Letzte Aktualisierung:  12. März, 2009, PK
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Peter Knauer SJ

 

Eine andere Antwort auf das »Theodizeeproblem«

was der Glaube für den Umgang mit dem Leid ausmacht  

                                                                     
Gedruckt in:
ThPh 78 (2003) 193–211

ZUSAMMENFASSUNG:
"Allmacht" Gottes bedeutet nicht, dass er alles Mögliche könnte, sondern dass er "in allem mächtig ist": Nichts kann ohne ihn sein. Aber dies ist für sich allein genommen noch keine tröstliche Aussage.
Die Liebe Gottes zur Welt ist dieselbe, in der er von Ewigkeit her seinem eigenen Sohn zugewandt ist. Sie hat nicht ihr Maß an der Welt und kann auch nicht an ihr abgelesen werden, sondern wird nur durch Gottes Wort und nur für den Glauben offenbar.
Die christliche Antwort auf die Theodizeefrage findet sich bereits in Röm 8,31–39: Keine Macht der Welt, nicht einmal der Tod, kann uns aus der Gemeinschaft mit Gott herausreißen.

Noch nach bald zweitausend Jahren der Geschichte des Christentums scheint es keine allgemein rezipierte Antwort auf das so genannte Theodizeeproblem zu geben: Wie kann man angesichts des Leidens und des Bösen in unserer Welt gleichzeitig von Allmacht und Allgüte Gottes sprechen? Man könnte meinen, es sei ein Armutszeugnis für die Christenheit in ihrer fast zweitausendjährigen Geschichte, dass das Problem noch immer als ungelöst gilt. Manche halten eine Lösung auch gar nicht für wünschenswert, weil sie mit einem gewissen Recht fürchten, dass sie auf eine Legitimierung des Leidens hinausliefe.(1) Allerdings darf man sich auch nicht mit der Zulassung eines logischen Widerspruchs abfinden. Wieder andere möchten zwischen der Anerkennung einer Unvereinbarkeit und der Behauptung der Widersprüchlichkeit unterscheiden. Sie plädieren dafür, dass die Frage offen bleiben müsse.(2) Doch bleibt eine solche Unterscheidung ohne Kriterien. Es kann auch nicht ausreichen, widersprüchlichen Konklusionen des Denkens dadurch entgehen zu wollen, dass man in bestimmten Fällen logische Schlüsse für unzulässig erklärt; jedenfalls müsste man diese Unzulässigkeit begründen.(3)

Im Folgenden soll dargestellt werden, dass das sogenannte Theodizeeproblem, wie nämlich ein sowohl allmächtiger wie gütiger Gott das Leid zulassen könne, auf von vornherein logisch unzutreffenden, ja in sich widersprüchlichen Voraussetzungen aufbaut. Es geht sowohl von einem falschen Verständnis von Allmacht wie einem falschen Verständnis von Güte Gottes aus. Vor allem setzt es im Widerspruch zur Anerkennung dessen, dass Gott nicht unter Begriffe fällt, voraus, es gebe einen Gottesbegriff, der sich zur Herleitung von Schlussfolgerungen eignet. Deshalb kann die Suche nach einer Antwort auf das Theodizeeproblem keinen Erfolg haben. Diese Suche wird nicht verboten, sondern in ihren Voraussetzungen aus den Angeln gehoben. Die Frage ist vielmehr dahingehend zu verändern, welche Bedeutung der christliche Glaube für unseren Umgang mit dem Leid hat.(4) 

I.  Vorwegnehmend die Antwort der Heiligen Schrift

Es sei mit einigen Grundaussagen der Heiligen Schrift begonnen, die zeigen, dass die Antwort auf die Theodizeefrage schon längst vorliegt.

Das Problem der Theodizee beschreibt bereits Jer 45: »Das Wort, das der Prophet Jeremia zu Baruch, dem Sohn Nerijas sagte, als dieser im vierten Jahr Jojakims, des Sohnes Joschijas, des Königs von Juda, jene Reden nach dem Diktat Jeremias in ein Buch schrieb: So spricht der Herr, der Gott Israels über Dich, Baruch: Du hast gesagt: Weh mir! Denn der Herr häuft noch Kummer auf mein Leid. Ich bin erschöpft vom Stöhnen und finde keine Ruhe. Sag zu ihm: So spricht der Herr: Was ich gebaut habe, breche ich nieder, und was ich gepflanzt habe, reiße ich aus. Das betrifft das ganze Land. Du aber begehrst Großes für Dich? Begehre es nicht! Denn siehe, ich bringe Unheil über alles Fleisch – Spruch des Herrn –; dir aber gebe ich dein Leben als Beute überall, wohin du auch gehst.«

Die feierliche Einleitung mit einer Datierung soll auf die Wichtigkeit der dann folgenden Aussage hinweisen. Baruch wird mit dem ihm begegnenden Leid nicht mehr fertig. Ihm wird als Antwort gesagt, dass die Welt genau so, wie sie ist, auch in ihren leidvollen Seiten, ohne Gott nicht wäre. Das gilt von der gesamten Wirklichkeit. Niemand soll meinen, dass für ihn willkürliche Ausnahmen von den Gesetzen der Wirklichkeit gemacht werden. Wenn jemand fromm ist, folgt daraus keineswegs, dass sein Haus in einem Krieg vor Zerstörung bewahrt wird oder dass er nicht von einer unheilbaren Krankheit ereilt werden könne. Niemand soll meinen, er sei nicht dem Tod verfallen. Nur wer alle Illusionen aufgegeben hat und sich realistisch auf die Wirklichkeit bezieht, kann seinem eigenen Menschsein und dem anderer in dieser Welt gerecht werden. Aber was bedeutet dann der Bezug auf Gott?

Davon spricht zum Beispiel Psalm 23,6: »Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.« Mit der finsteren Schlucht ist die Erfahrung des Leids gemeint; sie steht im Kontrast zu der in diesem Psalm ebenfalls angesprochenen guten Erfahrung (v. 2): »Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.« In der dunklen Schlucht, in der man sich nicht einmal mehr orientieren kann, hört man nur noch den Stab des Hirten, der auf den Boden aufschlägt. Aber wie sollte die Gegenwart dieses Hirten Zuversicht geben können, wenn es Mächte gäbe, gegen die auch er nichts vermag? Und worauf anders sollte diese Zuversicht gründen als auf der Gegenwart des Hirten, der Gemeinschaft mit ihm

In Lk 13,1–9 wird erzählt, wie man Jesus davon berichtet, dass Pilatus einige Galiläer beim Opfern hat umbringen lassen. Jesus antwortet: »Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht? [...] Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden – meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hätten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht? Nein, im Gegenteil, ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.« Die Antwort Jesu besteht in einer Universalisierung: Außerhalb des Glaubens, solange man also aus der Angst um sich selbst lebt, wird die ganze Welt zu einem Gleichnis der Hölle. Tod und Vergänglichkeit haben das letzte Wort, und keine noch so gute Erfahrung kommt dagegen an. Jedes Unglück in der Welt wird zum allgemeinen Gleichnis der Situation der Gottferne: »Ihr werdet genauso umkommen.« Für den, der sich bekehrt hat, also innerhalb des Glaubens, gilt umgekehrt: Die Welt wird in ihm zu einem Gleichnis des Himmels, der ewigen Gemeinschaft mit Gott. Jede gute Erfahrung, mag sie noch so gering und vergänglich sein, weist über sich hinaus auf eine Liebe Gottes, in der man für immer geborgen ist. Kein Leid und kein Tod kommen dagegen an. Im Glauben haben Leid und selbst der Tod ihren Gleichnischarakter für ewiges Unheil verloren.

Viele Menschen neigen dazu, auf die Frage, »warum gerade dieser?« oder »warum gerade ich?« mit Schuldzuweisungen zu antworten. Oder sie fragen: »Womit habe ich das verdient?« Die Antwort Jesu passt nicht zu dieser Frage, oder besser, sie setzt vor dieser Frage an. Unterschiedslos lässt Gott »seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte« (Mt 5,45).

Im lukanischen Passionsbericht sagt Jesus zu den Frauen von Jerusalem: »Wenn das am grünen Holz geschieht, was wird dann am dürren geschehen?« (Lk 23,31) Mit dem »grünen Holz« ist gemeint, wer aus der Gemeinschaft mit Gott lebt, wer also im Sinn von Psalm 1,3 »wie ein Baum ist, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken«. »Dürres Holz« dagegen ist, wer um keine Gemeinschaft mit Gott weiß und so »wie die Spreu ist, die der Wind verweht« (Ps 1,4). Durch nichts wird ausgeschlossen, dass dem grünen Holz alle Zweige ausgerissen werden. Dennoch kann es dadurch nicht von seinem Lebensgrund getrennt werden. Für das »dürre Holz« dagegen gilt, das jedes Unheil Gleichnis seiner wahren Situation ist.

