatikanum, daß der Mensch bereits mit seiner [278>] natürlichen Vernunft in irgendeiner Weise mit Gott zu tun haben müsse: „Wenn jemand sagt, die menschliche Vernunft sei so unabhängig, daß ihr der Glaube von Gott nicht befohlen werden könne, der sei ausgeschlossen." (DS 3031) Gemeint ist, daß bereits die natürliche Vernunft von Gott abhängig sei. Man mag fragen, ob denn das Angebot der Gnade und des Glaubens die Form eines Befehls oder einer gesetzlichen Forderung und nicht vielmehr einer frohmachenden Botschaft und einer an das Verstehen appellierenden Bitte (vgl. 2Kor 5,20) habe. Jedenfalls aber soll gesagt werden, daß eine definitive Ablehnung der christlichen Botschaft sich nicht stichhaltig begründen lasse. Solcher eigentlicher Unglaube sei ein Willkürakt. Bereits im Neuen Testament gilt Unglaube als nicht zu verantworten und wird als Sünde vorgeworfen (vgl. z. B. Joh 15,22.25).
   
    Die übernatürliche Erkenntnis, die im Glauben besteht, setzt also sicher eine natürliche Erkenntnis voraus. Es ist nur noch die Frage, ob denn diese natürliche Erkenntnis auch schon als Gotteserkenntnis angesprochen werden muß. Vielleicht wird sie zur ausdrücklichen Gotteserkenntnis erst durch das Hinzukommen der Glaubensverkündigung?

    Jedenfalls aber muß, wer „Wort Gottes" verkünden will, doch auch sagen können, wer denn „Gott" überhaupt ist. „Wort Gottes", Angesprochenwerden durch Gott in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens, scheint vorauszusetzen, daß die Bedeutung des Wortes „Gott" bereits im voraus zur Zustimmung zum „Wort Gottes" verstanden werden kann.

    Für die Möglichkeit „natürlicher Gotteserkenntnis" spricht insbesondere, daß sie sich angeblich aus der Erkenntnis der „geschaffenen Dinge" ergibt, die ja nichts anderes als die Welt selbst sind. Geschöpflichkeit wäre als mit der realen Existenz der geschaffenen Dinge völlig identisch zu verstehen. Denn wenn behauptet wird, sie seien „aus dem Nichts" - also in allem, worin sie sich vom Nichts unterscheiden, nämlich restlos und in jeder Hinsicht, unter der sie überhaupt sind - „geschaffen", dann ist damit eine restlose Abhängigkeit der Dinge von Gott gemeint, welche ihrer Eigenständigkeit nicht nur direkt proportional ist, sondern sogar mit dieser Eigenständigkeit identifiziert werden muß. Im Unterschied zur Gnade, die an nichts Geschaffenem ihr Maß hat und deshalb daran auch nicht ablesbar sein kann, wäre Geschöpflichkeit ein Sachverhalt, der genau in dem Maß bestünde, in dem etwas überhaupt wirklich ist. Dann aber muß sie, wenn sie überhaupt besteht, an dem betreffenden Seienden abgelesen werden können. Das ist der Grund, weshalb es nach katholischer Lehre möglich sein muß, Geschöpflichkeit mit dem Licht der natürlichen Vernunft zu erkennen. Die Erkenntnis von Geschöpflichkeit scheint aber bereits Gotteserkenntnis zu sein. Zu [279>] fragen bleibt, wie gesagt, lediglich, in welchem darüber hinausgehenden Sinn Geschöpflichkeit nur dem Glauben selbst zugänglich ist.
  
    3. Umstritten ist in katholischer Theologie der genaue Status des Begriffs des „bloß Natürlichen". Kann man für die konkrete Ordnung diesen Begriff überhaupt noch eindeutig bilden? Ist nicht die ganze Schöpfung in einer Art „übernatürlichem Existential" schon immer auf ein übernatürliches Ziel hingeordnet, so daß es faktisch gar keine „bloße Natur" gibt? Man meint deshalb gelegentlich, es handele sich nur um einen hypothetischen „Grenzbegriff". An der konkreten Wirklichkeit der menschlichen Geistigkeit lasse sich gar nicht klar unterscheiden, was daran noch „nur natürlich" ist und was bereits von der übernatürlichen Erhöhung bestimmt ist. Man spricht geradezu von einem „natürlichen Verlangen nach der Gottesschau", wobei es dann schwer wird, die gleichzeitig behauptete gänzliche Ungeschuldetheit der Gnade aufrechtzuerhalten. Letzteres wird auch dann schwierig, wenn man meint, aus natürlichen Erkenntnissen eine positive Verpflichtung zur Annahme der übernatürlichen Offenbarung ableiten zu können. Demgegenüber wird das „übernatürliche Existential" manchmal genau deshalb für notwendig gehalten, weil man nur so ausschließen zu können glaubt, daß jemand angesichts des Angebots der Gnade mit Recht indifferent bleiben kann. Dann wird die natürliche Geistigkeit des Menschen so verstanden, daß man aus ihr bereits die prinzipielle Möglichkeit einer Offenbarung ableiten kann; nur die tatsächliche Verwirklichung einer solchen übernatürlichen Offenbarung lasse sich von der Natur her nicht postulieren. 

    In solchen Auffassungen scheint jedoch übersehen zu werden, daß der Begriff des „bloß Natürlichen" nicht die faktische übernatürliche Erhöhung negiert, sondern lediglich von ihr absieht. Alles, was abgesehen von der Wahrheit des Glaubens zugänglich ist, ist als „bloß natürlich" zu bezeichnen, selbst wenn es unter anderer Hinsicht „übernatürlich erhöht" sein mag und im Licht des Glaubens in dieser tieferen Bedeutung gesehen wird. Die „Vögel am Himmel und die Lilien des Feldes" lassen sich abgesehen vom Glauben erkennen; ihre Bedeutung als Bild der Liebe Gottes ist jedoch nur dem Glauben zugänglich (vgl. Mt 6,25-34). Die Rede von einem „übernatürlichen Existential" ist nur deshalb notwendig, weil nach der traditionellen Gnadenlehre gilt, daß man die Gnade Gottes niemals anders als in einem bereits von der Gnade getragenen Akt annehmen kann. Der Mensch muß also von vornherein in der Gnade Gottes stehen, noch ehe er selbst darum weiß. Aber dieses übernatürliche Existential ist als göttliche Selbstmitteilung grundsätzlich am Geschöpf verborgen und kann nur durch die christliche Verkündigung offenbar werden. Es läßt [280>] sich nicht durch Innenschau vom Menschen erkennen. Daß man gegenüber dem Angebot der Gnade in der christlichen Verkündigung nicht mit Recht indifferent bleiben kann, liegt nicht am „übernatürlichen Existential", sondern an der natürlichen „potentia oboedientialis" des Menschen: Seine Geistnatur ist solcher Art, daß sie, nachdem ihr einmal die christliche Verkündigung in klarer Form begegnet ist, in sich keine letztlich stichhaltigen Gründe findet, sich ihr zu verschließen. Das ist allerdings etwas völlig anderes als eine Ableitung der positiven Möglichkeit von Offenbarung. Grundsätzlich würde es dem Gnadencharakter des Glaubens widerstreiten, wenn man eine natürlich erkennbare Verpflichtung zum Glauben annehmen wollte. Auch nur die positive Berechtigung des Glaubens wird erst im Glauben selber erkannt. Die Willkür jeder anderen Stellungnahme zur Botschaft ist dagegen vor der natürlichen Vernunft ausweisbar, während es nicht möglich ist, auch dem Glauben Willkür nachzuweisen; seine tatsächliche Nichtwillkür ist aber auch so nur in der Weise des Glaubens erkennbar.

