Letzte Aktualisierung:  23. Juni 2006, PK

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Peter Knauer SJ

 

Zur Lehre von den „Fontes moralitatis“
im Katechismus der Katholischen Kirche


                                                           
Erschienen in:
ThGl 95 (2005) 451–462

ZUSAMMENFASSUNG:
In der Lehre von den „fontes moralitatis“ werden „Gegenstand“, „Absicht“ und „Umstände“ als die Gesamtheit der Kriterien für die sittliche Beurteilung einer Handlung genannt. Allerdings wird im Katechismus der Katholischen Kirche nicht klar gesehen, dass diese Lehre nur konsistent ist, wenn man in ihr unter „Absicht“ den „Gegenstand“ einer weiteren Handlung versteht, auf den eine erste Handlung hingeordnet wird. Eine Handlung kann im Übrigen nur dadurch „in sich schlecht“ sein, dass sie auf die Dauer und im Ganzen gesehen ihrem eigenen Grund widerspricht, nämlich gerade den Wert oder Werteverbund untergräbt, den sie auf kurze Sicht oder in partikulärer Hinsicht erreichen mag.



In der Lehre von den Fontes moralitatis geht es um eine vollständige Aufzählung der Kriterien für die sittliche Beurteilung von Handlungen. Sie wurde bereits von Thomas von Aquin entwickelt (vgl. S. th. I-II q18 a2–a4). Im Katechismus der katholischen Kirche wird diese Lehre, wie sie sich im Wesentlichen zumindest auch in allen scholastischen Ethikhandbüchern findet, wie folgt zusammengefasst:

            1750     Der sittliche Charakter der menschlichen Handlungen hängt ab
            – vom gewählten Objekt;
            – vom angestrebten Ziel oder von der Absicht;
            – von den Umständen der Handlung.
            Das Objekt, die Absicht und die Umstände bilden die Quellen oder wesentlichen Elemente der Sittlichkeit
            menschlicher Handlungen.

1751     Das gewählte Objekt ist ein Gut, auf das sich der Wille bewußt richtet. Es ist der „Stoff" einer menschlichen Handlung. Das gewählte Objekt bestimmt den sittlichen Charakter des Willensaktes, je nachdem, ob es gemäß dem Urteil der Vernunft dem wahren Gut entspricht oder nicht. Die objektiven Regeln der Sittlichkeit drücken die vernunftgemäße Ordnung des Guten und des Bösen aus, die durch das Gewissen bezeugt wird.

1752     Im Unterschied zum Objekt steht die Absicht auf der Seite des handelnden Subjekts. Weil die Absicht in der Freiheit wurzelt und die Handlung auf ihr Ziel festlegt, ist sie ein Element, das den sittlichen Charakter einer Handlung wesentlich bestimmt. Das Ziel ist das, worauf sich die Absicht in erster Linie richtet. Es bezeichnet den im Handeln angestrebten Zweck. Die Absicht ist eine auf das Ziel gerichtete Willensbewegung; sie bestimmt, worauf sich das Handeln richtet. Sie richtet den Blick auf das Gut, das von der betreffenden Handlung erwartet wird. Sie beschränkt sich nicht auf die Ausrichtung einzelner Taten, sondern kann eine Vielfalt von Handlungen auf ein und dasselbe Ziel hinordnen; sie kann das ganze Leben auf das letzte Ziel ausrichten. Zum Beispiel hat ein Dienst, den man erweist, das Ziel, dem Mitmenschen zu helfen; er kann aber gleichzeitig von der Liebe zu Gott als dem letzten Ziel all unserer Handlungen beseelt sein. Ein und dieselbe Handlung kann auch von mehreren Absichten getragen sein, etwa, wenn man einen Dienst erweist, um eine Gunst zu erlangen oder um sich damit zu brüsten.

1753     Eine gute Absicht (z. B. die, dem Nächsten zu helfen) macht ein an sich falsches Verhalten (wie Lüge oder Verleumdung) nicht zu etwas Gutem oder Richtigem. Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht. Darum kann man etwa die Verurteilung eines Unschuldigen nicht als ein legitimes Mittel zur Rettung des Volkes rechtfertigen. Hingegen wird eine an sich gute Handlung (z. B. Almosengeben) [Vgl. Mt 6,2-4] zu etwas Schlechtem, wenn eine schlechte Absicht (z. B. Eitelkeit) hinzukommt.

1754     Die Umstände, einschließlich der Folgen, sind zweitrangige Elemente einer sittlichen Handlung. Sie tragen dazu bei, die sittliche Güte oder Schlechtigkeit menschlicher Handlungen zu steigern oder abzuschwächen (ein solcher Umstand ist z. B. die Höhe des Betrages eines Diebstahls). Sie können auch die Verantwortung des Handelnden vermindern oder vermehren (z. B. Handeln aus Todesangst). Die Umstände können an sich die sittliche Beschaffenheit der Handlungen selbst nicht ändern; sie können eine in sich schlechte Handlung nicht zu etwas Gutem und Gerechtem machen.