Die Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit dem Leid zusammenfassend schreibt Paulus in Röm 8,31–39: »Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? [...] Wer kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? [...] All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.« Die Gemeinschaft mit Gott, das Geborgensein in seiner Liebe bedeutet, dass keine Macht der Welt ausreicht, von ihm zu trennen. Aber besteht Gottes Liebe etwa darin, von vornherein vor Bedrängnis, Not, Verfolgung, Tod zu bewahren? Dieser Abschnitt des Römerbriefs ist vom Ursprung des Christentums an die eigentliche Antwort auf die Frage, wie der Glaube mit dem Leid umgeht. »Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt.« (Röm 8,28)

Leid und Tod sind Realitäten, in denen man im Glauben nicht mehr verzweifeln muss. Sie hindern jedoch daran, das Gleichnis mit der eigentlichen Wirklichkeit, auf die es verweist, gleichzusetzen und zu meinen, die Liebe Gottes bestehe darin, dass es einem in der Welt immer gut geht. Man würde sich sozusagen nur bei gutem Wetter in Gottes Liebe geborgen wissen können, während man bereits bei der kleinsten Regenwolke am Horizont an der Verlässlichkeit seiner Liebe zweifeln müsste. Die Theodizeefrage läuft genau auf diese Auffassung hinaus. Es handelt sich um eine Auffassung, von der man erlöst werden muss. Ihr zu verfallen wäre katastrophal: Solche Weltvergötterung schlägt notwendig in Verzweiflung an der Welt um.
 

II. Worin besteht Gottes Allmacht?

Wie kann Gott sowohl allmächtig wie allgütig sein und doch das Leid und sogar die Sünde zulassen? Gewöhnlich wird Allmacht Gottes so umschrieben: »Mit Allmacht ist unbegrenzte Herrschaft gemeint. [... Gott] kann alles, was er will und was sinnvoll ist. Gott hat alle Möglichkeiten.«(5)

Diese Redeweise ist sehr problematisch. Sie scheint Gott nur eine Art »potentieller« Allmacht zuzuschreiben: Gott könnte alles Mögliche (nur weiß man nie, ob er es auch tatsächlich will). Der Fehler des Satzes besteht darin, von einem unreflektierten Gottesbegriff auszugehen, als wisse man bereits, wer Gott ist, um dann erst in einem zweiten Schritt diesem Gott zuzuschreiben, was er alles könne: »Das Wort ›Allmacht‹ umfaßt so auch das Schöpfungshandeln Gottes.«(6)  Wenn man daraufhin die Welt betrachtet, wird sie in der Tat zum Einwand gegen die Rede von der Allmacht Gottes. Man muss sich dann auf die verschiedensten Weisen herausreden. Entweder sagt man, dass Gott eben doch nicht alles geschaffen habe. Das Leid und das Böse werde von ihm nur zugelassen. Oder es werde von ihm gar nur vorgefunden, und er könne sich erst allmählich dagegen durchsetzen. Oder man behauptet, dass die Schöpfung darin bestehe, dass Gott in der Weise einer Selbstbegrenzung die Welt als das von ihm Verschiedene aus sich heraussetze. Eben damit nehme er seine Allmacht gleichsam zurück und müsse selber hinnehmen, wie sich die Welt entwickelt und was sonst noch aufgrund der menschlichen Freiheit auf ihn zukommt.(7)

Allen diesen Redeweisen ist gemeinsam, dass sie Gott und Welt unter ein und denselben übergreifenden Seinsbegriff subsumieren. Man kann dann von der Welt auf Gott schließen, und auch umgekehrt von Gott auf die Welt. Zum Beispiel versucht man, die verschiedensten Dinge in der Welt mit Gott zu erklären. Dies wäre ein völliges Missverständnis der sogenannten Analogielehre, in der es nicht um einen diffus umgreifenden Seinsbegriff geht, sondern darum, dass die Welt in ihrer ganzen Wirklichkeit auf Gott hinweist.

Man übersieht in der Vorstellung von einem übergreifenden Seinsbegriff, dass die christliche Verkündigung von Gott sagt, dass er von vornherein gar nicht unter Begriffe falle, ja größer sei als alles, was überhaupt gedacht werden könne.(8)  Die Unbegreiflichkeit Gottes bedeutet jedenfalls, dass Gott nicht »unter« unsere Begriffe fällt. Die Rede von Gott eignet sich daher nicht als Ausgangspunkt für logische Folgerungen. Man kann nichts »mit Gott erklären«. Nur was »unter« Begriffe fällt, kann als Ausgangspunkt für logische Schlüsse dienen.

Man könnte einwenden, dass die Rede von der Unbegreiflichkeit Gottes auch nur eine fromme Ausrede sei, wie man sie ja von Theologen gewohnt ist. Tatsächlich entsteht die Frage, wie man denn dann, wenn Gott gar nicht unter unsere Begriffe fällt, überhaupt noch von ihm reden kann.

Die christliche Botschaft selbst antwortet auf diese Frage: Die einzige Weise, überhaupt sinnvoll von Gott zu sprechen, besteht darin, sich selbst und die ganze Welt als »aus dem Nichts geschaffen« zu verstehen. In allem, worin wir uns vom Nichts unterscheiden, gehen wir völlig in einem »Bezogensein auf ... / in Verschiedenheit von ...« auf. Das Woraufhin dieses Bezogenseins nennen wir Gott. Wir begreifen also von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, das auf ihn verweist. Damit schließen wir nicht von der Welt auf Gott, sondern wir können von der Welt immer nur auf ihre Geschöpflichkeit schließen, und damit hat alles Schließen sein Ende. Gott selbst fällt nicht unter unsere Begriffe. Wir können nur hinweisend (»analog«) von ihm sprechen.

Wir schließen von der Welt auf ihre Geschöpflichkeit aufgrund der Tatsache, dass alles in ihr ein Zugleich von Gegensätzen darstellt. Ein solches Zugleich von Gegensätzen lässt sich nur durch die Angabe zweier Hinsichten, die sich nicht wiederum ausschließen, anders als logisch widersprüchlich aussagen. Zum Beispiel bedeutet die Kontingenz der Welt ein Zugleich von Notwendigkeit und Nichtnotwendigkeit; alle Veränderung stellt ein Zugleich von Identität und Nichtidentität dar. Endlichkeit ist ein Zugleich von Sein und Nichtsein. Um die Einheit solcher Gegensätze anders als logisch widersprüchlich und damit falsch zu beschreiben, ist es erforderlich, für die einander ausschließenden Gegensätze zwei voneinander unterschiedene Hinsichten anzugeben; um aber die Einheit der Gegensätze zu erklären, dürfen sich diese unterschiedlichen Hinsichten nicht wiederum ausschließen. Solche Hinsichten findet man nur in dem Begriff der Geschöpflichkeit: »Restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...«. Das Wort »restlos« bezieht sich dabei auf die jeweilige konkrete Wirklichkeit mit allen ihren Aspekten; es ist also unterschiedlich gefüllt, je nachdem, um welche Wirklichkeit es sich jeweils handelt. In diesem Verständnis wird die Welt nicht durch Gott erklärt, sondern durch ihre Geschöpflichkeit.

Mit »aus dem Nichts Geschaffensein« ist dann nicht etwa nur der Anfang der Welt gemeint, der sogenannte Urknall, der dann durch eine »fortdauernde Schöpfung« zu ergänzen wäre. »Aus dem Nichts Geschaffensein« will so radikal verstanden werden, dass es keiner Ergänzung bedarf: Die Welt geht in jedem Augenblick ihrer Existenz völlig darin auf, ohne Gott gar nicht sein zu können. Aus dem Nichts Geschaffensein bedeutet: Könnten wir unser Geschaffensein beseitigen, bliebe nichts von uns übrig. Selbst eine seit je existierende Welt oder eine Welt, deren Ordnung als das Ergebnis von Zufall dargestellt werden könnte, ginge noch immer darin auf, nichts als ein »restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...« zu sein. Geschöpflichkeit ist keine Alternative zu naturwissenschaftlichen Welterklärungen, sondern würde auch sie alle umfassen. Nicht nur die Naturgesetze, sondern auch ein eventueller Zufall wäre noch immer das, was jedenfalls ohne Gott nicht sein kann. Solche Geschöpflichkeit könnte nur dann widerlegt werden, wenn es gelänge, die ganze Wirklichkeit oder irgendeinen Teil von ihr anders denn als Zugleich von Gegensätzen zu beschreiben.

