Letzte Aktualisierung:  31. Oktober  2010, PK

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Peter Knauer SJ

 

Universalkirche,

Einzelkirchen und Gesamtkirche

                                                                                           
Gedruckt in:
Orientierung 65 (2001) 3-6.

Der folgende Text wurde demgegenüber um einige Erläuterungen (in doppelten eckigen Klammern und eingerückt) erweitert.


ZUSAMMENFASSUNG:

In LG 8,2 heißt es, dass die Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis die katholische nennen, in der ka
tholischen Kirche subsistiere. Mit der erstgenannten katholischen Kirche ist die Universalkirche gemeint, die Kirche als solche. Diese darf man nicht mit der (ebenfalls weltweiten) "Gesamtkirche" verwechseln, welche einen Verbund von Einzelkirchen darstellt. Die eine Kirche Christi ist die Universalkirche. Sie ist überall da präsent, wo der unteilbar eine Glaube an Jesus Christus besteht.


Die Universalkirche ist die Kirche als solche. Sie besteht in und aus den Einzelkirchen. Der Verbund der Einzelkirchen wird Gesamtkirche genannt. Aber in der Geschichte und auch in der gegenwärtigen theologischen Diskussion werden gewöhnlich Universalkirche und Gesamtkirche miteinander verwechselt. Die Verwechslung liegt nahe, weil auch die Gesamtkirche weltweit ist.

Im Codex des Kanonischen Rechts (CIC 1983) kommt der Begriff der Universalkirche (ecclesia universalis) überhaupt nicht vor, sondern nur der Begriff der ecclesia universa: Mit ecclesia universa ist die Gesamtkirche gemeint. In der offiziellen deutschen Übersetzung der Konzilstexte und auch des CIC wird der Begriff ecclesia particularis leider unzutreffend mit »Teilkirche« wiedergegeben. In Wirklichkeit bezeichnet er die »Einzelkirche«. Das lateinische Wort particularis meint das Einzelne, Besondere. So wird das Wort auch in den romanischen Sprachen gebraucht. Das französische en particulier bedeutet nicht etwa »zum Teil«, sondern »insbesondere, vor allem«. Nur im Vergleich zur Gesamtkirche sind die Einzelkirchen »Teile« (portiones).
 

Der Streit um das »subsistit«

In der von Kardinal Ratzinger unterzeichneten römischen Erklärung »Dominus Jesus« vom 6. August 2000 heißt es in Nr. 16,3 unter Hinweis auf eine berühmte Aussage der Dogmatischen Konstitution des II. Vatikanums über die Kirche: »Die Gläubigen sind angehalten zu bekennen, dass es eine geschichtliche, in der apostolischen Sukzession verwurzelte Kontinuität zwischen der von Christus gestifteten und der katholischen Kirche gibt.« Die Stelle aus LG 8,2 wird dabei in der folgenden Weise zitiert: »Dies ist die einzige Kirche Christi ... Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (vgl. Joh 21,17), für immer hat er sie als "die Säule und das Fundament der Wahrheit" (1 Tim 3,15) errichtet. Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht [subsistit in] in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.«

In der Erklärung wird dieser Satz dann so ausgelegt: »Mit dem Ausdruck "subsistit in" wollte das Zweite Vatikanische Konzil zwei Lehrsätze miteinander in Einklang bringen: auf der einen Seite, dass die Kirche Christi trotz der Spaltungen voll nur in der katholischen Kirche weiterbesteht, und auf der anderen Seite, "dass ausserhalb ihres sichtbaren Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind", nämlich in den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen.«

Bei dieser Zitation des Konzils wurde jedoch der Tatsache nicht Rechnung getragen, dass in LG 8,2 in Wirklichkeit zweimal in unterschiedlichem Sinn von der katholischen Kirche die Rede ist. An der oben mit Pünktchen markierten, also ausgelassenen Stelle steht: »die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen.« Etwas gerafft gelesen heißt es also in dem Konzilstext, die katholische Kirche des Glaubensbekenntnisses subsistiere in der katholischen Kirche. Diese Aussage ist im Konzil an die Stelle der in einem früheren Entwurf vorgesehenen Formulierung getreten, die katholische Kirche des Glaubensbekenntnisses sei die katholische Kirche. Durch die Ersetzung des »ist« durch »subsistiert in« wird es unmöglich, die erstgenannte »katholische Kirche« mit der zweitgenannten einfachhin zu identifizieren.