Wichtig ist hier zunächst die Unterscheidung in qualitative und quantitative Bestimmungsstücke. „Objekt (Gegenstand)“ und „Absicht“ bestimmen, ob eine Handlung gut oder schlecht ist. Die „Umstände“ bestimmen nur, in welchem Maß die Handlung das eine oder das andere, also gut oder schlecht ist.


1) Probleme

Mit der Aussage, die Umstände würden nur das Maß der Gutheit oder Schlechtigkeit bestimmen, ist allerdings die weitere zusammenfassende Aussage des Katechismus unvereinbar:   

1759     Damit einen Handlung sittlich gut ist, müssen zugleich das Objekt, das Ziel und die Umstände gut sein.

Denn die Umstände bedeuten nur eine quantitative Bestimmung, etwa wie groß ein Geschenk ist oder umgekehrt, wie groß ein Diebstahl ist. Die Umstände als solche können nach dem zuvor Gesagten gar nicht gut oder schlecht sein.

    Auch die in den Text vermutlich erst nachträglich ergänzend eingefügte Aussage in Nr. 1754, dass die Folgen einer Handlung nur zu ihren Umständen gehören (und somit die Handlung nur quantitativ betreffen würden), bleibt unbegründet und kann gar nicht zutreffen. Es handelt sich sogar um einen katastrophalen Fehler. Es ist zwar wahr, dass eine schlechte Handlung nicht dadurch besser wird, dass sie irgendwelche erwünschten Folgen hat. Aber umgekehrt kann durchaus eine zunächst für harmlos gehaltene Handlung aufgrund voraussehbarer schädlicher Folgen schlecht werden. Wenn man im Gebirge spielend mit Steinen wirft, mag man sich nichts dabei denken. Aber es ist zumutbar, damit zu rechnen, dass die Steine auch Menschen treffen könnten, die auf darunter liegenden Wegen gehen. Wer sich darum bewusst nicht kümmert, macht sich selbst dann schuldig, wenn solche Folgen faktisch glücklicherweise nicht eintreffen. Die vorausgesehenen Folgen einer Handlung können ihren eigentlichen „Gegenstand“ ausmachen.

    Am schwierigsten in der Lehre von den „Fontes moralitatis“ ist die Unterscheidung von „Gegenstand“ und „Absicht“. Für „Gegenstand (obiectum)“ kann man auch „Handlungsziel (finis operis) sagen; für „Absicht (intentio)“ kann auch „Ziel des Handelnden (finis operantis) stehen. Das eine soll die objektive Seite der Handlung ausmachen, und das andere ihre subjektive Seite.

    Aber bereits vom Gegenstand heißt es, es handele sich um das, worauf sich der Wille bewusst richtet. Er muss also vom handelnden Subjekt gewollt sein. Für „gewollt“ kann man auch „beabsichtigt“ sagen.

    Dann stellt sich natürlich die Frage, was diese erste „Absicht“ in Bezug auf einen „Gegenstand“ von derjenigen „Absicht“ unterscheidet, bei der es offenbar nicht um den beabsichtigten Gegenstand geht, sondern die davon als eine zweite „fons moralitatis“ unterschieden werden soll.

    Umgekehrt könnte man auch fragen, was denn ein angestrebtes weiteres Ziel anderes sein soll, als seinerseits ein gewollter „Gegenstand“.

    In den gängigen moraltheologischen Handbüchern wurde der Unterschied zwischen Gegenstand und Absicht gern folgendermaßen erklärt: Ein Uhrmacher stellt eine Uhr her, die dazu dienen soll, die Zeit anzuzeigen. Das wäre der gewollte Gegenstand. Das subjektive Ziel des Uhrmachers ist aber nicht die Zeitmessung, sondern er möchte die Uhr verkaufen und damit seinen Lebensunterhalt gewinnen. Dies wäre dann das „Ziel des Handelnden“ oder die Absicht.

    Dass die Uhr der Zeitmessung dient. scheint zwar gut der lateinischen Terminologie „finis operis“ zu entsprechen, was ja wörtlich „Ziel des Werkes“ heißt. Aber dabei würde übersehen, dass die Tatsache, dass eine Uhr der Zeitmessung dient, kaum als ein moralisch qualifizierbarer oder qualifizierender Sachverhalt bezeichnet werden kann. Und andererseits ist doch die Gewinnung des Lebensunterhalts selber wiederum ein gewollter „Gegenstand“ und nicht etwas rein Subjektives.


2)  
Hermeneutische Hinweise

Es scheint tatsächlich manchmal schwer, „Gegenstand“ und „Absicht“ auseinanderzuhalten. Jemand besucht die Buchmesse, um sich möglichst konkret über Neuerscheinungen zu informieren. Ist der Besuch der Buchmesse der Gegenstand, und die Information die Absicht? Oder ist der Gegenstand der Handlung die Information auf der Buchmesse?