Die Welt geht so restlos in ihrem Geschaffensein auf, dass es sich um ein ganz und gar einseitiges Bezogensein handelt. Geschaffensein ist eine einseitige Relation der Welt auf Gott. Dies zu leugnen, liefe darauf hinaus, unser Geschaffensein aus dem Nichts nachträglich wieder zu bestreiten. Wenn die Welt ihrerseits der konstitutive Terminus für eine Relation Gottes auf sie sein könnte, ginge sie nicht mehr vollkommen in ihrer einseitigen Beziehung auf ihn auf, sondern wäre noch etwas darüber hinaus. Dann wäre auch Gott nur noch ein Teil einer übergreifenden Gesamtwirklichkeit, in der die Gesetze der Wechselwirkung herrschen; er wäre selber nur ein Stück Welt.

Aber impliziert nicht die Anerkennung unseres Geschaffenseins eben die Aussage, dass es Gott ist, der die Welt erschafft und so Einfluss auf sie nimmt? Weil wir aus unserer Erfahrung immer nur Wechselwirkung kennen, stellen wir uns fast notwendig, vermeintlich sogar denknotwendig, das Verhältnis zu Gott wie alle innerweltlichen Verhältnisse ebenfalls als ein wechselseitiges vor. Innerhalb dieses Vorverständnisses muss die Rede von der Einseitigkeit der realen Relation des Geschaffenen auf Gott wie eine ganz unverantwortliche Verkürzung klingen: anstatt anzuerkennen, dass eine Beziehung der Welt auf Gott eine Beziehung Gottes auf die Welt voraussetzt, werde nur die halbe Wahrheit eben der Beziehung der Welt auf Gott zugelassen.

Bereits Thomas von Aquin hat auf diesen Einwand geantwortet. Er hat darauf hingewiesen, dass das einzige reale Fundament dafür, dass wir in unseren Gedanken den Gottesbegriff mit der Welt in Beziehung setzen, darin besteht, dass die Welt vollkommen in ihrer einseitigen Relation auf Gott aufgeht. Es ist auch nicht möglich, Gott irgendwelche zu ihm hinzukommende Relationen auf etwas anderes zuzuschreiben. In Summa theologica I q13 a7 c schreibt er:
»Da also Gott außerhalb der gesamten Schöpfungsordnung ist und alle Geschöpfe auf ihn hingeordnet sind und nicht umgekehrt, so ist es offensichtlich, dass die Geschöpfe real auf Gott selbst bezogen sind; aber in Gott gibt es keine reale Relation von ihm auf die Geschöpfe, sondern nur eine gedachte Relation (relatio rationis), insofern sich die Geschöpfe auf ihn beziehen.«
Noch ausführlicher erläutert er seine Sicht in Summa contra Gentiles, II, c12, n1:
»Solche Relationen, die sich auf ihre Wirkungen beziehen, können nicht real in Gott sein. Denn sie könnten in ihm nicht wie Akzidentien in einem Subjekt sein, da es in ihm kein Akzidens gibt [...]. Sie können aber auch nicht die Substanz Gottes selbst sein. Da nämlich Bezogenes das ist, was sich in seinem Sein in irgendeiner Weise auf etwas anderes hin verhält [...], müßte man sagen, dass die Substanz Gottes dasselbe ist wie das, was auf ein anderes hin ist. Was aber in dem, was es ist, als auf ein anderes hin ausgesagt wird, hängt von diesem irgendwie ab, da es ja ohne dieses weder sein noch verstanden werden kann. Es wäre also notwendig, dass die Substanz Gottes von etwas außerhalb seiner abhängig wäre. Und so wäre sie nicht das durch sich selbst Notwendigsein [...]. Also gibt es der Sache nach keine solchen Beziehungen in Gott.«

Thomas erklärt deshalb, dass es sich bei Relationen, die in Richtung von Gott auf die Welt ausgesagt werden, nur um Relationen unserer Verstehensweise handelt (secundum modum intelligendi tantum). Dieses Verstehen ist aber eben deshalb nicht falsch, weil ihm das reale Bezogensein der Welt auf Gott, also in der umgekehrten Richtung, zugrundeliegt. So handelt es sich um eine gedachte Relation mit einem Fundament in der Wirklichkeit (relatio rationis cum fundamento in re).

Im sachgemäßen Verständnis von Geschöpflichkeit kann man immer nur von der Welt her denken. Die Rede von der Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott ist in metaphysischer Sprache das Pendant zur Anerkennung der Geschichtlichkeit unserer Weltwirklichkeit. Es gibt keine Weltformel, aus der man ableiten könnte, was in unserer Welt der Fall ist oder sein wird. Man kann immer nur von der tatsächlich begegnenden Weltwirklichkeit ausgehen. Vor allem ist es von vornherein ausgeschlossen, dass man aus einem Gottesbegriff irgendetwas in Bezug auf die Welt herleiten könnte. Damit ist auch jedem deterministischen Denken ein für allemal ein Riegel vorgeschoben.

Selbst unsere freiesten Handlungen sind solcher Art, dass sie ohne Gott nicht sein könnten. Wir sind nicht nur im allgemeinen, jedoch mit Ausnahme unserer eigenen freien Entscheidungen, von Gott abhängig. Doch aus der Tatsache, dass auch unsere freien Entscheidungen als solche völlig darin aufgehen, geschöpflich zu sein, kann man gerade nicht folgern, sie seien somit von Gott her determiniert. Einem solchen Deduktionsversuch fehlt jede ontologische Grundlage, wenn die reale Relation des Geschaffenen auf Gott von vornherein einseitig ist.

Es geht in der Lehre von der Einseitigkeit der realen Relation des Geschaffenen auf Gott wohlgemerkt nicht nur um die Begrenztheit unseres Denkvermögens, dass also nur unser Verstand nicht ausreiche, um auch eine reale Beziehung Gottes auf die Welt zu erkennen, die aber tatsächlich bestünde. Es ist vielmehr in sich selbst ausgeschlossen, dass die Welt der konstitutive Terminus einer solchen Relation Gottes auf sie sein könnte.

Nur mit der Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott lässt sich aufrecht erhalten, dass Gott in allem mächtig ist. Aber diese Aussage setzt voraus, dass man zuerst Kenntnis von »allem« nimmt, was in unserer Welt der Fall ist; sie erlaubt es gerade nicht, umgekehrt von Gott herzuleiten, was in der Welt geschieht. So heißt es in Mt 10,29: »Verkauft man nicht zwei Sperlinge für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.« Selbst das Allergeringste kann nicht ohne Gott sein. Gottes Allmacht wird hier als eine »aktuale« und nicht nur eine »potentielle« verstanden. Er ist in allem mächtig, was tatsächlich geschieht. Diese Allmacht ist nicht steigerungsfähig. Eine noch größere als unsere restlose Abhängigkeit ist nicht denkbar.

Es ist nicht möglich, umgekehrt aus dem Gottesbegriff herzuleiten, was alles in unserer Welt der Fall sein »könnte«. Eine solche bloß potentielle Allmacht Gottes könnte auch kein Vertrauen auf Gott begründen, weil man ja nie wüsste, ob er das, was er angeblich »könnte«, auch tatsächlich tun will.

Wenn »aus dem Nichts Geschaffensein« bedeutet, dass die Welt in einer einseitigen Relation auf Gott aufgeht, so bedeutet dies, dass diese Relation mit der ganzen Wirklichkeit der Welt gefüllt ist. Es handelt sich um eine Relation, die nicht wie sonst alle innerweltlichen Relationen zu ihrem Träger hinzukommt, sondern völlig mit ihm identisch ist. Sie kann nur als subsistente Relation bezeichnet werden. Diese Aussage stellt einen Paradigmenwechsel gegenüber der üblichen Substanzmetaphysik dar. Nur in einer relationalen Ontologie, für die Geschaffensein eine mit dem Sein der Welt identische, ihre Substanz konstituierende Relation ist, konnte und kann die Rede von Gott verantwortet werden.