Die übliche deutsche Übersetzung des subsistit in mit »ist verwirklicht in« könnte in dem Sinn missverstanden werden, als sei die Kirche zunächst so etwas wie eine abstrakte Idee, die dann erst in der römisch-katholischen Kirche ihre konkrete Verwirklichung findet. Kardinal Ratzinger hat demgegenüber in einem Interview für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. September 2000 das subsistit in dahingehend erklärt, dass zwar das Sein der Kirche umfassender sei als die römisch-katholische Kirche, aber sie habe erst in ihr »in einzigartiger Weise den Charakter eines eigenen Subjektes«. Wollte Kardinal Ratzinger damit sagen, dass die katholische Kirche des Glaubensbekenntnisses allein in der römisch-katholischen Kirche subsistiere? Von einer solchen alleinigen Subsistenz ist in der Konzilsaussage nicht die Rede. Diese ist positiv formuliert und besagt, dass in der römisch-katholischen Kirche die eine Kirche Christi voll gegenwärtig ist. Es wird weder ausgeschlossen noch behauptet, dass die Kirche vielleicht auch in anderen christlichen Glaubensgemeinschaften ebenfalls ganz gegenwärtig sei. Diese Frage bleibt vielmehr offen.

Eine ausschließende Deutung, wonach die Kirche Christi allein in der römisch-katholischen Kirche ein konkretes Subjekt sei, erschiene mit dem Wortlaut von LG 8,2 kaum vereinbar. Denn dort wird bereits die katholische Kirche des Glaubensbekenntnisses als eine in dieser Welt als Gesellschaft verfasste und geordnete Wirklichkeit verstanden, noch ehe des weiteren von ihr ausgesagt wird, dass sie in unserer (römisch)-katholischen Kirche subsistiere. Die Kirche des Glaubensbekenntnisses ist also von vornherein ein Subjekt und gewinnt ihren Subjektcharakter nicht erst durch ihre Subsistenz in derjenigen katholischen Kirche, die in der Formulierung von LG 8,2 an zweiter Stelle genannt wird.

Vielmehr ist die Kirche des Glaubensbekenntnisses einfach die Kirche schlechthin, die Kirche als solche gemeint. Universalis ist hier streng genommen nur die lateinische Übersetzung für catholica, das ja »allgemein«, »weltweit« bedeutet. Diese Kirche versteht sich als das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Wortes Gottes. Sie tritt für eine Botschaft ein, von der sie beanspruchen muss, dass sie den Menschen als Menschen und deshalb weltweit jeden Menschen und auch alle Menschen zusammen angeht.
 

Ecclesia universalis

Das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des »Wortes Gottes«, nämlich der Selbstmitteilung Gottes in dem mitmenschlichen Wort der Glaubensverkündigung konstituiert diese Kirche von vornherein als Realität in unserer Welt und sogar als Subjekt. Unter Wort Gottes ist das Evangelium Jesu Christi, die Selbstmitteilung Gottes in dem von Jesus her eingesetzten »Wort der Versöhnung« (2 Kor 5,19) zu verstehen. Dieses Wort ist als solches das letzte und umfassende Wort über die ganze Wirklichkeit unserer Welt. Der Begriff »Wort Gottes« impliziert, dass ihm niemand etwas hinzuzufügen hat und niemand an ihm Abstriche vornehmen kann, wenn anders es sich überhaupt als »Wort Gottes«, nämlich als Selbstmitteilung Gottes verstehen lässt. Selbstmitteilung Gottes bedeutet, dass Gott sich selber in diesem Wort schenkt und unsere Herzen mit seinem Heiligen Geist erfüllt. Auch die Sakramente stellen keine Hinzufügung zum Wort Gottes dar, sondern sind selber nichts anderes als seine Unterstreichung. Sie sind die Gestalten des angenommenen Wortes Gottes. Das Wort Gottes besteht in der Weitergabe des Glaubens an Jesus Christus als Sohn Gottes. An Jesus als den Sohn Gottes glauben bedeutet, aufgrund seines Wortes mit ganzem Herzen darauf zu bauen, dass wir und die ganze Welt von Gott mit der Liebe angenommen sind, in der er von Ewigkeit ihm als seinem eigenen göttlichen Gegenüber zugewandt ist. Diese Liebe des Vaters zum Sohn, in die wir hineingenommen sind, ist der Heilige Geist. Glauben ist deshalb als Erfülltsein vom Heiligen Geist zu verstehen. »Niemand kann sagen: Jesus ist Herr, außer im Heiligen Geist.« (1 Kor 12,3). Dieser Glaube ist eine unüberbietbare Realität.