    Die drei „fontes moralitatis“ sollen eine vollständige Aufzählung der Bestimmungsstücke für die moralische Beurteilung einer Handlung sein. In ihrem herkömmlichen Verständnis, wie es sich auch im Katechismus ausgedrückt findet, scheinen sie jedoch dieser Forderung nicht gerecht zu werden. Es gibt ja nicht nur einzelne, für sich stehende Handlungen, sondern auch Verknüpfungen von Handlungen, die dann gleichsam aufeinander abfärben. Jemand besucht die Buchmesse, um sich, wie gesagt, zu informieren. Dieses Motiv reicht bereits zur Setzung der Handlung aus und lässt sie mit allen mit ihr verbundenen Handlungsabläufen als eine einzige Handlung erscheinen. Der Betreffende trägt sich aber von vornherein auch mit dem Gedanken, ein bestimmtes Buch, sollte sich die Gelegenheit bieten, unbezahlt mitgehen zu lassen. Dieser kleine Diebstahl wäre eine zweite Handlung, zu deren Ermöglichung die erste benutzt wird. Dann ist nicht nur der Diebstahl moralisch schlecht, sondern bereits der Besuch der Buchmesse, weil von vornherein beabsichtigt ist, durch ihn einen Diebstahl zu ermöglichen.

    Dass Handlungen miteinander verknüpft werden und so moralisch aufeinander abfärben können, wäre ein Sachverhalt, der in der Lehre von den „Fontes moralitatis“ in ihrem herkömmlichen Verständnis nicht beachtet worden wäre. Sie wären deshalb auch noch keine vollständige Aufzählung der Bestimmungsstücke für die moralische Beurteilung einer Handlung.

    Es könnte aber auch sein, dass sich nur das herkömmliche Verständnis der Lehre von den „Fontes moralitatis“ als hermeneutisch unzureichend erweist.

    Es könnte nämlich in der Unterscheidung von „Gegenstand“ und „Absicht“ gerade um die eben genannte Verknüpfung mehrerer Handlungen gehen. Wenn man eine Handlung zusätzlich zu dem, was in ihr selbst geschieht, dazu benutzt, eine weitere Handlung zu ermöglichen, dann ist die zweite Handlung bereits als geplante bei der ersten Handlung präsent. Der „Gegenstand“ der zweiten Handlung stellt bei der ersten Handlung eine zu ihr hinzukommende „Absicht“ dar.

    Eine für sich allein stehende Handlung hätte nur ihren gewollten und damit beabsichtigten „Gegenstand“. Es hätte keinen Sinn, bei ihr außerdem noch von einer „Absicht“ zu sprechen. Es wäre auch unzutreffend, wollte man sagen, dass bei ihr „Gegenstand“ und „Absicht“ zusammenfallen. Die drei „Fontes moralitatis“ sind grundsätzlich voneinander zu unterscheiden und können sich nicht gleichsam überlappen.

    Nur bei einer Handlung, die mit einer weiteren, von ihr unterschiedenen Handlung verknüpft wird, hat es überhaupt Sinn, zusätzlich zum „Gegenstand“ der ersten Handlung von einer „Absicht“ zu sprechen. Diese „Absicht“ wäre dann mit dem „Gegenstand“ der zweiten Handlung identisch. Natürlich wäre es möglich, dass die beiden ersten miteinander verknüpften Handlungen noch mit weiteren verknüpft würden, so dass dann mehrere untereinander gestaffelte „Absichten“ vorlägen, aber das ist dann nichts prinzipiell Neues mehr. Jemand informiert sich auf der Buchmesse und benutzt diese Gelegenheit, um ein Buch zu stibitzen, das er vielleicht seinerseits wieder zu Geld machen könnte, um damit Schulden zu bezahlen. So können mehrere Handlungen miteinander verknüpft sein.

    Voraussetzung für die Unterscheidung von „Gegenstand“ und „Absicht“ ist also, dass es um die Verknüpfung mehrerer von einander unterschiedener Handlungen geht. Dies setzt voraus, dass man mehrere Handlungen tatsächlich voneinander unterscheiden kann. Einheit und Unterscheidbarkeit einer Handlung von einer anderen hängt darin, ob ihr Motiv bereits zu ihrer Setzung ausreicht. Wenn jemand sowieso zur Buchmesse geht, auch unabhängig davon, dass er ein Buch mitgehen lassen möchte, sind der Besuch der Buchmesse und der mit ihr verknüpfte Diebstahl zwei verschiedene Handlungen. Geht jemand jedoch von vornherein nur deshalb zur Buchmesse, weil er einen Diebstahl begehen möchte, dann handelt es sich nur um eine einzige, wenn auch komplexe Handlung.

    Man könnte vom bisher üblichen Verständnis von Gegenstand und „Absicht“ her einwenden wollen, dass doch die Absicht häufig nicht die Struktur eines Gegenstandes einer Handlung habe. Man kann doch eine Handlung, etwa Almosengeben, ausführen, um sich anderen überlegen zu fühlen“, und dieses Letztere sei doch kein Handlungsgegenstand. Aber dies möchte mir als eine unzutreffende Analyse erscheinen. Wenn man das Almosen gibt, um sich überlegen zu fühlen, dann ist genau dieses Gesamt der Gegenstand der einen Handlung: durch Almosengeben sich überlegen fühlen“: Es ist der gewollte Sachverhalt, der durch die Handlung verwirklicht werden soll.