Es sei noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Aussage, dass Gott der in allem Mächtige ist, keineswegs eine Glaubensaussage, sondern eine Vernunftaussage ist. Denn wir sind genau in dem Maß geschaffen, in dem wir sind. Unser Sein ist mit unserem Geschaffensein völlig identisch. Deshalb muss unser Geschaffensein, wenn es denn besteht, an der Welt ablesbar sein und muss mit der Vernunft erkannt werden können. Traditionell bezeichnet man dies als »natürliche Gotteserkenntnis«. Erst im Glauben geht es um unsere Gemeinschaft mit Gott. Gottes Liebe zu uns hat nicht ihr Maß an uns oder an irgendetwas Geschaffenem, sondern wird nur aufgrund der Verkündigung des Wortes Gottes im Glauben als wahr erkannt.(9)

Für sich allein ist die philosophische Rede von dieser aktualen Allmacht Gottes, also dass er der »in allem Mächtige« sei, noch keineswegs tröstlich. Man braucht nur zu bedenken, wieviel Leid es in unserer Welt gibt. Wenn Sperlinge zur Erde fallen, sind sie entweder verhungert oder erfroren oder an sonst einer Schwäche zugrundegegangen. Tröstlich wird die Rede von der wahren Allmacht Gottes erst, wenn uns im Glauben die Gemeinschaft mit diesem Gott zugesagt wird. Denn dann bedeutet sie, dass keine Macht der Welt dagegen ankommt. Wir sind in der Gemeinschaft mit Gott im Leben und im Sterben geborgen.
 

III. Sind auch die Übel der Welt geschaffen?

In der Heiligen Schrift begegnen einander scheinbar widersprechende Aussagen zu unserem Geschaffensein. Auf der einen Seite heißt es im ersten Schöpfungsbericht von allem, was Gott schafft: »Und siehe, es war gut.« Von der Schaffung des Menschen als desjenigen, in dem die Schöpfung zu sich selbst kommt, heißt es: »Und siehe, sehr gut«. Im Buch der Weisheit (1,13) steht: »Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt.«

Aber in der gleichen Heiligen Schrift steht auch: »Ich schaffe Finsternis und Unheil.« (Jes 45,7) »Geschieht ein Unglück in einer Stadt, ohne dass der Herr es bewirkt hat?« (Am 3,6). Selbst das menschliche Böse kann auf Gott zurückgeführt werden, wenn zum Beispiel über den ägyptischen Pharao, der sein Herz verhärtet, gesagt wird: »Der Herr verhärtete das Herz des Pharao.« (Ex 11,10). In gleicher Weise wird es auf Gott selbst zurückgeführt, wenn sogar Israel, Gottes eigenes Volk, sein Herz verhärtet (vgl. Jes 6,10). Auch neutestamentlich werden solche Aussagen wiederholt: »Er erbarmt sich, wessen er will, und macht verstockt, wen er will.« (Röm 9,18).

Wie gehen solche gegensätzliche Textreihen zusammen? Mit der zweiten Aussagengruppe scheinen sich Theologen nicht sehr gerne zu befassen. Die Wahrheit solcher Aussagen, die auch das Böse auf Gott zurückführen, besteht aber darin, dass Gott in überhaupt allem, was geschieht, der Mächtige ist. Alles in der Welt einschließlich des Leids und des Bösen geht darin auf, ohne Gott nicht sein zu können. In diesem Sinn ist sowohl das Gute wie das Schlimme in der Welt Gottes Schöpfung.(10) Aber weil Geschaffensein eine einseitige Relation auf Gott ist, kann man nicht in der Richtung von Gott auf die Welt sinnvoll denken. Zurückführung einer Wirklichkeit auf ihre Geschöpflichkeit ist etwas anderes als der Versuch, sie von Gott herzuleiten.

Deshalb hat die Frage keinen Sinn, warum Gott dies oder jenes »zulässt«. Bereits die Unterscheidung zwischen einem »Zulassen« und einem »Bewirken« ist in bezug auf Gott sinnlos. Diese Unterscheidung würde voraussetzen, dass das Schöpfersein Gottes als eine reale Relation Gottes auf die Welt gedacht werden könnte. Es bleibt dabei, dass man immer nur von der Welt auf ihre Geschöpflichkeit schließen kann und dass damit alles Schließen seine Endstation findet. Weil Geschaffensein Relation auf Gott ist, kommt der Welt Gutheit zu. Weil Geschaffensein aber eine Relation auf Gott ist, die von ihm verschieden bleibt, ist das Sein der Welt von Nichtsein durchdrungen. Aber auch alle Negativität der Welt kann immer nur deren Sein durchdringen und nie abgesehen vom Sein der Welt existieren. Es gibt dabei einen Vorrang des Positiven vor dem Negativen, zu vergleichen mit der Kerze, die im Finstern brennt und durch die Finsternis nicht ausgelöscht werden kann.

Haben wir uns damit auf die Unbegreiflichkeit Gottes und sein Geheimnis herausgeredet?(11)  Diesen Vorwurf kann man nur erheben, wenn man weiterhin im Vorverständnis einer Substanzmetaphysik befangen bleibt und um jeden Preis von Gott auf die Welt zurückschließen will.

Widerlegt sollte mit dem bisher Gesagten auch die Vorstellung sein, dass man von der Rede vom Geschaffensein aus dem Nichts lieber Abstand nehmen sollte. Solche Forderungen begegnen immer wieder in der Debatte um die Theodizeefrage: »Es fragt sich, ob ›schaffen‹ bedeutet: aus dem Nichts hervorzaubern.«(12)  Das Chaos sei auch für Gott vorgegeben, und er könne sich nur langsam dagegen durchsetzen.

Ebenso wenig sinnvoll ist eine Vorstellung von der menschlichen Freiheit, als gebe Gott nur die Eckdaten vor, innerhalb deren man sich wie in einem begrenzten Raum in einer Weise frei bewegen kann, die nicht wiederum von Gott abhängig wäre.(13)

Aber auch die Vorstellung von einer göttlichen Selbstbegrenzung gegenüber seiner Schöpfung erscheint mir in keiner Weise nachvollziehbar.(14)  Sie verstößt gegen die Einsicht, dass wir in allem, worin wir uns vom Nichts unterscheiden, solcher Art sind, dass wir ohne Gott nicht wären; damit verstößt sie auch gegen die Anerkennung der Unbegreiflichkeit Gottes.

Die verbreitete Rede, dass man nach Auschwitz nicht mehr unbefangen von der Allmacht Gottes oder gar von der Güte Gottes reden könne(15), trifft ebenfalls nur auf die falsche Vorstellung von einer bloß potentiellen Allmacht Gottes zu und die ebenfalls unzutreffende Vorstellung, dass Gottes Güte daran ablesbar sein müsse, dass man nie Opfer von Unmenschlichkeit werden könne. Dann hätte es auch nicht die Kreuzigung Jesu geben dürfen.

Würde im Übrigen Gottes Liebe darin bestehen müssen, dass er uns vor allen größeren Katastrophen in der Welt bewahrt, liefe dies auf eine völlige Entmündigung der Menschen hinaus. Wir wären jeglicher Verantwortung enthoben. Ein Hammer, der einem aus der Hand auf den Zeh fällt, müsste sich in Schaumgummi verwandeln. Oder wo läge die Grenze zwischen Katastrophen, vor denen Gott uns bewahren müsste, und solchen, die uns zumutbar sind? Von dem Wunsch nach solchen Wundern schreibt José Saramago mit Recht: »... im übrigen, ein Wunder, sogar ein Wunder, wie sehr man uns auch das Gegenteil versichern mag, ist keine gute Sache, wenn erst, um die Dinge zu bessern, deren Logik und Vernunft verdreht werden muß.«(16) Die wirklichen Wunder bestehen nicht in solchen Durchbrechungen von Naturgesetzen, sondern in der Selbstmitteilung Gottes im Wort der christlichen Botschaft zum Aufbau der Glaubensgemeinschaft, die aus Glauben zu selbstloser Liebe fähig wird. Darum geht es in den Berichten vom sturmstillenden Wort, dem bergeversetzenden Glauben und der brotvermehrenden Liebe.

In dieser Sicht ist es Zeitverschwendung, darüber nachzugrübeln, warum Gott dies oder jenes zulasse. Man wird vielmehr auf die Welt zurückverwiesen. Man soll nach den innerweltlichen Gründen für Unfälle oder Krankheiten suchen, um Abhilfe zu schaffen bzw. Wiederholungen vorzubeugen. Es liegt nicht an einem Mangel unseres Verstandes, dass wir die Frage, warum Gott etwas zulasse, nicht beantworten können. Die Frage selbst geht von der unzutreffenden Voraussetzung aus, es sei möglich, irgendeine Wirklichkeit aus dem Gottesbegriff zu deduzieren. Aufgrund der Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott geht einer solchen Deduktion jede ontologische Grundlage ab.
 

IV. Worin besteht Gottes Güte?

Die Aussage, dass Gott uns liebt und uns gut ist, ist nur dann gewiss machend und kann uns aus der Macht unserer Angst um uns selbst befreien, wenn er zunächst der in allem Mächtige ist; denn dann reicht keine Macht der Welt dazu aus, uns aus der Gemeinschaft mit ihm herauszureißen. Dann kann nicht einmal der Tod diese Macht haben. Demgegenüber sind Stellungnahmen zur Theodizeefrage, welche die Allmacht Gottes einschränken wollen, von vornherein hoffnungslos falsch.