Die als das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Wortes Gottes konstituierte Kirche ist nicht der nachträgliche Zusammenschluss einzelner Gläubiger, sondern es gibt einzelne Gläubige nur so, dass ihnen der eine, unteilbare Glaube an die Selbstmitteilung Gottes in seinem Wort von anderen überliefert worden ist. Wenn der Glaube »von der gehörten Botschaft kommt« (Röm 10,17), dann kommt er nur so zustande, dass sich Menschen der Gemeinschaft der bereits Glaubenden anschließen. Der evangelische Theologe Gerhard Ebeling formuliert: »... es wäre ganz irrig, wenn sich die Meinung einschliche, diese Gemeinde Christi sei ursprünglich und eigentlich nur die jeweilige konkrete Einzelgemeinde, während dann erst in späterer Entwicklung der Blick aufs Ganze, auf den Zusammenschluss zu einer höheren Einheit gerichtet wurde. Im Gegenteil: Der Gesichtspunkt des Ganzen, unteilbar Einen ist im Begriff von ekklesia das Primäre, wenn auch nicht im Sinne einer Organisation, sondern einer neuen Schöpfung.«(1)

Und es handelt sich auch nicht nur allgemein um eine gesellschaftliche Wirklichkeit, sondern sie ist als solche sogar verfasst und geordnet. Die Verfasstheit der Kirche besteht in einem im Wesen des Glaubens selbst mitgegebenen Gegenüber von Amt und Gemeinde. Denn dass der Glaube von der gehörten Botschaft kommt, gilt nicht nur für jeden einzelnen, sondern auch jeweils für die Gemeinschaft als ganze. Auch die Gemeinschaft als ganze macht sich ihren Glauben nicht selbst, sondern muss ihn gesagt bekommen, und dies darzustellen ist die Bedeutung der Amtsträger. Jeder Gläubige, der anderen den Glauben bezeugt, tut dies selbstverständlich in der Autorität Christi, ja in persona Christi. Anders kann der Glaube gar nicht weitergegeben werden. Die Amtsträger hingegen handeln in persona Christi capitis (II. Vatikanum, Dekret über Dienst und Leben der Priester, n. 2,3), also in der Person Christi als Haupt gegenüber dem ganzen Leib der Gemeinde. Amtliches Handeln bezieht sich zuerst auf die Gemeinde als ganze. Die notwendige Möglichkeit des Gegenübers von Amt und Gemeinde gehört so konstitutiv zum Wesen des Glaubens selbst, dass das Konzil sagen kann, der Heilige Geist bewahre diese von Christus gewollte Leitungsstruktur in seiner Kirche »unverlierbar« (indefectibiliter) (LG 27,2; »ohne Minderung«, wie es in der offiziellen deutschen Übersetzung heißt). Die apostolische Sukzession der Amtsträger ist ein notwendig möglicher Ausdruck dafür, dass das zu überliefernde Wort der Versöhnung ein ein für allemal »eingesetztes« Wort ist, das sich die Kirche nicht selbst macht. Aber die apostolische Sukzession der Amtsträger findet ihre letzte Garantie in der apostolischen Sukzession des Glaubens selbst, und nicht umgekehrt. Es gibt keinen anderen Glauben an Jesus Christus als den der Apostel.