    Wenn die Unterscheidung zwischen „Gegenstand“ und „Absicht“ darauf hinausläuft, dass man bei einer ersten Handlung mit ihrem eigenen „Gegenstand“ bereits eine zweite Handlung „im Hinterkopf“ hat, die man durch die erste ermöglichen will, und wenn der „Gegenstand“ dieser zweiten Handlung als „Absicht“ bei der ersten zu bezeichnen ist, dann wird verständlich, warum die „Absicht“ als etwas „Subjektives“ erscheint. Die Handlung ist ja noch nicht durchgeführt, sondern nur vorgesehen. Aber sie ist mit dem „Gegenstand“ der zweiten Handlung identisch, der seinerseits durchaus „objektiv“ ist. Insofern trügt der Eindruck, dass es letztlich um die Unterscheidung von „objektiv“ und „subjektiv“ gehe. Es geht in Wirklichkeit nur um die Unterscheidung zweier miteinander verknüpfter Handlungen, von denen die erste bereits tatsächlich ausgeführt wird und die zweite nur erst vorgesehen ist.

    Im Katechismus heißt es in der bereits zitierten Text Nr. 1752 in Bezug auf die Absicht:

Weil die Absicht in der Freiheit wurzelt und die Handlung auf ihr Ziel festlegt, ist sie ein Element, das den sittlichen Charakter einer Handlung wesentlich bestimmt. Das Ziel ist das, worauf sich die Absicht in erster Linie richtet.

Diese Beschreibung der Absicht ist aber der Sache nach mit der vorangehenden Beschreibung des „Gegenstandes“ der Handlung (Nr. 1751) identisch: 

Das gewählte Objekt ist ein Gut, auf das sich der Wille bewußt richtet. Es ist der „Stoff" einer menschlichen Handlung. Das gewählte Objekt bestimmt den sittlichen Charakter des Willensaktes […].

Denn dass man einen Gegenstand wählen kann, ist ebenfalls bereits ein Sachverhalt, der in der Freiheit wurzelt und nur aus diesem Grund den sittlichen Charakter der Handlung bestimmen kann. Und dasjenige Ziel, welches hier als „Absicht“ bezeichnet wird, ist selber in Wirklichkeit wiederum ein gewollter „Gegenstand“.

    Wenn also mit der zweiten „Fons moralitatis“, der „Absicht“, nur der „Gegenstand“ einer zweiten Handlung gemeint sein kann, auf die man eine erste Handlung hinordnet, dann würde dies bedeuten, dass eine Handlung entweder bereits durch ihren eigenen „Gegenstand“ „in sich“ schlecht sein kann oder aber erst dadurch schlecht wird, dass sie auf eine andere „in sich schlechte“ Handlung hingeordnet wird. Sie selber ist dann zwar nicht „in sich schlecht“, aber doch immerhin „schlecht“. Es könnte auch die umgekehrte Möglichkeit geben, dass man eine bereits durch ihren eigenen „Gegenstand“ „in sich schlechte“ Handlung benutzt, um eine andere zunächst in sich selber untadelige Handlung zu ermöglichen; dann würde dennoch die letztere von der ersteren angesteckt und wäre „schlecht“. Ein gutes Mittel wird durch einen schlechten Zweck verdorben, und vor allem umgekehrt heiligt ein guter Zweck keineswegs das schlechte Mittel.
 

3)   Die Bestimmung des „Gegenstands“ einer Handlung

Die Unterscheidung zwischen „Gegenstand“ und „Absicht“ läuft nach dem bisher Gesagten darauf hinaus, dass es um die „Gegenstände“ von zwei oder mehr voneinander verschiedenen, aber miteinander verknüpften Handlungen geht. Letzten Endes gibt es nur „Gegenstände“ von Handlungen. Der „Gegenstand“ einer weiteren Handlung wird bei einer vorangehenden Handlung dann als „Absicht“ bezeichnet, wenn er sie bereits beeinflusst. Da sich somit auch die „Absicht“ auf einen „Gegenstand“ bezieht, eben den einer weiteren Handlung, ist die entscheidende moralische Frage, wie man den „Gegenstand“ einer Handlung bestimmt. Der Katechismus formuliert: 

Das gewählte Objekt bestimmt den sittlichen Charakter des Willensaktes, je nachdem, ob es gemäß dem Urteil der Vernunft dem wahren Gut entspricht oder nicht. Die objektiven Regeln der Sittlichkeit drücken die vernunftgemäße Ordnung des Guten und des Bösen aus, die durch das Gewissen bezeugt wird.