Man muss aber zwischen der Aussage, dass Gott in sich gut sei, und der Aussage, dass er uns gut sei, unterscheiden.

Was meinen wir mit der Aussage, dass Gott in sich gut und alles Begreifen übersteigende Vollkommenheit sei?

Die Welt geht in allen ihren Einzelheiten in einem »restlosen Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...«auf. Dies ermöglicht das hinweisende, analoge Sprechen von Gott. Aufgrund aller Vollkommenheit, die der Welt zukommt, kann man hinweisend in Bezug auf Gott erst recht sagen, dass er übervollkommen ist. Umgekehrt ist alle der Welt zukommende Begrenztheit auf ihr Verschiedensein von Gott zurückzuführen, so dass wir in Bezug auf Gott jede Begrenztheit negieren. Wenn wir so hinweisend in Bezug auf Gott »absolute, unendliche Wirklichkeitsfülle« aussagen, bleibt dies dennoch im Vergleich zu ihm selbst noch immer wie nichts. Der Ähnlichkeit der Welt Gott gegenüber entspricht keine Ähnlichkeit Gottes der Welt gegenüber. Dies sind die drei viae der traditionellen Analogielehre, die via affirmativa (der bejahende Weg), die via negativa (der verneinende Weg) und die via eminentiae (der Weg des Überstiegs). Obwohl also Gott nicht unter unsere Begriffe fällt, kann man doch aufgrund der Tatsache, dass nichts ohne ihn sein kann, hinweisend von ihm sprechen. Aber folgt bereits aus der Anerkennung seiner unendlichen Vollkommenheit und seines unendlichen Gutseins, dass wir mit ihm Gemeinschaft haben können? Bedeutet die Aussage, dass Gott gut sei, bereits dass er mir gut ist?

Wenn die Beziehung der Welt auf Gott eine einseitige reale Relation ist, dann entsteht die Frage, wie man denn dann überhaupt noch von einer Gemeinschaft mit Gott sprechen kann. »Wie kriege ich einen gnädigen Gott?« lautet die dann höchst berechtigte Frage, die allem reformatorischen Denken zugrunde liegt. Die Frage hat ihren Grund nicht darin, dass Luther angeblich einen sehr strengen Vater gehabt hat, dessen Bild er auf Gott projiziert habe. Vielmehr gilt in metaphysischem Sinn: Keine geschaffene Qualität kann jemals dafür ausreichen, Gemeinschaft mit Gott zu begründen. Diese Aussage (und damit übrigens auch die gesamte Rechtfertigungslehre) lässt sich überhaupt erst dann verstehen, wenn Geschöpflichkeit als einseitige Relation der Welt auf Gott erfasst wird. Auch die Gemeinschaft mit Gott, um die es im christlichen Glauben geht, ist dann keineswegs von vornherein in dem Sinn selbstverständlich, dass man sie von selber versteht. Sie müsste zunächst und von der Welt her gesehen geradezu als unmöglich erscheinen.

Hier liegt das Grundproblem aller Religionen. In allen Religionen geht es um irgendeine Form der Gemeinschaft mit Gott. Aber wie kann eine solche ausgesagt werden, wenn man nicht nachträglich die Anerkennung unseres Geschaffenseins aus dem Nichts und damit der Absolutheit Gottes zurücknehmen will? Die jüdische Religion spricht von einem Bund zwischen Gott und Menschen; aber wie kann man eine Zuwendung Gottes zur Welt, also eine Beziehung Gottes auf die Welt, aussagen, ohne damit in Bezug auf Gott selbst Veränderlichkeit zu behaupten? Der Islam betont mit Recht in extremer Weise die Absolutheit Gottes. Aber wie geht es damit zusammen, dass ein Geschöpf wie Mohammad zum Sprachrohr Gottes wird und dass Gott der Welt barmherzig zugewandt ist? Und wenn der Buddhismus als das Ziel der Welt die ewige Seligkeit in der Geborgenheit des Nirvana sehen möchte, entsteht ebenfalls die Frage, wie denn die Endlichkeit des Menschen damit zusammengehen soll.

Es scheint, dass sich die christliche Botschaft erst öffnet, wenn man gerade diese Frage an sie richtet, wie denn Gemeinschaft mit Gott so ausgesagt werden kann, dass damit nicht die Anerkennung der Absolutheit Gottes nachträglich eingeschränkt wird.

Die Antwort besteht in einer Glaubensaussage. Wir verlassen hier die bloße Religionsphilosophie. Nach der christlichen Botschaft besteht Gottes Liebe zur Welt darin, dass die Welt hineingeschaffen ist in die ewige Liebe Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist. Diese ewige Liebe Gottes, in welche die Welt aufgenommen ist, hat ihr Maß nicht an etwas Geschaffenem und kann deshalb auch nicht an etwas Geschaffenem abgelesen werden. Man kann die Liebe Gottes nicht an der Schönheit eines Sonnenaufgangs ablesen, als würde sie bei schlechtem Wetter nicht bestehen. Sie kann uns auf keine andere Weise offenbar werden als durch dasjenige menschliche Wort, das wir Jesus verdanken. An Jesus als den Mensch gewordenen Sohn Gottes glauben bedeutet, sich und die ganze Welt in die ewige Liebe des Vaters zu ihm als seinem Sohn von Ewigkeit her aufgenommen, ja hineingeschaffen zu wissen. Der Mensch Jesus, dem wir dieses Verständnis verdanken, ist vom ersten Augenblick seiner Existenz in das ewige Personsein des Sohnes, welches eine Selbstpräsenz Gottes ist, aufgenommen. Auch seine Gottessohnschaft ist nicht an seinen menschlichen, geschaffenen Qualitäten ablesbar, sondern wird allein durch das Wort allein in einem Glauben, der das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist, erkannt. Der Sohn Gottes hat unsere menschliche Natur angenommen, um uns in menschlichem Wort sagen zu können, dass wir in sein Verhältnis zum Vater aufgenommen sind. Der Glaube, der sich auf sein Wort richtet, ist dann das Anteilhaben am Gottesverhältnis Jesu, das Erfülltsein von dem Heiligen Geist, der die ewige gegenseitige Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn ist.

Die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes stellt die einzig mögliche Weise dar, unser Geschaffensein aus dem Nichts und so die Absolutheit Gottes anzuerkennen und dennoch unsere Gemeinschaft mit ihm zu behaupten. Denn nur wenn Gottes Liebe zu uns nicht in uns ihr konstitutives Woraufhin hat, sondern in Gott selbst, wird sie nicht geschaffenen Bedingungen unterworfen.

Thomas von Aquin hat seine Lehre von der Einseitigkeit der realen Relation der Welt auf Gott nicht ausdrücklich mit der Frage konfrontiert, wie denn dann noch Gemeinschaft mit Gott ausgesagt werden kann. Aber bei genauerem Zusehen kann man auch bei ihm schon die eben genannte Antwort finden. Er schreibt in Summa theologica I-II q110 a1 c:

»Nach solcher Unterscheidung des Guten kann man eine unterschiedliche Liebe Gottes zum Geschöpf betrachten. Die eine ist gemeinsam. Nach ihr liebt er alles, was ist, wie es in Weish 11 heißt. Nach ihr wird den geschaffenen Dingen das natürliche Sein geschenkt. Die andere ist eine besondere Liebe, nach der er das vernünftige Geschöpf über seinen natürlichen Stand hinauszieht zur Anteilhabe an göttlichem Gut. Und gemäß dieser Liebe sagt man einfachhin, dass Gott jemanden liebt. Denn nach dieser Liebe will Gott einfachhin das ewige Gut, das er selbst ist, für das Geschöpf.«
Die erstgenannte Weise der Liebe Gottes müsste nach den obigen Aussagen von Thomas mit der Existenz des Geschaffenen identifiziert werden: Sie besteht darin, dass das Geschöpf sich selbst gänzlich Gott verdankt. Aber diese Beziehung ist nur in Richtung vom Geschöpf auf Gott eine reale Beziehung. Eine Beziehung Gottes auf die Welt kann nur so ausgesagt werden, dass wir unser hinweisendes Sprechen von Gott mit unserem Weltbegriff verbinden; sie kann nur als eine von uns lediglich gedachte Beziehung Gottes auf die Welt ausgesagt werden. Diese Liebe besagt noch nicht reale Gemeinschaft mit Gott.