So ist also mit der ersten Nennung der katholischen Kirche in LG 8,2 die Kirche als solche, die Kirche schlechthin gemeint. Für diese Kirche gebraucht die theologische Tradition den Begriff der Universalkirche (ecclesia universalis). Sie ist die eine und einzige Kirche Christi.

Die Rede von dieser einen und einzigen Kirche Christi hindert jedoch nicht, von einer Vielheit von Einzelkirchen zu sprechen, in denen diese eine und einzige Kirche Christi voll gegenwärtig ist: »Diese Kirche Christi ist wahrhaft in allen rechtmäßigen Ortsgemeinschaften der Gläubigen anwesend (vere adest), die in der Verbundenheit mit ihren Hirten im Neuen Testament auch selbst Kirchen heißen.« (LG 26,1). Der Ausdruck vere adest erscheint geradezu austauschbar mit dem subsistit in von LG 8,2. Tatsächlich war die Aussage von LG 8,2 den Konzilsvätern in dem Bericht der den Text vorbereitenden Kommission so erklärt worden: »Die Kirche ist eine einzige, und hier auf Erden ist sie gegenwärtig in [adest in] der katholischen Kirche, mag man auch außerhalb ihrer kirchliche Elemente finden.«(2) Vielleicht betont das subsistit in gegenüber dem vere adest noch deutlicher die Fortdauer und Kontinuität der Präsenz der katholischen Kirche des Glaubensbekenntnisses in unserer heutigen katholischen Kirche insgesamt und jeweils in allen ihren Einzelkirchen oder Ortsgemeinschaften unter ihrem Bischof.

[[Nach LG 15 besteht zwischen überhaupt allen, die an Jesus Christus als den Sohn Gottes glauben, »eine wahre Verbindung im Heiligen Geist (vera quaedam in Spiritu Sancto coniunctio)«, wobei dieser selbst die einende Wirklichkeit ist. Die »vielfältigen Elemente der Wahrheit und des Heils«, die auch außerhalb des Gefüges der römisch-katholischen Kirche existieren, diese aber mit anderen Christen verbinden, verbleiben sehr wohl innerhalb des Gefüges der Universalkirche, derjenigen Kirche, die wir im Glaubensbekenntnis als die katholische bezeichnen und die überhaupt alle an Jesus Christus als den ewigen Sohn Gottes Glaubenden umfasst.

In UR 3,1 heißt es, dass auch die von der römisch-katholischen Kirche getrennten Christen »aus dem Glauben in der Taufe gerechtfertigt sind und dem Leib Christi eingefügt sind (Christo incorporantur) und deshalb mit Recht (iure)mit dem Christennamen geschmückt werden und von den Söhnen der katholischen Kirche als Brüder im Herrn verdientermaßen (merito) anerkannt werden«. Es versteht sich, dass hier mit der zuletzt genannten katholischen Kirche die römisch-katholische Kirche gemeint ist. Man könnte sich fragen, ob ihnen angesichts des iure und merito die Eucharistiegemeinschaft noch mit Recht weiterhin vorenthalten wird.

Wenn es dann in UR 3,4 weiter heißt, dass der Heilige Geist sich gewürdigt habe, auch die Gemeinschaften der anderen Christen als Werkzeuge des Heils zu gebrauchen, dann wird man davon ausgehen können, dass solche christliche Gemeinschaften ebenfalls rechtmäßig sind.

Dann aber gilt auch von ihnen, was die Kirchenkonstitution schreibt (LG 26,1): »Diese Kirche Christi ist wahrhaft gegenwärtig in allen rechtmäßigen (legitimis) Ortsversammlungen der Gläubigen, welche, ihren Hirten anhangend, auch selber im Neuen Testament Kirchen genannt werden.« Die eine Universalkirche ist auch bei ihnen präsent. Sie subsistiert auch bei ihnen. Übrigens hat auch Luther die Zusammengehörigkeit von Glaubensgemeinschaft und dem Hirtenamt ausdrücklich betont: »Christliche kirch aber heißt die zal oder hauffen der getaufften und gleubigen, so zu einem pfarher oder Bisschoff gehoeren, es sey in einer stadt oder inn einem gantzen lande odder in der gantzen welt.« (WA 30,2; 425,22-24).]]


Welche Kirche ist das universale Mittel des Heils?