Zum einen wird hier darauf hingewiesen, dass es um Vernunftgemäßheit gehe, und zum anderen um eine Entsprechung zum wahren Gut und schließlich um eine Bezeugung durch das Gewissen. Etwas seltsam klingt die Formulierung „vernunftgemäße Ordnung des Guten und des Bösen“, als wenn auch das Böse geordnet wäre. Gemeint ist vermutlich die der Vernunft zugängliche Unterscheidung von Gut und Böse. Und was ist mit dem „wahren Gut“ gemeint? In Frage kommt entweder Gott oder das sittlich Gute, das der Mensch tun soll. Dann entsteht die Frage, woran man entweder erkennt, dass etwas Gott entspricht, oder dass es sittlich gut ist. Auch mit der Rede von der Vernunftgemäßheit kann nur der Bezug auf solche Kriterien gemeint sein. Und schließlich kann sich auch das Gewissen nur auf solche Kriterien berufen. Woran erkennt man, ob eine Handlung nicht verantwortbar oder verantwortbar ist?

    Der Katechismus rechnet damit, dass es „in sich schlechte“ Handlungen gibt, die zu wählen „immer falsch“ ist (Nr. 1761), ohne jedoch dafür ein genaues Kriterium anzugeben. So heißt es in Nr. 2297: 

Außer wenn streng therapeutische Gründe dafür sprechen, verstoßen direkt gewollte Amputationen, Verstümmelungen oder Sterilisationen unschuldiger Menschen gegen das sittliche Gesetz.

Es scheint, dass in diesem Satz z. B. „direkt gewollte Verstümmelungen“ als „in sich schlecht“ angesehen werden. Aber dann ist nicht mehr zu verstehen, wie sie trotzdem erlaubt sein können, „wenn strikt therapeutische Gründe für sie sprechen“. Was wirklich „in sich schlecht“ ist, kann aus überhaupt keinem Grund jemals dennoch zulässig werden.
   
    Es hängt daher alles davon ab, woran man erkennt, dass eine Handlung „in sich schlecht“ ist.


    Unverantwortbar und „in sich schlecht“ kann nur eine Handlung sein, die wissentlich oder vermeintlich einen Schaden zulässt oder verursacht. Ohne einen zumindest vermeintlichen Schaden kommt keine sittliche Schlechtigkeit zustande. Man kann sittliche Schlechtigkeit nur durch ihren Zusammenhang mit einem Schaden überhaupt definieren. Anderseits gilt aber, dass nicht jede Handlung, die (wissentlich oder vermeintlich) einen Schaden zulässt oder verursacht, tatsächlich unverantwortlich ist.1 Wer zur Lebensrettung ein Körperglied amputiert, verursacht zwar mit dem Verlust des Körpergliedes einen Schaden, aber dieser bestimmt nicht den tatsächlichen „Gegenstand“ der Handlung, der allein in der Lebensrettung besteht. In traditioneller Ethik sagt man, dass die Handlung einen „entsprechenden Grund“ hat und dadurch trotz des verursachten oder zugelassenen Schadens sittlich verantwortbar ist, wenn man darauf achtet, diesen Schaden so gering wie nur möglich zu halten.

1 Vgl. ausführlicher: Peter Knauer, Handlungsnetze – Über das Grundprinzip der Ethik, Frankfurt 2002. 196 S. (Book on Demand), ISBN 3-8311-0513-8.
                                            
    Einen Schaden ohne einen „entsprechenden Grund“ zu verursachen oder zuzulassen, ist immer „in sich schlecht“. Mit einem „entsprechenden Grund“ einen Schaden zu verursachen oder zuzulassen, kann dagegen niemals „in sich schlecht sein“.
   
    Wenn ein Schaden ohne „entsprechenden Grund“ verursacht oder zugelassen wird, dann benennt man die Handlung nach diesem Schaden und gebraucht ein ethisch negativ qualifizierendes Wort. Der Schaden ist dann eo ipso das, was „direkt“ gewollt ist, und macht den „Gegenstand“ der Handlung aus. Zum Beispiel wird die Abnahme eines Körpergliedes ohne „entsprechenden Grund“ mit Recht als „Verstümmelung“ bezeichnet und ist tatsächlich immer unerlaubt.
   
   
    Wenn man dagegen für die Verursachung oder Zulassung eines Schadens einen „entsprechenden Grund“ hat, dann wird die Handlung nach diesem „entsprechenden Grund“ benannt. Bei der Abnahme eines Körpergliedes mit „entsprechendem Grund“ handelt es sich nicht um eine „Verstümmelung“, sondern um „Lebensrettung“. Der dabei verursachte Schaden des Verlustes eines Körpergliedes bleibt in ethischer Hinsicht außerhalb des gewollten „Gegenstandes“ der Handlung, er wird „indirekt“.