II. Einwände gegen „natürliche Gotteserkenntnis" 

    1. Die Lehre von der „natürlichen Gotteserkenntnis" erweckt den Anschein, dem Menschen gegenüber der göttlichen Offenbarung wenigstens eine gewisse Initiative zuzuschreiben. Er scheint demnach zunächst kraft seiner natürlichen Vernunft und damit von sich aus Gott erkennen zu können; und so erweckt er in sich selbst die Erwartung einer darüber vielleicht noch hinausgehenden göttlichen Offenbarung. Der Mensch ist hier von sich aus aufgrund seines geistigen Transzendierens „Hörer des Wortes" in dem Sinn, daß er nach einer möglichen Offenbarung Ausschau zu halten beginnt. Aber widerspricht dies nicht einer Glaubensverkündigung, nach der „in keines Menschen Herz aufgestiegen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben" (1Kor 2,9)? Besteht nicht die Liebe darin, „nicht daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat" (1Joh 4,10)? Läßt die Schrift noch eine irgendwie geartete Initiative des Menschen Gott gegenüber zu? Versteht sie ihn nicht vielmehr als den von sich aus gegenüber Gott Verschlossenen?

    2. Die Auffassung, daß dem Menschen gegenüber der göttlichen Offenbarung eine Initiative zukommt, scheint auch die erbsündliche Situation zu vergessen. Ist nicht möglicherweise diese Auffassung selbst Ausfluß der erbsündlichen Situation? Gerade in dieser Auffassung von der Selbständigkeit und Initiative des Menschen Gott gegenüber könnte sein mitgebrach[281>]tes Sündersein zum Ausdruck kommen. Die Meinung, von sich aus zu einer „unschuldigen" und gleichsam neutralen Gotteserkenntnis in der Lage zu sein, könnte sich im Licht der Offenbarung als allergrößte Schuld erweisen. Ist sie nicht diejenige „Frömmigkeit", die den Menschen für das Kreuz Christi verschließt, ja die selber dieses Kreuz verursacht hat (vgl. das vermeintliche „Gott einen Dienst erweisen" in Joh 16,2)?

    3. Tatsächlich scheint es, daß gerade die klassischen sogenannten „Gottesbeweise" von ungeprüften Voraussetzungen ausgehen, was kaum anders denn als grundlegende Situationsverkennung bezeichnet werden kann. Wenn man mit Hilfe irgendwelcher umfassenden Denkprinzipien von der Welt auf Gott schließen zu können meint, so setzt dies, auch wenn man sich dessen nicht ausdrücklich bewußt ist, voraus, daß man mit dem eigenen Denken noch über Gott und Welt steht. Man nimmt sozusagen einen allerabsolutesten Standpunkt ein. Gott wird zum Schlußstein einer metaphysischen Synthese, die sich der Mensch selber zurechtmacht.

   
    Auch wenn man nicht von der Welt auf Gott schließen will, sondern
etwa die Existenz Gottes aus der Gegebenheit des Gottesbegriffs abzuleiten sucht, setzt dies bereits voraus, daß Gott „unter" einen menschlichen Begriff fällt, mit dem man dann weiter logisch operieren kann. Mit dieser stillschweigenden Voraussetzung widerspricht man aber ebenso wie mit dem Versuch, von der Welt auf Gott zu schließen, der in der Tradition seit je behaupteten „Unbegreiflichkeit" Gottes. Es scheint, daß die klassischen sogenannten „Gottesbeweise" diese „Unbegreiflichkeit" Gottes nicht ernst nehmen.

    4. Gegenüber derartigen Modellen „natürlicher Gotteserkenntnis" wird
auch von der allgemeinen Religionskritik eingewandt, daß der darin erreichte Gottesbegriff auf einer menschlichen Selbstprojektion beruhe. Es ist tatsächlich zu befürchten, daß Verfälschungen der christlichen Botschaft verbreitet sind, die von diesem Einwand getroffen werden. Sie beruhen allesamt auf einer verkommenen „natürlichen Theologie".

    5. Durch solche vermeintliche „natürliche Gotteserkenntnis" soll der
Glaube an eine übernatürliche Offenbarung erleichtert werden, indem sie erwartbar und plausibel gemacht wird. Indem man die Existenz Gottes beweist, meint man, zugleich begründen zu können, daß er aufgrund seiner Allmacht in besonderer Weise in den Lauf der Welt eingreifen und sich dadurch auch offenbaren könne. Aber gerade mit dieser Vorstellung scheint sich der Mensch zum Richter über die Offenbarung zu erheben. Er entwirft mit seiner natürlichen Vernunft den Rahmen, in den er eine eventuelle Offenbarung einfügen kann. Das Umfassende wäre die Vernunfterkenntnis. Dadurch wird jedoch die Offenbarung in ihrer Gewißheit [282>] von der Gewißheit natürlicher Gotteserkenntnis abhängig und könnte nie mehr über deren Gewißheit wirklich hinausgehen. Das bedeutet, daß der Mensch das letzte Wort nicht Gott, sondern sich selber zuschreibt. Der Satz, daß die Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern vollendet, käme zu der makabren Bedeutung, daß die Offenbarung den Menschen nur in seiner Selbstüberhebung bestätigt. Welch eine Perversion des christlichen Glaubens!