Wenn das Konzil erklärt: »Denn nur durch die katholische Kirche Christi, die das allgemeine Hilfsmittel des Heiles ist, kann man Zutritt zu der ganzen Fülle der Heilsmittel haben« (UR 3,5), dann ist zu fragen, ob hier mit der katholischen Kirche die eben beschriebene Universalkirche gemeint ist, die in der römisch-katholischen Kirche subsistiert, oder aber nur diese letztere, in der die Universalkirche subsistiert.

Vor dem II. Vatikanum hatte die römisch-katholische Kirche immer wieder den anderen Kirchen überhaupt jede Legitimität abgesprochen. Obwohl dies die offizielle Auffassung war, war sie leider unzutreffend. Daraus ist wohl zu lernen, dass man auch bei mit Emphase vertretenen offiziellen Auffassungen nicht vorschnell eventuelle kritische Rückfragen hintanstellen sollte; denn damit würde man der Kirche keinen wirklichen Dienst leisten.

Auf dem II. Vatikanischen Konzil hat sich die römisch-katholische Kirche zu der folgenden Auffassung durchgerungen: »Ebenso sind diese getrennten Kirchen und Gemeinschaften trotz der Mängel, die ihnen nach unserem Glauben anhaften, nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Denn der Geist Christi hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heils zu gebrauchen, deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet.« (UR 3,4).

Der erste Satz dieses Zitats ist in seiner Formulierung sehr problematisch. Er erweckt den Anschein, dass die Mängel anderer Kirchen für die römisch-katholische Kirche ein eigener Glaubensgegenstand seien. In einem vollständigen Glaubensbekenntnis müssten dann auch die Mängel anderer Kirchen aufgezählt werden. Aber in Wirklichkeit kann dieser Satz nur bedeuten, dass die anderen Kirchen nach der Auffassung, der Meinung der römisch-katholischen Kirche an Mängeln leiden. Dieser Sachverhalt kann gerade nicht selber ein Glaubensgegenstand sein. Das credimus, welches das Konzil an dieser Stelle etwas unaufmerksam gebraucht hat, hat nicht die Bedeutung von »nach unserem Glauben«. Es könnte sich im übrigen um Mängel handeln, wie sie sich durchaus auch auf seiten der römisch-katholischen Kirche selbst finden. Denn in bezug auf die römisch-katholische Gesamtkirche sagt das Konzil, es werde aufgrund der Spaltungen »auch für die Kirche selber schwieriger, die Fülle der Katholizität unter jedem Aspekt der Wirklichkeit auszuprägen« (UR 4,10).

Der zweite Satz des Zitats ist dagegen die eigentliche Aussage: Nicht nur die einzelnen Christen sind Glaubende, sondern ihre Gemeinschaften als solche dienen dem Heiligen Geist als seine Werkzeuge. Tut man dann recht daran, ihnen den Charakter als Kirchen wie früher wieder bestreiten zu wollen?

Nun scheint aber in römisch-katholischer Sicht alle Evidenz dafür zu sprechen, dass die von der römisch-katholischen Kirche getrennten christlichen Gemeinschaften tatsächlich unter »Glaubensmängeln« leiden. Dieser sich so sehr aufdrängende Eindruck wird jedoch dadurch in Frage gestellt, dass der wirkliche christliche Glaube gar nicht additiv zusammengesetzt ist. Alle einzelnen Glaubenswahrheiten lassen sich nur als Entfaltungen eines einzigen Glaubensgeheimnisses, nämlich unseres Anteilhabens am Gottesverhältnis Jesu verstehen. Nach Irenäus von Lyon gilt: »Da der Glaube ein und derselbe ist, hat keiner mehr, der viel über ihn sagen kann, und keiner hat weniger, der weniger über ihn sagen kann.«(3)

Entsprechend hat auch das Konzil formuliert: »Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20 und 27), kann im Glauben nicht irren [in credendo falli nequit]. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie "von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien" [vgl. Augustinus, De Praed. Sanct. 14,27: PL 44,980] ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert.«(4)