    Die ethischen Begriffe „direkt“ und „indirekt“ dürfen nicht mit „physisch unmittelbar“ oder „mittelbar“ verwechselt werden. Es geht auch nicht um die psychologische Aufmerksamkeit. Wenn jemand einen anderen bestiehlt, ist es ihm häufig vollkommen egal, ob dieser einen Schaden erleidet oder nicht; dennoch ist die Verursachung des Schadens der gewollte Gegenstand der Handlung. Umgekehrt: Wenn Ärzte zur Lebensrettung einen Fuß amputieren, ist die psychologische Aufmerksamkeit voll auf die Amputation gerichtet; dennoch ist die Lebensrettung der gewollte Handlungsgegenstand. Die Wegnahme des Körpergliedes bleibt in ethischer Betrachtung „indirekt“, „außerhalb des Handlungsgegenstandes“.


    Unsere ethische Sprache ist relativ unentwickelt. Es wäre eigentlich notwendig, immer unterschiedliche Wörter einmal für die bloße Sachverhaltsbeschreibung der Verursachung oder Zulassung eines Schadens und sodann für die ethische Bewertung zu gebrauchen, die davon abhängt, ob der „Grund“ der Handlung ein „entsprechender“ ist oder nicht.


    Jeder „Diebstahl“ (ethische Bezeichnung) besteht in der „Wegnahme fremden Eigentums“ (vorethische Benennung des verursachten oder zugelassenen Schadens); aber nicht jede „Wegnahme fremden Eigentums“ ist tatsächlich ein „Diebstahl“. Es gibt ethisch zulässige Enteignungen zum Beispiel um des Gemeinwohls willen, die nur unter der Bedingung stehen, dass der Schaden so gering wie möglich gehalten wird.


    Jede „Lüge“ ist eine „Falschrede“; aber nicht jede „Falschrede“ ist auch eine Lüge. Wenn die Falschrede einen „entsprechenden Grund“ hat, wird sie nicht mit Recht als „Lüge“ bezeichnet. Es gibt Fälle, in denen die strikt gebotene Wahrung eines Geheimnisses nur durch eine Falschrede möglich ist. Dann handelt es sich ethisch gesehen nicht um „Lüge“, sondern um die Wahrung eines Geheimnisses, bei der eine Falschrede in Kauf genommen werden muss.


    Jede „Verstümmelung“ besteht in der „Abnahme eines Körpergliedes; aber nicht jede „Abnahme eines Körpergliedes (Amputation)“ stellt eine „Verstümmelung“ dar. Wenn die Amputation um der Lebensrettung willen notwendig ist, wird die Handlung ethisch als Lebensrettung bezeichnet.


    Jeder „Mord“ ist eine „Tötung“; aber nicht bei jeder „Tötung“ handelt es sich um „Mord“. Wenn die einzige Weise, einen Amokläufer zu hindern, darin bestünde, ihn zu erschießen, dann handelt es sich nicht um „Mord“, sondern um die berechtigte gewaltsame Verhinderung von noch mehr Gewalt.


    Leider werden in der Alltagssprache häufig dieselben Wörter für jeweils beides gebraucht, so dass man auch sehr leicht die Sachverhalte miteinander verwechselt. Es gibt sehr viele Formen von Verursachung oder Zulassung eines Schadens, bei denen unsere bisherige Sprache noch keine unterschiedlichen Wörter für die bloße Benennung des Schadens und die ethische Bewertung vorsieht. Die ethische Bewertung der Verursachung oder Zulassung eines Schadens hängt allein davon ab, ob der „Grund“ der Handlung ein „entsprechender“ ist, oder nicht.


    Der „Gegenstand“ einer verantwortbaren Handlung ist ihr „entsprechender Grund“; der „Gegenstand“ einer schlechten Handlung ist der in ihr ohne „entsprechenden Grund“ verursachte oder zugelassene Schaden.

    Bereits Thomas von Aquin macht in S.th. I-II q1 a3 ad3 ausdrücklich darauf aufmerksam, dass physisch ganz verschiedene Handlungen ethisch denselben Handlungsgegenstand haben können (sowohl bei einer Amputation wie bei der Gabe von Antibiotika kann es sich gleicherweise ethisch um Lebensrettung handeln). Auch umgekehrt können gleiche physische Vollzüge ethisch völlig verschiedene Handlungen sein: Die ansonsten völlig kunstgerecht mit Betäubung und aseptisch ausgeführte Wegnahme eines Körpergliedes kann dennoch entweder eine unerlaubte Verstümmelung oder eine Lebensrettung sein, je nachdem, ob ihr Grund kein entsprechender oder aber ein entsprechender ist. Es ist nicht möglich, eine Handlung aufgrund des bloßen physischen Vollzugs für sich allein ethisch zu beurteilen.
 

4)  Was ist ein „entsprechender Grund“?

Aus der bisherigen Analyse ergibt sich: Der alles entscheidende Begriff der Ethik ist der des „entsprechenden Grundes“.