    Es gibt diese Weise, sich selbst zum Richter über die Offenbarung zu
machen, auch unter dem Anschein des Gegenteils. Man entwirft alle möglichen Vorstellungen von einem besonderen Eingreifen Gottes in die Welt, welches eventuelle Offenbarungen beglaubigen würde. Alle kritischen Fragen werden mit dem Verdikt des Rationalismus versehen. Man könne Gott schließlich nicht verbieten, auf welche Weise auch immer in die Welt einzugreifen. Jede Vermischung von Gott und Welt wird für möglich gehalten. In Wirklichkeit bedeutet dies keineswegs, sich für Gottes Handeln offen zu halten, sondern man ist nur nicht bereit, der eigenen Phantasie Zügel anzulegen und Glaube von Aberglauben zu unterscheiden.

III. Erneut bedachte „natürliche Gotteserkenntnis"

    Die genannten Einwände gegen die Möglichkeit „natürlicher Gotteserkenntnis" in deren üblichem Verständnis sind ernst zu nehmen. Sie können dazu beitragen, die Lehre von der „natürlichen Gotteserkenntnis" aus einer im katholischen Denken gewöhnlich gar nicht klar wahrgenommenen Doppeldeutigkeit und Zwielichtigkeit zu befreien. Den Einwänden entsprechen die folgenden Hinweise in gleicher Reihenfolge.

    1. Um die Gefahr zu meiden, „natürliche Gotteserkenntnis" als eine wie auch immer geartete Eigeninitiative des Menschen in Richtung auf Gott und seine übernatürliche Offenbarung mißzuverstehen, ist erstens davon auszugehen, daß in Wirklichkeit alle diesbezügliche Initiative allein bei der christlichen Verkündigung selbst liegt.
   
    Wenn man einem anderen Menschen die christliche Botschaft nahebrin
gen will, ist der Ausgangspunkt für eine Verantwortung dieser Botschaft nicht der andere im voraus zu seiner Begegnung mit ihr, sondern gerade insofern er bereits der von der Botschaft Angesprochene ist. Anstatt ihn von außen an die christliche Verkündigung heranzuführen und gewissermaßen zur Suche nach ihr bewegen zu wollen, muß man davon ausgehen, daß es die christliche Verkündigung selber ist, die ihn aufgesucht hat. Man kann einem anderen zur Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft [283>] nur in der Weise helfen, daß man ihm diese Botschaft selbst in ihrem Bezug auf ihn erläutert. Wer der christlichen Botschaft begegnet, mag als erste Reaktion sagen, daß er sie nicht erwartet habe und auch kein Bedürfnis nach ihr verspüre. Aber genau dadurch, daß er einem Zeugen der christlichen Botschaft begegnet, wird er vor die Wahl gestellt, diesen Zeugen entweder von vornherein als Person abzulehnen oder aber sich mit der von ihm bezeugten Sache zu befassen. An diesem Punkt setzt die Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft ein. Von der Botschaft her mögen dann auch Erfahrungen erneut in den Blick kommen, die jemand bereits im voraus zur Begegnung mit ihr gemacht hat. Es sollte aber nicht verschleiert werden, daß auch der Ausgangspunkt für die erneute Betrachtung dieser Erfahrungen wiederum nur die Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft selbst ist; denn in ihrem Licht werden jene Erfahrungen gesehen.

    Auch wenn man christlich mit einem bereits im voraus zur Begegnung
mit dem christlichen Glauben bestehenden „anonymen Glauben" rechnet, der eine gnadenhafte Hinordnung auf die christliche Botschaft wäre (vgl. Joh 3,25), wird dieser anonyme Glaube doch erst durch die christliche Botschaft namhaft gemacht und von anderen Strebungen des Herzens angebbar unterschieden.

    So gilt überhaupt, daß alle christliche Theologie und insbesondere die Fundamentaltheologie sachgemäß nur bei der Tatsache einsetzen kann, daß man faktisch bereits mit der christlichen Verkündigung konfrontiert ist. Jeder andere Versuch würde die Vorprogrammierung von Mißverständnissen bedeuten.

    2. Die christliche Verkündigung muß sodann zunächst inhaltlich erläu
tert werden, wenn die Frage beantwortet werden soll, inwiefern sie eine „natürliche Gotteserkenntnis" impliziert bzw. voraussetzt.
   
    Die christliche Botschaft versteht sich selbst als „Wort Gottes". „Wort
Gottes" ist die Selbstmitteilung Gottes in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens. Durch die im Angesprochenwerden durch Gott bestehende Gemeinschaft mit Gott soll der Mensch aus der Macht der Angst um sich selbst befreit werden, die sonst die Wurzel aller Unmenschlichkeit ist. Gemeinschaft mit Gott kann aber nur dann alle Angst entmachten, wenn Gott als der zu verstehen ist, der in allem mächtig ist, was immer geschieht.
   
    Tatsächlich führt die christliche Botschaft selber die Bedeutung des
Wortes „Gott" durch den Hinweis auf die Geschöpflichkeit der Welt ein. Sie behauptet, alle Wirklichkeit unserer Welt sei aus dem Nichts geschaffen. Dieser Aussage wird man nicht mit der üblichen Vorstellung gerecht, daß der Existenz der Welt als ganzer eine absolute Leere vorausgeht und die Welt dann durch die Einwirkung einer ersten Ursache hergestellt worden [284>] ist. Für „aus dem Nichts geschaffen sein" gibt es keine andere letztlich sinnvolle und konsistente Erläuterung als die, daß alle Wirklichkeit der Welt in jeder Hinsicht, unter der sie sich vom Nichts unterscheidet, in einem „restlosen Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ..." aufgeht. Mit „restlos" ist dabei die jeweilige konkrete Wirklichkeit in allen ihren Bestimmungen gemeint, wie man sie eben vorfindet. Das Woraufhin dieses „restlosen Bezogenseins auf..." und „restlosen Verschiedenseins von..." wird von der christlichen Botschaft „Gott" genannt; es kann aber nur durch die Restlosigkeit des Bezogenseins auf es überhaupt definiert werden. Man weiß also nicht zuerst, wer „Gott" ist, um dann sagen zu können, daß die Welt im Bezogensein auf ihn aufgeht; sondern man muß zuerst erkennen, daß weltliche Wirklichkeit ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ..." ist, um überhaupt von dem Woraufhin dieses Bezogenseins sprechen zu können. So ist „Gott" nach der christlichen Botschaft der, „ohne den nichts ist". Dieses „nicht sein können ohne ..." ist umfassend von allem auszusagen, was überhaupt als wirklich begegnet, einschließlich des Leids und des Bösen. Man kann zwar nichts von Gott herleiten; aber von allem, was tatsächlich geschieht, ist auszusagen, daß es ohne ihn nicht sein kann.

    Ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit
von ..." besagt im Gegensatz zu allen innerweltlichen Beziehungen, die immer irgendeine Gegenseitigkeit einschließen, seinem Begriff nach eine vollkommen einseitige Beziehung. Was restlos in der Beziehung auf etwas anderes aufgeht, kann nicht darüber hinaus konstitutiver Terminus einer Beziehung dieses anderen auf es selbst sein. Wenn aber Geschöpflichkeit eine einseitige Beziehung bedeutet, wie kann dann noch eine Gemeinschaft des Geschöpfes mit Gott ausgesagt werden, wie sie doch in der christlichen Botschaft behauptet wird? Denn der Anspruch der christlichen Botschaft, „Wort Gottes" zu sein, bedeutet doch die Behauptung, daß das Geschöpf durch Gott angesprochen werde, ja daß Gott sich dem Geschöpf in solchem Wort liebend zuwende. Auf diese Frage antwortet erst und allein der Inhalt dieses Wortes selbst. Es verkündet Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist, um uns sagen zu können, daß wir in die Liebe Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn, aufgenommen seien, die der Heilige Geist ist. Die so verkündete Liebe Gottes zur Welt hat nicht an dieser selber ihr Maß, sondern allein an Gottes göttlichem Gegenüber von Ewigkeit her, nämlich am Sohn. Eine „übernatürliche Erhöhung" des Menschen kann nur so ausgesagt werden, daß dieser in eine göttliche Beziehung Gottes auf Gott aufgenommen ist. Daß aber der Mensch in die Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen ist - dies bezeichnet die christliche Tradition mit dem Wort [285>]„Gnade" -, ist nicht am Menschen selbst ablesbar, sondern wird nur so offenbar, daß es zu ihm dazugesagt wird; und gerade so wird diese Wirklichkeit wirksam. Dafür, in diesem Sinn „Wort Gottes" zu sein, beruft sich die christliche Verkündigung auf die Menschwerdung des Sohnes: Der Mensch Jesus von Nazaret, den die christliche Botschaft ihren Urheber nennt (vgl. Joh 1,17 f), ist vom ersten Augenblick seiner Existenz an in den Selbstbesitz der zweiten göttlichen Person aufgenommen. Und wir können seine Botschaft nur deshalb in der Weise eines Glaubens annehmen, der das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist, weil unser Geschaffensein verborgen ein „In Christus"-Geschaffensein ist. Die Welt ist von Anfang an in die Liebe des Vaters zum Sohn hineingeschaffen, und gerade dies wird ihr in der göttlichen Offenbarung eröffnet. Zugleich zielt das verborgene „In Christus"-Geschaffensein von Anfang an auf dieses Offenbarwerden.
   
    In der christlichen Botschaft selbst wird also von der Welt „Geschöpflichkeit" in einem doppelten Sinn ausgesagt, zunächst als ihr „Geschaffensein" überhaupt und dann als ihr „In Christus"-Geschaffensein. Das Geschaffensein überhaupt wäre mit der auch abgesehen von der Wahrheit
des Glaubens zugänglichen weltlichen Wirklichkeit als solcher identisch, während das „In Christus" dieses Geschaffenseins nicht an der weltlichen Wirklichkeit sein Maß hat und deshalb auch nicht daran abgelesen werden kann. Die Gemeinschaft mit Gott wird nur durch das Wort für den Glauben allein offenbar. Glaubensgegenstand ist Geschöpflichkeit also erst im Sinn des „In Christus"-Geschaffenseins, während abgesehen von dem „In Christus" das „Geschaffensein" als solches bereits von der Vernunft erkannt wird und deshalb nicht mehr Glaubensgegenstand sein kann.
   
    In der Tradition wird gelehrt, daß das Handeln Gottes nach außen den drei Personen gemeinsam sei (vgl. DS 801.804.1330). Das soll bedeuten:
Was unserer natürlichen Erkenntnis zugänglich ist, nämlich unsere eigene Geschöpflichkeit, aber auch die historische Existenz Jesu und der Kirche, ist solcherart, daß daran noch nichts über die Gnade Gottes erkannt werden kann. Weder wird die Dreifaltigkeit Gottes erkannt, noch ist am Menschen Jesus seine Gottessohnschaft bereits ablesbar, und auch die Kirche wird so noch nicht als vom Heiligen Geist erfüllt erkannt. Alles das wird allenfalls als behauptet erkannt, aber in seiner Wahrheit ist es erst dem Glauben zugänglich. Im Glauben dagegen erkennt man, daß die Welt „in Christus" geschaffen ist, daß der Mensch Jesus aufgenommen ist in den Selbstbesitz des Logos und daß die Kirche vom Heiligen Geist beseelt ist. Das sind aber dann nicht mehr Werke Gottes „nach außen", sondern das von Gott Verschiedene, die geschaffene Wirklichkeit, wird dabei als in Gottes eigenes Leben aufgenommen erkannt.
   
     [286>] Die Erkenntnis des Geschaffenseins aller weltlichen Wirklichkeit und damit auch unserer selbst wäre als „natürliche Gotteserkenntnis" zu bezeichnen. Es handelt sich aber um eine Erkenntnis, die erst durch die Begegnung des Menschen mit der christlichen Botschaft zur Ausdrücklichkeit gelangt. Um „natürliche Gotteserkenntnis" gewissermaßen freizulegen, geht die christliche Botschaft korrigierend auf das mitgebrachte Vorverständnis des Menschen ein. In unserer geschichtlichen Situation beziehen sich diese notwendigen Korrekturen zum einen auf den Ausgangspunkt des Menschen bei seiner Selbstgewißheit, zum anderen darauf, daß er ungeprüft als Grundkategorie seines Denkens das in sich stehende Ding versteht, und schließlich darauf, daß er es zu Unrecht für das letzte Wahrheitskriterium hält, alles in den Rahmen seiner bisherigen Erfahrung und Begrifflichkeit einordnen zu können.

    3. Von sich aus würde der Mensch einen „Gottesbeweis" in der Weise versuchen wollen, daß er von der Existenz seiner selbst oder der Welt als einem sicheren, in sich feststehenden Datum ausgeht und mit Hilfe irgendwelcher Denkprinzipien auf Gott etwa als Ursache schließt. Mit der Lehre vom „Geschaffensein" der Welt „aus dem Nichts" wird durch die christliche Botschaft ein solches Projekt in Frage gestellt. Die Welt kann nur dann als „aus dem Nichts geschaffen" angesehen werden, wenn die einzige Weise, sie letztlich widerspruchsfrei zu beschreiben, in der Aussage besteht, daß sie ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ... " ist.