Die zweite Weise der Liebe Gottes, Gottes Liebe einfachhin, aber besteht darin, dass wir in die Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen sind, die der Heilige Geist ist. Sie ist Gottes Selbstmitteilung. Man kann also durchaus von einer realen Relation Gottes auf die Welt sprechen, aber diese hat ihr bestimmendes Woraufhin nicht in der Welt, sondern in Gott und besteht deshalb als Relation bereits »vor Grundlegung der Welt« und von Ewigkeit her. Sie ist selbst Gott, der Heilige Geist.

So besteht Gottes Güte darin, dass er sich selbst schenkt: Unser Glaube bezieht sich auf Gottes Selbstmitteilung, die unsere Gemeinschaft mit Gott für immer bedeutet. Seine Selbstmitteilung wird uns in der christlichen Botschaft in dem menschlichen Wort der Glaubensverkündigung offenbar, die sich auf Jesus als ihren Ursprung beruft. Wer sich dieses Wort Gottes gesagt sein lässt, lebt nicht mehr aus der Angst um sich selbst, die sonst die Wurzel alles unmenschlichen Handelns ist.

Vielleicht noch deutlicher als Thomas von Aquin hat Martin Luther den Unterschied zwischen Vernunfterkenntnis und Glaubenserkenntnis in Bezug auf Gott herausgearbeitet.(17)  Die überwiegende Mehrzahl der bekannten Versuche, auf das Theodizeeproblem einzugehen, etwa indem sie zwischen Gottes Zulassen und Verursachen unterscheiden oder den Versuch machen, das Übel als letztlich unwirklich zu verstehen, haben sich von vornherein um diese Unterscheidung nicht gekümmert. Luther hat den Gott, der in allem mächtig ist, als den »deus absconditus« bezeichnet, als den Gott, nach dessen uns völlig verborgenem Willen überhaupt alles geschieht. Dieser Wille Gottes, der alles Begreifen übersteigt, gehe uns nichts an: »Quae supra nos, nihil ad nos«, und es sei auch völlig aussichtslos, herausbekommen zu wollen, was nach diesem Willen Gottes in unserer Welt der Fall sein werde.(18) Vom »deus absconditus« hat Luther den »deus revelatus« unterschieden. Der Gott, der in allem mächtig ist, offenbart sich in Jesus als der Gott, der für uns ist.(19) So wird der »deus absconditus« vom »deus revelatus« umfasst.(20)

Auch Dietrich Bonhoeffer hat diesen entscheidenden Sachverhalt zutreffend und sehr genau formuliert:

»Und wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben müssen – ›etsi deus non daretur‹. Und eben dies erkennen wir vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigeren Erkenntnis unsrer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Markus 15,34!). Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.«(21)
»Vor Gott« leben wir, insofern er der Schöpfer der Welt ist, deren Realität anzuerkennen wir genötigt sind. »Mit Gott« leben wir aufgrund des Wortes seiner Selbstmitteilung, das in Jesus zu uns gekommen ist. »Ohne Gott« leben wir, insofern Gott kein Teil der Welt ist und es einfachhin nicht möglich und sinnvoll ist, mit ihm als einem »Faktor« zu rechnen. Die »Hilfe«, die Gott uns schenkt, besteht gerade darin, dass wir in der Gemeinschaft mit ihm nicht aus der Angst um uns selber leben müssen. Das falsche Theodizeeproblem setzt dagegen Gott als »Arbeitshypothese« voraus; es bedarf der Erlösung von diesem unheilvollen Missverständnis.

Bonhoeffer folgert daraus:

»Alles, was wir mit Recht von Gott erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden. Was ein Gott, so wie wir ihn uns denken, alles tun müßte und könnte, damit hat der Gott Jesu Christi nichts zu tun. Wir müssen uns immer wieder sehr lange und sehr ruhig in das Leben, Sprechen, Handeln, Leiden und Sterben Jesu versenken, um zu erkennen, was Gott verheißt und was er erfüllt. Gewiß ist, daß wir immer in der Nähe und unter der Gegenwart Gottes leben dürfen und daß dieses Leben für uns ein ganz neues Leben ist; daß es für uns nichts Unmögliches mehr gibt, weil es für Gott nichts Unmögliches gibt; daß keine irdische Macht uns anrühren kann ohne Gottes Willen, und daß Gefahr und Not uns nur näher zu Gott treiben; gewiß ist, daß wir nichts zu beanspruchen haben und doch alles erbitten dürfen; gewiß ist, daß im Leiden unsere Freude, im Sterben unser Leben verborgen ist; gewiß ist, daß wir in dem allen in einer Gemeinschaft stehen, die uns trägt. Zu all dem hat Gott in Jesus Ja und Amen gesagt. Dieses Ja und Amen ist der feste Boden, auf dem wir stehen.«(22)

V. Ist Gottes Güte dann weltlos?

Wenn Gottes Liebe zur Welt, um die es im Glauben geht, nicht an der Welt ihr Maß hat und deshalb auch nicht an der Welt abgelesen werden kann, könnte der Einwand entstehen, dass sie dann nichts mit der Welt zu tun hat und sich folglich auch in keiner Weise an der Welt auswirkt. Gegen die christliche Verkündigung wird immer wieder eingewandt, dass man von bloßen Worten nichts habe, solange man nicht die Realität der Liebe Gottes verspüre. Wieder entsteht die Meinung, dass Gottes Liebe ihr Maß am eigenen Wohlbefinden haben müsse. Aber genau dies ist die Auffassung, von der man erlöst werden muss.

Im Sinn der christlichen Botschaft hat Gottes Liebe in zweifacher Weise mit unserer Weltwirklichkeit zu tun. Sie kann einem nur geschichtlich, nämlich durch die uns überkommene christliche Botschaft offenbar werden; die Weitergabe des Wortes Gottes ist selbst Gottes liebevolles Handeln an uns. Dieses Wort ist ein Geschehen, das uns in der Wirklichkeit begegnet. Wir denken uns Gottes Wort nicht aus, sondern können es auf keine andere Weise erkennen, als indem wir mit unseren leiblichen Sinnen die christliche Botschaft vernehmen. Es ist selbst die Weise, wie Gott mit uns umgeht. Für die christliche Botschaft berufen wir uns auf Jesus. Sein Kreuz ist das Martyrium für seine Botschaft. Er wurde wegen seiner Botschaft und weil er für sie Anhänger fand, von denen hingerichtet, die ihre Macht lieber darauf aufbauen, anderen Angst zu machen. Angesichts des Todes ist seine Gottessohnschaft identisch mit seiner Auferstehung. So ist die Macht des Todes auch für uns gebrochen. Damit ist auch auf den Einwand derjenigen geantwortet, die Gott deshalb für grausam halten, weil wir nur durch das Kreuz erlöst werden konnten. Nur die Menschen sind grausam; aber Jesus blieb dem Willen des Vaters gehorsam, uns dessen Barmherzigkeit auch dann zu bezeugen, wenn man ihn mit dem Tod bedrohte, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Die andere Weise, wie die Botschaft von Gottes Liebe mit der Weltwirklichkeit zu tun hat, ist diese: Im Licht der christlichen Botschaft wird jede noch so geringe gute Erfahrung in unserer Welt zum Gleichnis der Liebe Gottes. Selbst die Vögel am Himmel und die Lilien auf dem Feld verweisen dann auf sie. Umgekehrt hat alles Leid und der Tod seinen Gleichnischarakter für endgültiges Unheil verloren.(23) Sie dienen nur noch dazu, zu verhindern, dass man die vergängliche gute Erfahrung in der Welt, die nur Gleichnis für Gottes Liebe ist, mit dieser selbst verwechselt. Aber alles Gute in der Welt als Gleichnis der Gemeinschaft mit Gott zu verstehen und selbst im Tod nicht mehr verzweifeln zu müssen, bedeutet eine andere Weise, in der Welt zu leben. Wer sich so in Gottes Liebe geborgen weiß, dass die Todesfurcht (Hebr 2,15) für ihn nicht mehr das letzte Wort hat, wird sich auch in neuer Weise dafür einsetzen können, andere vor Leid und Unrecht so weit möglich zu schützen. Die Gewissheit der Gemeinschaft mit Gott lässt den Menschen nicht aus der Angst um sich selbst leben. Sie lässt ihn deshalb auch nicht mehr aus der Angst um sich in der Untätigkeit verharren, sondern macht ihn bereit, nach Kräften zum Wohl anderer Menschen beizutragen. Aber er wird auch dann nicht verzweifeln, wenn ihn Verfolgung, Krankheit oder Tod ereilen.
 