    In manchen traditionellen Handbüchern und Lexikonartikeln wird der Begriff des „entsprechenden Grundes“ mit dem eines „wichtigen“, „schwerwiegenden“, „ernsthaften“ Grundes verwechselt. Oder man meint, ein „entsprechender Grund“ sei bereits dann gegeben, wenn der durch die Handlung erreichte Nutzen gegenüber dem Schaden überwiegt. Der zugelassene Schaden stünde dann in einer „Entsprechung“ zum „Nutzen“. Darauf laufen alle Ethiktheorien hinaus, die sich für die ethische Beurteilung von Handlungen auf einen so genannten „Gütervergleich“ berufen. Ethik bestünde dann in der Aufgabe, eine Hierarchie von Werten aufzustellen bzw. Wertvorzugsregeln zu entwickeln. Misslich dabei ist, dass man diese Wertehierarchien anderen erst andemonstrieren muss.


    Die bereits genannten Beispiele für Handlungen, die einen Schaden verursachen oder zulassen mit einem „entsprechenden Grund“ oder aber ohne einen solchen, legen ein anderes Verständnis nahe. Es geht um die Frage, ob zwischen der Handlung und ihrem Grund eine Entsprechung besteht oder nicht. Eine Handlung, die keinen „entsprechenden Grund“ hat, könnte auch als eine Handlung bezeichnet werden, die ihrerseits ihrem Grund nicht wirklich entspricht. Die Handlung bleibt unverhältnismäßig. Denn es ist tatsächlich möglich, dass Handlungen gerade dem Wert oder Werteverbund, den sie verwirklichen wollen, auf die Dauer und im Ganzen widersprechen und sich somit als „kontraproduktiv“ erweisen. Eine Handlung kann auch einen Schaden um den Preis zu vermeiden suchen, dass der Schaden auf die Dauer und im Ganzen noch größer wird. Man kommt dann „vom Regen in die Traufe“.


    Dafür, dass eine Handlung ihrem eigenen Grund widerspricht, haben wir im Deutschen das Wort „Raubbau“. Unter „Raubbau“ ist zu verstehen, dass man in einer Weise Gewinn zu machen sucht, dass man letztlich die Quellen des Gewinns zerstört. Anschauliche Beispiele sind die Vernichtung der Regenwälder oder die Überfischung der Weltmeere, die bereits zur Ausrottung ganzer Arten geführt hat.


    Ob eine Handlung die Struktur des Raubbaus hat oder nicht, ist ein Sachverhalt, der völlig davon unabhängig ist, ob es dem handelnden Subjekt passt oder nicht. Das ist mir der traditionellen Rede von der Objektivität des natürlichen Sittengesetzes gemeint.


    Unsere These ist, dass alle „in sich schlechten“ Handlungen daran und allein daran zu erkennen sind, dass sie letzten Endes und universal betrachtet genau den Wert oder Werteverbund untergraben, den man auf kurze Sicht und in partikulärer Hinsicht, etwa für sich selbst oder die eigene Gruppe erreicht.


    Mit der in der Ethik entscheidenden Forderung „universaler Betrachtung“ ist gemeint, dass für die ethische Analyse von jeder Einschränkung eines Wertes auf bestimmte Nutznießer – und sei es die gesamte heute lebende Menschheit – zu abstrahieren ist. Ethik kennt kein „Ansehen der Person“.


    Es geht in dieser Analyse nicht um Gütervergleich im Sinn eines Vergleichs zwischen verschiedenen Gütern untereinander, sondern um die Frage, ob ein Wert universal betrachtet tatsächlich gefördert wird oder aber durch die Weise, wie man ihn erreichen will, in Wirklichkeit letztlich vermindert oder gar überhaupt zerstört wird. „In sich schlecht“ und damit verboten ist jede Handlung, die auf die Dauer und im Ganzen zu einer Wertminderung führt.


    Dagegen gibt es im positiven Bereich den Unterschied zwischen Gut und Besser. Eine Handlung, die den in ihr angestrebten Wert tatsächlich auf die Dauer und im Ganzen gesehen fördert, ist bereits gut, selbst wenn noch bessere Handlungsweisen denkbar wären. Zu ihnen ist man nicht verpflichtet, sondern nur eingeladen. Es handelt sich um keine rigorose, sondern um eine freundliche Ethik.


    Die „Entsprechung“ zwischen der Handlung und ihrem Grund ist ein Kriterium, für das man auf keine religiösen Vorraussetzungen zurückgreifen muss. Es macht Anspruch auf Zugänglichkeit für jedefrau und jedermann.


    Tatsächlich wäre es auch fatal, wenn man behaupten wollte, nur religiöse Menschen seien in ihrem Gewissen ansprechbar. Mit einer solchen Behauptung würde man nur der christlichen Botschaft ihren Anknüpfungspunkt nehmen. Die Bedeutung des christlichen Glaubens besteht nicht darin, neue sittliche Forderungen aufzustellen, sondern diejenige Angst des Menschen um sich selbst zu entmachten, die ihn sonst hindert, sich menschlich anstatt unmenschlich zu verhalten. Dass der Mensch bereits von sich aus den Unterschied zwischen menschlich und unmenschlich zu erkennen vermag, ist dabei vorauszusetzen.