    In der Tat stellt nämlich alle weltliche Wirklichkeit ein dialektisches und als solches problematisches Zugleich von einander ausschließenden Gegensätzen dar (Sein und Nichtsein = Endlichkeit; Notwendigkeit und Nichtnotwendigkeit = Kontingenz; Identität und Nichtidentität = Veränderung; usw.). Wann immer man irgendeinen Sachverhalt der Welt beschreibt und dabei den Anspruch erhebt, sinnvoll zu reden, setzt man im Grunde voraus, das dabei unvermeidlich auftretende Problem beantworten zu können, wie sich die betreffende Einheit von Gegensätzen von einem logischen Widerspruch in der Beschreibung unterscheiden lasse. Konkret ist das aber nur mit der Aussage möglich, das jeweilige Zugleich von Gegensätzen sei ein „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von  ... ". In überhaupt jeder Aussage, die sinnvoll, d. h. von einem logischen Widerspruch angebbar unterscheidbar zu sein beansprucht, ist die Anerkennung ihrer so verstandenen Geschöpflichkeit sachlich bereits impliziert. Dies ist ganz unabhängig davon der Fall, ob es einem gefällt oder nicht. Mit ihrer Rede von der Geschöpflichkeit der Welt macht die christliche Botschaft diesen Sachverhalt nur ausdrücklich. Das tut sie, um [287>] das Wort „Gott" in ihrer Rede von „Wort Gottes" verständlich zu machen. Ohne dieses Interesse wäre es nicht notwendig, überhaupt ausdrücklich von „Gott" zu reden.

    Mit ihrer Auffassung von der Geschöpflichkeit alles Wirklichen stellt
die
christliche Botschaft also das Vorverständnis in Frage, als sei die Wirklichkeit unserer Erfahrung ein in sich problemloser, zunächst einfach bestehender Sachverhalt, von dem aus man erst durch zusätzliche Anwendung von Denkprinzipien auf sein Geschaffensein schließen könnte. Vielmehr läßt sie die weltliche Wirklichkeit als einen von vornherein zutiefst problematischen Sachverhalt erkennen, weil sie ein Zugleich von Gegensätzen ist. Denn sobald man ein Zugleich von Gegensätzen zu beschreiben versucht, entsteht die Frage, wie sich diese Beschreibung von einer logisch widersprüchlichen und damit falschen Beschreibung unterscheidet.

    Mit der vermeintlich problemlosen Selbstgewißheit des Menschen als
Ausgangspunkt des Denkens werden auch seine mitgebrachten Grundkategorien durch die christliche Botschaft in Frage gestellt. Wenigstens das abendländische Denken geht von der Grundkategorie des in sich bestehenden Seienden aus, selbst wo das „Ding an sich" als unerkennbar gilt. Beziehung auf anderes wird als davon abgeleitet und dazu hinzukommend gedacht. Die Einheit von Verschiedenem pflegt man entweder als Aneinandergrenzen oder sogar als Überschneidung zu denken. Die christliche Botschaft behauptet dagegen die Geschöpflichkeit von allem in einem Sinn, der in den Kategorien einer solchen „Substanzontologie" nicht adäquat aussagbar ist, sondern eine „relationale Ontologie" erfordert. Indem die christliche Botschaft mit ihrer Aussage der Geschöpflichkeit aller weltlichen Wirklichkeit behauptet, diese gehe gerade in ihrer Eigenständigkeit in einem „restlosen Bezogensein auf... / in restloser Verschiedenheit von..." auf, erklärt sie die Kategorie der Relation als der der Substanz noch vorausliegend. Der Welt kommt Eigenwirklichkeit und Eigenständigkeit nur als geschöpflich und damit abhängig von Gott zu. Die Abhängigkeit von Gott ist dabei nicht nur eine Rahmenbedingung, innerhalb deren dem Geschöpf dann eine gewisse Selbständigkeit zukäme, sondern das Geschöpf ist schlechthin in jeder Hinsicht, auch in seiner freiesten Eigentätigkeit restlos solcherart, daß es ohne Gott nicht sein kann. Mit der hier geforderten „relationalen Ontologie" ist also nicht gemeint, daß einem der Substanz nachgeordneten Relationsbegriff eine dominierende Bedeutung zugeschrieben werden soll unter Abstraktion von der ihm zugrundeliegenden Substanz, daß also etwa Funktionsbeschreibungen den Wesensaussagen vorgezogen werden sollen. Vielmehr geht es um eine der Substanz ontisch vorausliegende und sie überhaupt erst begründende [288>] Relationalität. Die Relation der Welt auf Gott ist nichts zwischen der Welt und Gott, sondern sie ist mit ihrem Träger, eben der Welt selbst, vollkommen identisch.
   
    Über die allgemeine Forderung einer „relationalen Ontologie" hinaus
wird ein Umdenken auch insofern gefordert, als Geschöpflichkeit als eine von vornherein einseitige Relation ausgesagt werden muß. Soweit eine „Substanzontologie" überhaupt den Begriff der Relation kennt, besagt er für sie gegenseitige Beziehung zwischen zwei Termini. Aber das Widerspruchsproblem, das jede weltliche Wirklichkeit als dialektische Einheit von Gegensätzen stellt, wird nur gelöst, wenn sie so restlos in ihrem „Bezogensein auf ... / in Verschiedenheit von ..." aufgeht, daß sie nicht noch zusätzlich konstitutiver Terminus einer Relation Gottes auf sie sein kann. Nur wenn die Welt wirklich restlos in diesem ihrem „Bezogensein auf ... / in Verschiedenheit von ..." aufgeht, entsteht nicht erneut das Widerspruchsproblem einer nur unvollkommenen Identität. Denn wollte man umgekehrt von Gott aussagen, er sei in einer Weise auf die Welt bezogen, die an deren Veränderlichkeit teil hat, dann würde er selbst zu einem Systembestandteil der Welt degradiert, der erneut das gleiche Widerspruchsproblem wie die übrige Welt stellt.
   
    Alle diese Korrekturen am mitgebrachten Vorverständnis des Men
schen, welche die christliche Botschaft erfordert, werden von ihr nicht als Glaubensgegenstand verstanden, sondern als in ihrer Notwendigkeit rational aufweisbar. Denn für ihre Behauptung der Geschöpflichkeit aller weltlichen Wirklichkeit kann die christliche Botschaft auf den letztlich unleugbaren Sachverhalt hinweisen, daß alles als Einheit von Gegensätzen ein Widerspruchsproblem stellt, das sich jedenfalls nicht anders beantworten läßt als durch die Anerkennung, daß die betreffende Wirklichkeit restlos relational ist.