VI. Zusammenfassende Thesen

1. Gewöhnlich wird die Theodizeefrage in dieser Form gestellt: Wie kann Gott angesichts der Leiden in der Welt zugleich allmächtig und gut sein? Viele halten diese Frage für unlösbar und deshalb für einen gewichtigen Einwand insbesondere gegen den christlichen Glauben.

2. Dabei wird ein Allmachtsbegriff vorausgesetzt, wonach Gott Beliebiges können müsste, solange es nicht in sich widersprüchlich ist. Und Gottes Güte müsste darin bestehen, für unser Wohlbefinden zu sorgen, und deshalb an unserem Wohlbefinden ablesbar sein.

3. Die christliche Botschaft versteht zum einen Gottes Allmacht anders. Gott ist nicht in dem bloß potentiellen Sinn allmächtig, dass er Beliebiges könnte, wenn er nur wollte. Gott ist in einem aktuellen Sinn »mächtig in allem«, was tatsächlich geschieht. Denn Gott ist »ohne wen nichts ist«. Man kann jedoch nur von der Welt her in Richtung auf Gott denken und nicht umgekehrt von Gott her etwas über die Welt deduzieren. Denn wenn Gott nicht unter unsere Begriffe fällt, kann er auch nicht Ausgangspunkt einer Deduktion sein.

4. Zum anderen wird auch Gottes Güte in der christlichen Botschaft anders verstanden. Aufgrund unserer Geschöpflichkeit sagen wir in natürlicher Gotteserkenntnis von Gott hinweisend (»analog«) die alles Begreifen übersteigende Fülle des Seins und der Vollkommenheit aus. Aber daraus, dass Gott in sich gut ist, folgt noch nicht, dass er uns gut ist, also dass wir mit ihm Gemeinschaft haben.

5. Gemeinschaft mit Gott ist nach der christlichen Botschaft nur so aussagbar, dass die Welt in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn hineingeschaffen ist und dass dies durch die Menschwerdung des Sohnes offenbar wird. Diese Liebe Gottes hat ihr Maß nicht an der Welt und kann deshalb auch nicht an der Welt abgelesen werden. Sie wird uns erst durch das Wort der christlichen Botschaft offenbar.

6. Weil Gott der in allem Mächtige ist, bedeutet die allein dem Glauben zugängliche Gemeinschaft mit ihm, dass gegen sie keine Macht der Welt ankommt. Auch der Tod kann uns nicht mehr aus der Gemeinschaft mit Gott herausreißen. Im Glauben lebt man deshalb nicht mehr unter der Macht der Angst um sich selbst, die der tiefste Grund alles Bösen in der Welt ist.

7. Obwohl also Gottes Liebe nicht an der Welt ihr Maß hat, ist sie doch nicht weltlos. Im Licht des Glaubens an sie wird jede gute Erfahrung unserer Welt als Gleichnis für sie verstanden. Umgekehrt hat das Leid den Charakter eines Gleichnisses für mangelnde Gemeinschaft mit Gott verloren. Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort.

8. Anstatt die Theodizeefrage in ihrer oben dargestellten Form zu beantworten, weist die christliche Botschaft darauf hin, dass diese Frage von unzutreffenden Voraussetzungen ausgeht, insbesondere von der falschen Vorstellung, es könne ein Gott und Welt übergreifendes Denken geben oder man könne irgend etwas von Gott her deduzieren.

9. An die Stelle der Theodizeefrage tritt die Frage, was der Glaube für unseren Umgang mit dem Leid ausmacht. Wir müssen in eigenem Leid nicht mehr verzweifeln; der Glaube befähigt uns, uns für die Minderung fremden Leids nach Kräften einzusetzen.

10. So bewahrheitet sich Röm 8,38–39: »Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder der Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.«
 


HANS KESSLER, Gott und das Leid seiner Schöpfung – Nachdenkliches zur Theodizeefrage, Würzburg 2000, 119 und 125.

2  Vgl. JÖRG SPLETT, Und zu Lösungsversuchen durch Unterbietung, in: ThPh 60 (1985) 410417, vor allem 411: »Schon jetzt sei darauf aufmerksam gemacht, daß ›unvereinbar‹ nicht etwa ›widersprüchlich‹ besagt. Es ist eines, vor einer aufgrund unserer Erkenntnisgrenzen unvollziehbaren Synthese zu stehen (dies ist bei allen klassischen Grundfragen der Fall: Freiheit und Naturkausalität, Leib und Seele, Freiheit und Allmacht, Erkenntnis und Liebe ...); ein anderes, durch Analyse zu der Erkenntnis zu kommen, eine bestimmte These stelle einen Widerspruch dar, sei es in sich, sei es im Verhältnis zu ihren Voraussetzungen.« Mir scheint Unvereinbarkeit und Widersprüchlichkeit durchaus ein und dasselbe zu sein, und ich halte alle Antworten auf die klassischen Grundfragen, die auf eine Unvereinbarkeit hinauslaufen, eben deshalb auch für von vornherein falsch. Die von Splett als Beispiele angeführten Unvereinbarkeiten ergeben sich nur in einer Substanzmetaphysik, nicht aber in einer relationalen Ontologie.

3  WILFRIED JOEST, Fundamentaltheologie. Theologische Grundlagen- und Methodenprobleme, Stuttgart - Köln - Mainz 21981, 236.

4  In diesem Sinn unterscheidet HANS KESSLER, a. a. O., 1214 mit Recht zwischen dem »Theodizeeproblem« und der »Theodizeefrage«, die darin besteht, das Leid in der Welt Gott zu klagen.

5  »Ein schwieriges Wort« – Bischof Karl Lehmann über die Allmacht Gottes, in: Spiegel 26 (1992) 44. Der Vorspann des Textes lautet: »An einen allmächtigen Gott glauben die meisten Deutschen angesichts der Leiden und Schäden dieser Welt nicht mehr. Auf die Frage im SPIEGEL-Gespräch, ob er sich zutraue, diese Menschen noch mit Argumenten zu erreichen, antwortete Lehmann: ›Ja, aber nicht mit zwei, drei Sätzen.‹ Der Bischof wünschte und bekam zwei Spalten Text.«

Ebd.

Vgl. HANS JONAS, Der Gottesbegriff nach Auschwitz  Eine jüdische Stimme, Suhrkamp Taschenbuch 1516, Frankfurt am Main 1987, insbesondere 3349; der Autor beruft sich auf den kabbalistischen Begriff des Zimzum, einer Selbsteinschränkung Gottes: »Ohne diese Rücknahme in sich selbst könnte es kein anderes außerhalb Gottes geben, und nur sein weiteres Zurückhalten bewahrt die endlichen Dinge davor, ihr Eigensein wieder ins göttliche ,alles in allem' zu verlieren.« (46)

Vgl. die in einem Satz zusammengefassten beiden Gottesdefinitionen von Anselm von Canterbury: »Also, Herr, bist du nicht nur, dem gegenüber Größeres nicht gedacht werden kann, sondern du bist etwas Größeres, als gedacht werden kann.« (Proslogion 15) Wenn nicht Größeres als Gott gedacht werden kann, dann ist Gott plus Welt nicht größer als Gott, das heißt, dass die Welt nichts als Relation auf ihn sein kann. Und Gott selbst fällt nicht unter Begriffe. Deshalb wird der Anselmsche Gottesbeweis völlig missverstanden, wenn man meint, er wollte aus dem Begriff Gottes seine Existenz ableiten.

9 NORBERT HOERSTER, Zur Unlösbarkeit des Theodizee-Problems, in: ThPh 60 (1985) 400409 hält alles unterschiedslos für Glaubensgegenstände: Existenz, Güte, Allmacht Gottes (400).

10  Es ist unzureichend, wenn HANS KESSLER, a. a. O., 93 erklärt: »Es bedarf nicht der Zusatzannahme gefallener Engelwesen, um Zecken, Flöhe, Malaria-Viren, Fehlbildungen, Unglücksfälle, Flutkatastrophen usw. als nicht von Gott erzeugt zu betrachten. Das sind vielmehr die Wege der evolvierenden Natur selbst.« Auch die evolvierende Natur selbst geht restlos darin auf, ohne Gott nicht sein zu können.