5.  „Der gute Zweck heiligt nicht das schlechte Mittel.“

Die Geltung des Satzes, dass der gute Zweck nicht das schlechte Mittel heiligt, ist so etwas wie das Gütesiegel jeder wirklichen Ethik. Deshalb erklärt auch der Katechismus:

1759    „Keine in guter Absicht vollzogene schlechte Tat wird entschuldigt“ (Thomas v. A., dec. Praec. 1). Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht.

Mit diesem Satz wird ein anderer, ausführlicherer zusammengefasst: 

1756    Somit ist es falsch, bei der Beurteilung des sittlichen Charakters der menschlichen Handlungen einzig die ihr zugrunde liegende Absicht oder die sie begleitenden Umstände (wie Milieu, gesellschaftlicher Druck, Zwang oder Notwendigkeit zuhandeln) zu beachten. Es gibt Handlungen, die wegen ihres Objekts in schwerwiegender Weise, unabhängig von den Umständen oder Absichten, aus sich und in sich schlecht sind, z. B. Gotteslästerung und Meineid, Mord und Ehebruch.

Die bisherige Analyse hat bereits gezeigt, dass mit der Aussage, eine Handlung sei „in sich schlecht“, nicht eine Art rein physischer Sachverhalt gemeint ist, der davon unabhängig wäre, was der Handelnde als Gegenstand seines Willens hat. Eine Handlung kann nur dann schlecht sein, wenn sie den vom Subjekt in ihr selbst angestrebten Wert untergräbt. Allerdings ist dies durchaus davon unabhängig, ob es dem Subjekt gefällt oder nicht, und in diesem Sinn ist es völlig objektiv.

    Der Satz, dass der gute Zweck nicht das schlechte Mittel heiligt, setzt voraus, dass Zweck und Mittel zwei voneinander unterschiedene Handlungen sind. Ein Mittel kann nur dann ethisch schlecht sein, wenn es eine eigene Handlung ist. Wenn diese Handlung in sich selber bereits kontraproduktiv ist, also ihrem eigenen Grund auf die Dauer und im ganzen nicht entspricht, sondern widerspricht, dann wird sie auch nicht dadurch besser, dass man sie zusätzlich benutzt, eine andere in sich selber verantwortbare Handlung zu ermöglich.

    Warum stellt die Amputation eines Körpergliedes zum Zweck der Lebensrettung keinen Verstoß gegen den Satz dar, dass der gute Zweck nicht das schlechte Mittel heiligt? Die Antwort lautet: Die Amputation des Körpergliedes und die Lebensrettung sind von vornherein gar nicht zwei verschiedene Handlungen, sondern ein und dieselbe. Die Amputation selbst ist bereits die Lebensrettung.

    Warum ist dagegen Folter immer „in sich schlecht“ und kann durch keinen noch so hehren Grund gerechtfertigt werden? Warum ist es unzulässig, zum Beispiel einem Kindesentführer mit Folter zu drohen, damit er den Aufenthalt des Kindes preisgibt? Ist nicht dieser Zweck der einzige Grund der Drohung mit Folter, so dass er der Handlungsgegenstand ist und es nur um eine einzige Handlung geht?

    Es trifft leider nicht zu, dass man die Folter oder die Drohung mit Folter und das Herausbekommen der gewünschten Information genauso wie die Amputation und die Lebensrettung als ein und dieselbe Handlung ansehen kann. Zwischen der Folter und dem Herausbekommen der gewünschten Information muss ein fremder Wille tätig werden: Der Gefolterte muss klein beigeben. Dadurch aber werden Folter und Informationserlangung in zwei verschiedene Handlungen getrennt, und dann ist der Satz anzuwenden, dass der gute Zweck ein schlechtes Mittel nicht heiligen kann.

    Angesichts eines Entführungsfalles wurden kürzlich in Leserbriefen diejenigen, die Folter einfachhin ablehnen, als „Gutmenschen“ verunglimpft. Wer so denkt, verkennt, dass man mit Folter zwar jede beliebige Aussage erpressen kann, nie jedoch die Garantie hat, dass die Aussage auch wahr ist. So ist Folter Schmerzzufügung ohne „entsprechenden Grund“ und als solche ausnahmslos unzulässig.

    Warum ist Folter „in sich schlecht“? In ihr wird Wille gebraucht, um Willen zu brechen. Sie hat grundsätzlich keine innere Verhältnismäßigkeit. Friedrich von Spee hat dies in Bezug auf die Hexenprozesse so erläutert: Wenn jemand unter Folter gesteht, Hexe zu sein, ist für den Folterer erwiesen, dass es sich um eine Hexe handelt. Aber auch wenn man durch die Folter kein Geständnis erlangt, ist ebenfalls erwiesen, dass es sich um eine Hexe handelt, weil man ja nur mit Hilfe des Teufels in  solchen Qualen standhaft bleiben könne. Folter lässt sich beliebig steigern und kennt keine innere Grenze. Genau dies ist der Grund, warum sie bereits in sich schlecht ist, unabhängig davon, was man mit ihr sonst noch beabsichtigt.

    Deshalb hat der Katechismus der Katholischen Kirche durchaus darin Recht, Folter einfachhin abzulehnen (Nr. 2297f).



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