Tatsächlich kann ein auf das Wort Gottes im Sinn der Selbstmitteilung Gottes gerichteter Glaube deshalb nicht falsch sein, weil das Wort Gottes als solches nur unter der Bedingung verstehbar ist, dass das, wovon es redet, in ihm selber geschieht. Es spricht ja von Gottes liebevoller Zuwendung zu uns im Heiligen Geist und ist selber die Zuwendung. Es ist deshalb notwendig »aus sich wahr«. Die christliche Botschaft macht ihren Anspruch, Wort Gottes zu sein, durch ihren Inhalt verständlich: Gott ist uns mit einer Liebe zugewandt, die an nichts Geschaffenem ihr Maß hat, sondern die ewige Liebe des Vaters zum Sohn ist, in die wir aufgenommen sind. Weil diese Liebe Gottes nicht ihr Maß an der Welt hat, kann sie nicht an der Welt abgelesen werden, sondern muss zu ihr hinzugesagt werden. Der Sohn Gottes hat menschliche Natur angenommen, um ein solches menschliches Wort möglich zu machen, das als Wort Gottes verstehbar wird. Dagegen hört jede vom wirklichen Wort Gottes abweichende angebliche Glaubensverkündigung auf, als Wort Gottes verstehbar zu sein; sie ist als angebliche Glaubensverkündigung nicht falsch, sondern von vornherein unverständlich, weil sie sich nicht als Selbstmitteilung Gottes verstehen lässt.

Wenn man neben die Aussage, dass die Gesamtheit der Glaubenden nicht irren kann, die Aussage derselben römisch-katholischen Kirche stellt, dass auch andere Christen »durch den Glauben in der Taufe gerechtfertigt und Christus eingegliedert seien« UR 3,1), dann scheint zu folgen, dass auch sie durchaus zu der Gesamtheit der Glaubenden gehören, die als solche im Glauben nicht irren kann. In der Tat sind ja im Sinn der Selbstmitteilung Gottes verstehbare Glaubensaussagen, die dennoch falsch wären, von vornherein gar nicht herstellbar.
 

Aufgabe und Ziel aller ökumenischen Arbeit

Wenn andere Christen als Glaubensaussagen im Sinn der Selbstmitteilung verstehbare Lehren der römisch-katholischen Kirche bestreiten, wird man deshalb davon ausgehen können, dass sie diese nur in einem Sinn bestreiten, den sie gar nicht haben. Mit anderen Worten: Es handelt sich um missverständlich formulierte Lehren, oder sie werden zumindest faktisch missverstanden und dann nur in einem ohnehin unzutreffenden Sinn abgelehnt. Dann besteht die ökumenische Aufgabe der römisch-katholischen Kirche darin, ihre Glaubenslehren eindeutiger zu formulieren. Sich in diesem Sinn mit dem Balken im eigenen Auge zu befassen, ist vermutlich hilfreicher, als sich unmittelbar dem Splitter im Auge anderer zuwenden zu wollen (vgl. Mt 7,3-5).

Als Beispiel sei die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit genannt. Dem Papst kommt diejenige Unfehlbarkeit zu, mit der Christus die Kirche ausgestattet wissen wollte. Sie liegt darin begründet, dass als Glaubensaussagen im Sinn der Selbstmitteilung Gottes verstehbare Aussagen immer »aus sich wahr« sind und nicht erst durch die Zustimmung der Kirche. Das ist ein ganz allgemeiner Sachverhalt: Das Wort Gottes wird zwar nur im Glauben, also in der Zustimmung der Kirche als Wort Gottes erkannt, aber doch keinesfalls erst durch den Glauben der Kirche zum Wort Gottes gemacht. Weil dies aber gewöhnlich nicht klar gesagt wird, entsteht für andere Christen der Eindruck, die katholische Kirche lehre, der Papst sei immer dann unfehlbar, wenn er das Gefühl habe, im Recht zu sein (was ja bereits in Mt 16,22f auf das schärfste zurückgewiesen wird). Solcher päpstlicher Subjektivismus, den es ja durchaus in der Geschichte der Kirche auch gegeben hat, ist in der wirklichen katholischen Lehre gerade nicht gemeint.