11 Diesen Vorwurf erhebt ARMIN KREINER, Gott im Leid  Zur Stichhaltigkeit der Theodizeeargumente, Freiburg - Basel - Wien 1997: »Als reductio in mysterium ließe sich schließlich auch noch eine Position vertehen, die Gott als Ursache von schlechthin allem, also auch des Leids, begreift und mit dieser Behauptung das Problem als theoretisches gelöst sieht, wenn Gott ,als der definiert wird, der genau das zulässt und will, was wirklich geschieht' (Knauer, der Glaube kommt vom Hören Ökumenische Fundamentaltheologie, Frankfurt am Main 21982, 69 [= Freiburg - Basel - Wien 61991, 81]), aber keinerlei Gründe mehr für die Existenz des Leids angeführt werden, zieht man sich letztlich auf die Unbegreiflichkeit Gottes zurück und verdrängt alle theoretischen Probleme der Leidthematik, wie z. B. die Fragen: Warum wirkt Gott das Leid? Warum läßt er es zu?« Weder kann man Gott und Welt unter das Schema Ursache-Wirkung fassen, noch soll ein Problem, das auf falschen Voraussetzungen aufbaut, als theoretisches gelöst werden, noch handelt es sich um eine Verdrängung von Problemen, wenn aus der Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott begründet wird, dass es hoffnunglos ist, irgendetwas mit Gott erklären zu wollen. Auch hat unser Ansatz nichts mit einer Berufung auf Geheimnis zu tun. Unter einem Glaubensgeheimnis ist nur unsere Gemeinschaft mit Gott zu verstehen, die man nicht an der Welt ablesen kann, die deshalb nur durch das Wort zur unserer Kenntnis gelangen kann und die als wahr allein dem Glauben zugänglich ist. Ein solches Glaubensgeheimnis hat nichts mit einer logischen Schwierigkeit oder Verdrängung oder mit Nebel zu tun.

12 So KLAUS BERGER, Wie kann Gott Leid und Katastrophen zulassen? Gütersloh 1999, 45. Allerdings bemerkt der Autor selbst an dieser Stelle, dass er sich mit solchen Redeweisen nicht am – recht unterschiedlichen – Gesamtbefund der Bibel orientiere. Der Autor unterliegt in seiner Ablehnung einer Schöpfung aus dem Nichts der Substanzmetaphysik, für die Schöpfung aus dem Nichts nur bedeutet, dass vorher nichts war.

13  Ebd. 44.

14  Im Anschluss an Hans Jonas findet sich ein solcher Versuch sogar bei EBERHARD JÜNGEL, Gottes ursprüngliches Anfangen als schöpferische Selbstbegrenzung, in: ders. Wertlose Wahrheit Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens, Theologische Erörterungen III, Christian Kaiser Verlag München 1990, 151162. Auch Jüngel macht den Versuch, von Gott ausgehend zu denken: »Formallogisch wirft der Begriff ursprünglichen Anfangens die Frage auf, welche Konsequenzen sich aus dem schöpferischen Akt ursprünglichen Anfangens für den göttlichen Anfänger ergeben. Dabei ist die Bestimmung des Anfangens als eines transitiven Aktes leitend: Gott fängt etwas an, das dann seinerseits eben dadurch anfängt zu sein. [...] Wollte man sich logisch den ›Augenblick‹ des göttlichen Entschlusses zur Schöpfung rein für sich vorstellen ...« (152f). Diese Redeweise lässt meines Erachtens in elementarer Weise außer Acht, dass Gott nicht unter unsere Begriffe fällt.

15  Vgl. z. B. den Bericht über eine diesbezügliche Tagung in der Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg von HARTMUT MEESMANN, Von Gott reden im Land der Täter Wie kann man nach Auschwitz noch Christ sein? Die dritte Generation der Theologen stellt sich bohrenden Fragen, in Publik-Forum 2002, Nr. 12, 32B34.

16  JOSÉ SARAMAGO, Das Evangelium nach Jesus Christus, Reinbek bei Hamburg 42000, 84

17  Vgl. die sehr treffende Darstellung von WERNER OTTO, Verborgene Gerechtigkeit – Luthers Gottesbegriff nach seiner Schrift De servo arbitrio als Antwort auf die Theodizeefrage, Frankfurt am Main 1998.

18  Vgl. MARTIN LUTHER, De servo arbitrio, WA 18; 685, 37: »Anders ist über Gott oder den Willen Gottes zu disputieren, der uns verkündet, offenbart, angeboten und verehrt wird, und anders von Gott, der nicht verkündet, nicht offenbart, nicht angeboten, nicht verehrt wird. Soweit also Gott sich verborgen hat und von uns nicht erkannt werden will, geht er uns nichts an. Hier gilt wahrlich jenes Wort: Was über uns ist, geht uns nichts an.«

19  WA 18; 685, 1224: »Über den nicht verehrten und nicht gepredigten Gott, wie er in seiner Natur und Majestät ist, kann sich nichts erheben, sondern alles ist unter seiner mächtigen Hand. Man muss also Gott in seiner Majestät und in seiner Natur belassen; denn so haben wir nichts mit ihm zu schaffen, und er wollte auch nicht, dass wir so mit ihm zu schaffen haben. Doch insofern er sich in seinem Wort, in welchem er sich uns angeboten hat, bekleidet und zu erkennen gegeben hat, haben wir mit ihm zu schaffen. Das ist sein Schmuck und sein Ruhm, und als damit bekleideten feiert ihn der Psalmist. Wir sagen so: Der gute Gott beklagt nicht den Tod des Volkes, den er in ihm bewirkt, sondern er beklagt den Tod, den er in seinem Volk vorfindet und zu beseitigen sucht. Dies nämlich tut der verkündete Gott, dass der Tod und die Sünde beseitigt werden und wir heil werden. Denn er sandte sein Wort und heilte sie. Der verborgene Gott in seiner Majestät beklagt im übrigen weder den Tod noch nimmt er ihn weg, sondern er wirkt Leben, Tod und alles in allen. Denn dann hat er sich noch nicht in seinem Wort bestimmt, sondern sich als frei über alles bewahrt.« Der verborgene Gott geht uns nichts an; denn so wohnt er tatsächlich »in unzugänglichem Licht« (1 Tim 6,16). Er ist der in allem, im Leben und im Tod, Mächtige. Aber in seinem Wort hat er uns so Gemeinschaft mit sich geschenkt, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

20  Es verhält sich also nicht umgekehrt, wie EBERHARD JÜNGEL, a. a. O., 161, Luther interpretieren zu müssen meint, dass etwa der »deus absconditus« den »deus revelatus« umfasse und relativiere. Eine solche Lehre meint Jüngel durchaus mit Recht ablehnen zu müssen, nur handelt es sich nicht um Luthers Lehre.

21 DIETRICH BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung  Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Herausgegeben von Eberhard Bethge, 14. durchges. Auflage, München 1990, 191 (Aufzeichnung vom 16. 7. 1944).

22 Ebd., 210 (Aufzeichnung vom 21.8.1944).

23  Dagegen kommt die Antwort von NORBERT HOERSTER, a. a. O., 408, nicht an: »Der erste grundsätzliche Einwand besagt, daß man die Allgüte Gottes nicht nach menschlichen Kategorien beurteilen dürfe, da sie menschliches Erkennen übersteige. Die Antwort auf diesen Einwand ist einfach: Wenn jene Güte, die der Gläubige in maximalem Ausmaß Gott zuschreibt, nicht einmal jene bescheidene Form der Güte, die man sinnvollerweise einem Menschen zuschreiben kann, zu umfassen braucht, dann hat der Gläubige seine Überzeugung 3 [von der Güte Gottes] offenbar falsch formuliert. Eine ›Güte‹, die mit dem, was wir gewöhnlich, im menschlichen Bereich unter diesem Begriff verstehen, nicht in Zusammenhang steht, ist ein leeres Wort.« Hoersters Aufsatz führt bilderbuchartig vor, zu welchen Karikaturen in Bezug auf Gott und das Christentum die Nichtbeachtung der Unbegreiflichkeit Gottes führt. Er meint, den christlichen Glauben so wiedergeben zu können: »Dieses Weltbild ist durch die folgenden Überzeugungen – Überzeugungen, die insbesondere für das Christentum charakteristisch sind – gekennzeichnet: 1. Es gibt einen Gott, d. h. ein intelligentes, personales Wesen, das die Welt erschaffen hat und erhält. 2. Dieser Gott ist allmächtig und allwissend, d. h. er besitzt ein Maximum an Macht und Wissen. 3. Dieser Gott ist allgütig, d. h. er besitzt ein Maximum an Güte.« Solange selbst kirchliche Verkündigung manchmal so von Gott redet und nicht merkt, wie problematisch solche Sätze sind, weil sie von Gott letztlich nur wie von einem Teil einer umfassenderen Gesamtwirklichkeit sprechen und ihn unter unsere Begriffe fallen lassen und damit vor allem zum Ausgangspunkt logischer Schlussfolgerungen machen, braucht man sich nicht zu wundern, dass immer mehr Menschen solcher Verkündigung den Rücken kehren.

 


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