Letzte Aktualisierung:  10. Oktober 2010, PK


 

Peter Knauer SJ

 

Den Verstand abgeben?

Ignatius von Loyola über Sehen und Glauben

 

 

In seinen Geistlichen Übungen gibt Ignatius von Loyola Regeln »für das wahre Gespür, das wir in der streitenden Kirche haben müssen«. Die 13. Regel lautet:

»Wir müssen immer festhalten, um in allem das Rechte zu treffen: Von dem Weißen, das ich sehe, glauben, dass es schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt, indem wir glauben, dass zwischen Christus unserem Herrn, dem Bräutigam, und der Kirche, seiner Braut, der gleiche Geist ist, der uns leitet und lenkt zum Heil unserer Seelen. Denn durch den gleichen Geist und unseren Herrn, der die Zehn Gebote gegeben hat, wird gelenkt und geleitet unsere heilige Mutter Kirche.« (GÜ 365).
Wenn man nicht so genau hinschaut, scheint dies zu besagen, dass die Kirche immer Recht hat, mag sie verkündigen, was immer sie will. Manche Übersetzungen schreiben dann auch gleich: »Von dem, was mir weiß scheint, glauben, das es schwarz ist.« Der Vernunfteindruck kann nur ein Schein gewesen sein. Tatsächlich gibt sich ja die Vernunft oft und gerne mit dem Schein zufrieden; aber das gilt leider auch von einer solchen Textlektüre.

Liest man die Regel – vernünftigerweise! – etwas aufmerksamer, dann fällt erstens auf, dass nirgends von bloßem Schein die Rede ist. Es heißt »das Weiße, das ich sehe (lo blanco que yo veo)«. Es geht um wirkliches Sehen und ausdrücklich um das eigene Sehen und nicht etwa nur eine herrschende Meinung (im Spanischen ist das yo immer betont).

Zweitens soll eine allgemeine Regel nicht nur für Randfälle, sondern für überhaupt alle Glaubensaussagen aufgestellt werden; sie würden sonst völlig missverstanden.

Und drittens ist der eigentliche Grund für die Regel der, dass es in Glaubensaussagen um eine Erkenntnis im Heiligen Geist geht. Der Heilige Geist ist ein und derselbe in Christus und uns. Wir werden vom Heiligen Geist zu dem hingeleitet, was unser eigenes ewiges Heil ist.

Tatsächlich handeln alle Glaubensaussagen von der Verbindung von etwas Geglaubtem mit etwas Gesehenem. Im Glauben geht es um Gottes Selbstmitteilung an sein Geschöpf. Deshalb haben Glaubensaussagen immer die Struktur einer Einheit von Gegensätzen. Ich sehe den Gekreuzigten, einen zu Tode geschundenen Menschen. An dieser Sicht ist nichts unzutreffend; sie ist alles andere als bloßer Schein. Aber ich glaube an ihn als den Auferstandenen. Seine Gottessohnschaft angesichts des Todes ist seine Auferstehung. Dies ist keiner anderen Erkenntnis zugänglich als demjenigen Glauben, der das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist. »Niemand kann sagen: ›Jesus ist Herr‹, außer im Heiligen Geist.« (1 Kor 12,3)

Ähnliches gilt von der Kirche. Wir sehen eine Gemeinschaft von Menschen mit vielen Fehlern. Das ist kein Schein, sondern die volle Wahrheit. Aber wir glauben, dass Gott uns in der Glaubensverkündigung der Kirche seine eigene Gegenwart schenkt. Wir glauben immer Gegensätzliches zu dem, was wir sehen, ohne Letzteres dementieren zu müssen.


[Zurück zum Seitenbeginn] [Jesuiten / Gesellschaft Jesu]
[Zurück zur Homepage von P. Knauer]