    Gegenüber den klassischen sogenannten „Gottesbeweisen" bedeutet dies, daß die Welt nicht durch Gott, sondern durch ihre Geschöpflichkeit erklärt wird. Nur so bleibt die Unbegreiflichkeit Gottes gewahrt. Man begreift von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, das auf ihn verweist. Es ist nicht möglich, mit übergreifenden Denkprinzipien von der Welt auf Gott zu schließen. Man kann immer nur aus der weltlichen Einheit von Gegensätzen auf deren Geschöpflichkeit schließen. Das bedeutet aber, daß Gott nicht „unter" unsere menschlichen Begriffe fällt. Man kann immer nur in „analogen", d. h. „hinweisenden" Begriffen von ihm sprechen. „Analoges" Sprechen ist kein vages oder geringerwertiges Sprechen, sondern Entfaltung der genau aussagbaren Anerkennung unserer eigenen Geschöpflichkeit.

   
     [289>] Erst in der hier dargestellten „relationalen Ontologie" ist es möglich, die
drei Weisen des „bejahenden, verneinenden und übersteigenden" Sprechens der traditionellen Analogielehre von vornherein bereits beim Aufweis der Geschöpflichkeit selbst für die Rede von Gott zur Geltung zu bringen und konsistent zu begründen. Als restlos auf Gott bezogen muß die Welt ihm ähnlich sein; deshalb kann man von allen ihren Vollkommenheiten her Gott bejahend erst recht Vollkommenheit zuschreiben. Zugleich aber ist die Welt gerade in ihrem restlosen Bezogensein auf Gott restlos von ihm verschieden; deshalb ist sie ihm gerade in ihrer Ähnlichkeit zugleich unähnlich. Die Verschiedenheit der Welt von Gott begründet ihre innere Endlichkeit und Begrenztheit. Alle Endlichkeit und Begrenztheit, die wir von der Welt aussagen, ist in bezug auf Gott zu verneinen. Das übersteigende Sprechen schließlich beruht darauf, daß die Welt in ihrer einseitigen Beziehung auf Gott zwar ihm zugleich ähnlich und unähnlich ist; es gibt aber keine reale Beziehung Gottes auf die Welt, für die die Welt der konstitutive Terminus wäre, und deshalb gibt es auch keine Ähnlichkeit Gottes mit der Welt. Die Welt ist Gott ähnlich, aber nicht umgekehrt Gott auch der Welt. Die Analogie der Welt Gott gegenüber ist vollkommen einseitig. Erst so läßt sich die berühmte Analogieformel des IV. Laterankonzils verstehen, nach der keine Ähnlichkeit der Welt mit Gott ausgesagt werden kann, ohne daß eine „noch größere" Unähnlichkeit ausgesagt werden muß (DS 806).
   
    4. Nur in der Lehre von einer solchen einseitigen Analogie der Welt
Gott gegenüber kann eine Verfälschung des Gottesbegriffs in eine menschliche Selbstprojektion vermieden werden. Eine bloße Selbstprojektion liegt immer dann vor, wenn zwischen Welt und Gott eine gegenseitige Ähnlichkeit ausgesagt wird.

    Die genannte „natürliche Gotteserkenntnis", die in der Anerkennung
unserer eigenen Geschöpflichkeit besteht, gilt Gott als dem, „ohne den nichts ist". Sie geht von der Wirklichkeit der Welt aus, um deren Geschöpflichkeit auszusagen. Niemals kann man umgekehrt aus dem Begriff der Geschöpflichkeit ableiten, um was für eine konkrete Wirklichkeit es sich handelt. Deshalb kann man erst recht nicht vom Gottesbegriff her logisch deduzieren, was in der Welt geschieht bzw. was Gott zulassen oder nicht zulassen kann. Gott selbst ist in keiner Weise hinterfragbar. Deshalb führt solche „natürliche Gotteserkenntnis" nur zur Erkenntnis Gottes als des schlechthin Verborgenen, des „deus absconditus". Gemeinschaft mit Gott läßt sich aus dieser Erkenntnis nicht begründen.

    5. Wie verhält sich nun eine solche „natürliche Gotteserkenntnis" zu den
eigentlichen Glaubensaussagen, zur göttlichen Offenbarung selbst? Hier [290>] entsteht gegenüber den gewöhnlich mit dem Begriff „natürlicher Gotteserkenntnis" verbundenen Vorstellungen das entscheidende Paradox. Weit davon entfernt, eine übernatürliche Offenbarung erwartbar und plausibel zu machen, stellt recht verstandene „natürliche Gotteserkenntnis" zunächst den schwerstwiegenden Einwand gegen die Möglichkeit von „Wort Gottes" dar. Als „restloses Bezogensein auf ...  / in restloser Verschiedenheit von ..." bedeutet Geschöpflichkeit eine nicht mehr überbietbare und so vollkommen einseitige Abhängigkeit von Gott, daß nicht zu sehen ist, wie darüber hinaus eine reale Beziehung Gottes auf die Welt aussagbar sein soll. Wie soll man von einem „besonderen Eingreifen" Gottes in die Welt sprechen können, wenn doch die Abhängigkeit aller weltlichen Wirklichkeit von Gott gar nicht noch größer als „restlos" sein kann? Die Rede von einem „besonderen Eingreifen" Gottes in die Welt schiene vorauszusetzen, daß die Welt sonst ihren eigenen Lauf ginge und nur hie und da von Gott abhängig würde. Doch liefe diese Vorstellung darauf hinaus, ihr „Geschaffensein aus dem Nichts" im Sinne ihrer gegenwärtigen restlosen Abhängigkeit von Gott nachträglich zu leugnen. So gilt jedenfalls, daß keine geschöpfliche Qualität jemals dazu ausreichen kann, Gemeinschaft mit Gott zu begründen. Dies ist die Grundeinsicht, auf die alle wahre „natürliche Gotteserkenntnis" hinausläuft. Gemeinschaft mit Gott muß für den Menschen als unmöglich erscheinen, solange er sich in seiner bloßen Geschöpflichkeit als solcher betrachtet. Zur Gemeinschaft mit Gott ist der Mensch nicht bereits aufgrund seiner Geistnatur positiv fähig, sondern allein aufgrund seines „In Christus"-Geschaffenseins. Dieses aber ist ihm solange verborgen, bis es ihm in der christlichen Botschaft selbst verkündet wird und er es sich also im Glauben sagen läßt. Das bedeutet, daß „natürliche Gotteserkenntnis" für sich allein genommen keineswegs wohltuend wäre; sie begegnet aber als ausdrückliche Gotteserkenntnis glücklicherweise nur im Kontext der christlichen Botschaft selbst, die dann doch eine Beziehung Gottes auf die Welt in dem Sinn aussagt, daß die Welt in eine Beziehung Gottes auf Gott aufgenommen wird. Die christliche Botschaft verkündet ein besonderes Handeln Gottes an der Welt als seine Selbstmitteilung in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens; und diese Selbstmitteilung Gottes wird nur im Glauben als wirklich erfaßt.
   
    Die in der theologischen Tradition behauptete „potentia oboedientialis"
des Menschen für eine besondere göttliche Offenbarung besteht deshalb auf keinen Fall in einer Art aktiver Erwartung oder in einem Vorentwurf möglicher Offenbarung. In der „potentia oboedientialis" handelt es sich vielmehr um einen Sachverhalt, der nur in der konkreten Begegnung mit der christlichen Botschaft überhaupt aufgewiesen werden kann und darin [291>] besteht, daß man angesichts ihrer in sich keine stichhaltigen Gründe zu finden vermag, um sich ihr zu verschließen. Es handelt sich also eigentlich nur um eine passive Fähigkeit.

    In der christlichen Botschaft als dem „Wort Gottes" gewährt Gott dem Menschen Gemeinschaft mit sich. Der Mensch erfährt sich als aufgenommen in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn, die selbst Gott ist, der Heilige Geist. Während Gott als „deus absconditus" nur in der einseitigen Relation des Geschaffenen auf ihn erkannt werden kann und sich jeder Hinterfragung entzieht, wird nun offenbar, daß gerade dieser alles Begreifen übersteigende Gott als der in allem Mächtige sich selbst dem Menschen mitteilt und so den Menschen in seine Gemeinschaft aufnimmt. Nicht die Offenbarung Gottes wird von einer sie noch übersteigenden Verborgenheit umfaßt, sondern Gottes ewige und unendliche Verborgenheit wird von seinem Wort umfaßt und hört so auf, für den Menschen als „Zorn Gottes" (vgl. Röm 1,18) zu erscheinen. Gott schenkt sich selbst in mitmenschlichem Wort.
   
    Aber auch für das „Wort Gottes" gilt noch einmal die Analogie mit ihren drei Wegen der Bejahung, der Verneinung und des Überstiegs. Obwohl
im „Wort Gottes" selber das geschieht, wovon es redet, nämlich Gottes gnädige Selbstzuwendung zum Menschen, kann auch das „Wort Gottes" nur in analogen Begriffen von dieser Selbstmitteilung Gottes sprechen. In der „natürlichen Gotteserkenntnis" aus der Geschöpflichkeit der Welt wurde die Welt als Gleichnis Gottes erkannt. In der „übernatürlichen Gotteserkenntnis" des Glaubens aufgrund des „Wortes Gottes" wird die Welt nunmehr zum Gleichnis nicht nur für Gott, sondern für die Gemeinschaft des Menschen mit Gott. Von Gottes Liebe sprechen können wir nur mit Worten, die ursprünglich die Gemeinschaft von Menschen untereinander bezeichnen. Für den Glauben wird menschliche Liebe bei all ihrer Endlichkeit gleichwohl transparent auf Gottes unendliche Liebe. Menschliche Liebe ist als Liebe der Gottes ähnlich und verweist auf sie. In ihrer Endlichkeit ist sie jedoch zugleich der Liebe Gottes unähnlich; nur von dieser ist schlechthinnige Verläßlichkeit auszusagen. Die Liebe Gottes ihrerseits hat an keiner zwischenmenschlichen Liebe ihr Maß. Deshalb gilt auch für das Sprechen von ihr der „Weg des Überstiegs". Man kann tatsächlich nur „hinweisend", in Gleichnissen von ihr sprechen; sie selbst ist nicht nur größer als alle irdische Liebe, sondern stärker als der Tod. Daß also auch hier „die Unähnlichkeit größer als alle Ähnlichkeit" ist, bedeutet nicht eine Relativierung des „Wortes Gottes", sondern besagt seinen bleibenden Geheimnischarakter: Die in der Verkündigung der christlichen Botschaft geschehene Selbstmitteilung Gottes hat auch an der Vorfindlich[292>]keit dieser Botschaft nicht ihr Maß, und eben deshalb wird sie als wahr nur in der Weise des Glaubens erkannt. Auch die Menschenfreundlichkeit christlichen Umgangs miteinander hat doch nur Gleichnischarakter für die darin verkündete und gegenwärtige Liebe Gottes. In diesem erneut „analogen" Gebrauch der bereits zuvor bekannten Begriffe besteht deren oben genannte Modifizierung durch die christliche Verkündigung. Daß auch die im „Wort Gottes" gebrauchten Begriffe zu der gemeinten Wirklichkeit nur in einer einseitigen Analogie stehen, scheint seinen Ausdruck z. B. in Röm 8,26f zu finden.
   
    „Natürliche Gotteserkenntnis" stellt somit keineswegs den Rahmen dar, in den eine göttliche Offenbarung vom Menschen eingeordnet werden könnte. Es verhält sich vielmehr umgekehrt. Die göttliche Offenbarung beansprucht ihrerseits, das letzte und umfassende Wort über alle andere menschliche Erkenntnis und damit auch über die „natürliche Gotteserkenntnis" zu sein. Die göttliche Offenbarung, das „Wort Gottes", läßt alles andere in einem neuen Licht erkennen und gibt ihm überhaupt erst seine endgültige Bedeutung. Auch die Grundaussage „natürlicher Gotteserkenntnis", daß Gott der ist, „ohne den nichts ist" und der somit in allem mächtig ist, wird erst dadurch zu einer wohltuenden Aussage, daß dieser Gott sich in seinem Wort als der zu erkennen gibt, der „für uns ist" (Röm 8,31), was von der Welt her gesehen keineswegs selbstverständlich gewesen wäre. Und dann hat nicht mehr die Angst des Menschen um sich selber die Macht.
   
    Dieser Ansatz ist auch eine Alternative zu der Auffassung, daß zwar Gott immer der Welt zugewandt ist, die Welt aber in ihrer Sünde den Gottesbezug verloren habe. „Natürliche Gotteserkenntnis" wäre vielmehr als die Erkenntnis eines Bezugs der Welt auf Gott zu verstehen, welcher nicht ausreicht, Gemeinschaft mit Gott zu begründen. Sie wäre sachlich mit dem identisch, was reformatorische Theologie als die Erkenntnis des „Gesetzes" bezeichnet. Die „übernatürliche Gotteserkenntnis" des Glaubens aufgrund des „Wortes Gottes" bezieht sich dann auf das „Evangelium", wonach die Welt in einer für sie verborgenen Weise schon immer in eine Beziehung Gottes auf Gott aufgenommen ist. Gott liebt seine Schöpfung mit der einen und ewigen Liebe, in der er seinen Sohn liebt. Und im Glauben antwortet die Schöpfung Gott mit der Liebe, in der der Sohn von Ewigkeit her dem Vater zugewandt ist. Dieser neue Bezug der Welt auf Gott wird nur dem Glauben selbst offenbar: Gott hört in unserem Beten die Stimme seines eigenen Sohnes, und deshalb erreicht ihn unser Gebet.

    In einer solchen Sicht ist nicht mehr zu befürchten, daß der Mensch sich darin zum Richter über Gottes Wort macht. Seine Vernunft kann nicht [293>] selber das „Wort Gottes" entwerfen, weil „Wort Gottes" nur das sein kann, was einem im voraus zu jeder eigenen Initiative bereits geschichtlich begegnet ist. Die Vernunft kann nur eine Botschaft, die von sich behauptet, „Wort Gottes" zu sein, daran prüfen, ob es tatsächlich nicht gelingt, sie in einen umfassenderen Rahmen einzuordnen. Was sich mit Vernunftgründen beweisen oder widerlegen läßt, kann nicht „Wort Gottes" sein. Der Vernunft bleibt also die Aufgabe, Aberglauben von Glauben zu unterscheiden. Sie soll so kritisch wie möglich sein. Negativ gilt in der Tat die Maxime, daß nichts geglaubt werden kann, was einer ihre Autonomie wahrenden Vernunft widerspricht oder umgekehrt sich aus ihr herleiten läßt. Glaube ist weder widervernünftig noch aus der Vernunft begründbar, sondern übersteigt die Vernunft. Glaube kann sich nur auf ein Wort beziehen, das einem geschichtlich begegnet und das sich nicht anders denn als Selbstmitteilung Gottes verstehen läßt, so daß man ihm jedenfalls anders als im Glauben nicht gerecht werden kann. Nur die „in Gott verborgenen Geheimnisse" (DS 3015) können Glaubensgegenstand sein. Unter „Geheimnis" ist dabei nichts logisch Schwieriges zu verstehen, sondern etwas, was im Unterschied zu allem anderen allein durch das Wort offenbar werden kann und das deshalb, um zur Kenntnis zu gelangen, verkündet werden muß. Es ist in seiner Wahrheit keiner anderen Erkenntnis als der des Glaubens zugänglich. Glauben heißt, sich von Gott mit einer Liebe geliebt zu wissen, die an nichts Geschaffenem ihr Maß hat.
   
    Mit dem Gesagten erscheint es mir möglich, die katholische Lehre von der „natürlichen Gotteserkenntnis" in einem Sinn zu wahren, in dem den Einwänden evangelischer Theologie nicht nur in etwa Rechnung getragen ist, sondern für dessen Gewinnung diese Einwände konstitutiv sind.

Zusammenfassende Thesen

1. Die christliche Botschaft verkündet eine Gnade Gottes, die an nichts Geschaffenem ihr Maß hat, sondern das Hineingenommensein des Geschöpfes in die Liebe Gottes des Vaters zu seinem eigenen Sohn besagt, die der Heilige Geist ist.

2. Diese Verkündigung der Gnade setzt die Möglichkeit voraus, das Geschaffene als das von Gott Verschiedene und auf ihn nur Verweisende von der Gnade als der Selbstmitteilung Gottes zu unterscheiden.

3. Insofern das Geschaffensein aller weltlichen Wirklichkeit völlig mit dieser selbst identisch ist, muß sich in jeder Erkenntnis weltlicher Wirklichkeit die implizite Anerkennung ihrer Geschöpflichkeit aufweisen lassen.

[294>] 4. Dieser Aufweis geschieht durch den Hinweis auf die in jeder Welterkenntnis mitgegebene Widerspruchsproblematik. Jede weltliche Wirklichkeit stellt eine Einheit von Gegensätzen dar, deren Beschreibung sich nur unter der Bedingung definitiv von einem logischen Widerspruch unterscheiden läßt, daß die betreffende Wirklichkeit als „restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ..." verstanden wird.

5. In der Erkenntnis der so verstandenen Geschöpflichkeit der Welt wird Gott nur aus dem von ihm Verschiedenen erkannt, das auf ihn verweist. So bleibt die in der Tradition immer gelehrte „Unbegreiflichkeit" Gottes gewahrt. Diese Gotteserkenntnis hat die Struktur einseitiger Analogie: Es gibt zwar eine Ähnlichkeit der Welt Gott gegenüber, aber nicht umgekehrt Gottes gegenüber der Welt.

6. Solche „natürliche Gotteserkenntnis" begründet keine auch nur anfängliche Gemeinschaft mit Gott, sondern besagt im Gegenteil, daß keine geschöpfliche Qualität jemals ausreichen kann, eine Gemeinschaft mit Gott positiv zu ermöglichen. Dazu bedarf es vielmehr des „InChristus"-Geschaffenseins der Welt. Wäre Gott nicht dreifaltig, dann wäre Gemeinschaft mit ihm ausgeschlossen.

7. Deshalb wird die „natürliche Gotteserkenntnis" erst wohltuend, wo sie von der Verkündigung der Gnade umfaßt wird.

8. Vom genannten philosophischen Schöpfungsbegriff der „natürlichen Gotteserkenntnis" unterscheidet sich der theologische Schöpfungsbegriff des Glaubens. Er meint das „In Christus"-Geschaffensein der Welt, nämlich daß die Welt von Anfang an in die Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen ist, die der Heilige Geist ist. Das „In Christus" des Geschaffenseins kommt nur durch das „Wort Gottes" für den Glauben zur Erkenntnis und bleibt sonst verborgen.

9. Während für „natürliche Gotteserkenntnis" die Welt nur Gleichnis des fernen Gottes sein kann, wird sie im Licht der „übernatürlichen Gotteserkenntnis", die im Glauben besteht, zum Gleichnis der Gemeinschaft mit Gott. Aber auch hier bleibt es bei einer bloß einseitigen Analogie der Welt Gott gegenüber. Es ist der seinerseits der Welt in keiner Weise ähnliche Gott, der sich in dem ganz und gar mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens ihr mitteilt.

10. Nur in einer "relationalen Ontologie" lassen sich verhängnisvolle Fehlinterpretationen in bezug auf "natürliche Gotteserkenntnis" vermei
den. Eine bloße "Substanzontologie" erweist sich als ungeeignet, die Geschöpflichkeit der Welt und ihr Aufgenommensein in die Liebe Gottes zu Gott widerspruchsfrei zur Sprache zu bringen.
 


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