Ein anderes Beispiel ist der Streit um »die Schrift allein« oder »Schrift und Tradition«. Man streitet sich, weil man nicht erkennt, dass ein und dasselbe Wort »Schrift« eine unterschiedliche Bedeutung hat. In der katholischen Formel »Schrift und Tradition« ist mit Schrift einfach die Bibel gemeint, fast bevor man sie überhaupt aufgeschlagen hat. Wenn man fragt, wie sie zu verstehen ist, lautet die Antwort, dass ihr Sinn die Weitergabe des Glaubens ist. Mit »Tradition« ist nichts anderes als eben diese Weitergabe des einen Glaubens gemeint. Der Sinn der Schrift ist die Kirche selbst als das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Glaubens. In der evangelischen Formel »die Schrift allein« dagegen ist mit »Schrift« nicht die erst noch richtig zu verstehende, sondern die bereits richtig verstandene Schrift gemeint, nämlich in dem Sinn, in dem sie Wort Gottes ist und ihre Texte »Christum predigen und treiben«(5). Wort Gottes ist die Schrift ja nicht in beliebigem Sinn, sondern allein im Sinn unserer Anteilhabe am Gottesverhältnis Jesu. Und zu diesem Sinn kann niemand etwas hinzufügen. Vielmehr ist alles bereits in ihm enthalten.

Aber fehlt nicht zum Beispiel manchen evangelischen kirchlichen Gemeinschaften die apostolische Sukzession des Amtes? Bereits im Jahre 1984 hatte die Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ein Papier herausgegeben: »Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament«, dessen Hauptergebnis darin bestand, dass in den evangelischen Gemeinschaften das Amt ungestuft weitergegeben werde und man deshalb nicht ausschließen könne, dass evangelische Pfarrer nach katholischem Verständnis Bischöfe wären (vgl. ebd. 75, 77, 109 u. a.). Auf dieses Ergebnis einer offiziell eingesetzten Arbeitsgruppe ist meines Wissens nie eine Antwort von seiten der römisch-katholischen Kirche erfolgt. Wäre eine solche Antwort nicht notwendig, ehe man weiterhin sagt, in den evangelischen Gemeinschaften sei das sakramentale Amt nicht voll bewahrt?

Ziel aller ökumenischen Arbeit muss es zum einen sein, dass Christen unterschiedlicher Sprachen ein und desselben Glaubens aufhören, einander die Rechtgläubigkeit zu bestreiten. Wünschenswert ist darüber hinaus, dass sie einander positiv anerkennen. Dafür genügt es, dass ihr Glaube an Jesus Christus als den Sohn Gottes darin besteht, sich und die ganze Welt in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen zu wissen und aus diesem Glauben anders als aus der Angst um sich selbst zu leben. Jedenfalls hat bereits Paulus die Christen von Korinth davor gewarnt, ihre Zugehörigkeit zu ihm oder Kephas (Petrus) oder Apollos zum eigentlichen Unterscheidungsmerkmal des Glaubens zu machen (1 Kor 1,12f und 3,5-17). Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt?

Absolut notwendig zur Zugehörigkeit zu der einen Kirche Jesu Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine katholische bekennen, ist die Übereinstimmung im Glauben, der ja alles Notwendige bereits in sich enthält und in sich selbst unteilbar ist. Selbstverständlich ist es überaus wünschenswert, diese Übereinstimmung auch ausdrücklich festzustellen und anzuerkennen. Aber die Meinung, erst dann bestehe die Übereinstimmung im Glauben, wenn sie bereits auch festgestellt wurde, liefe letztlich auf ein eher schismatisches Verhalten hinaus, das wir uns dann selber zuschreiben müssten. Die Feststellung der Übereinstimmung ist nicht absolut notwendig, sondern nur notwendig möglich. Ein profaner Vergleich: Zum Wesen des Fußballspiels gehört, dass es notwendig möglich ist, das Tore geschossen werden. Aber ein Spiel, in dem faktisch keine Tore fallen, sondern das 0 : 0 ausgeht, bleibt dennoch Fußball, wenn gewahrt bleibt, dass es möglich und höchst erwünscht ist, Tore zu schießen. So können manche Aspekte der Kirche in verschiedenen Einzelkirchen über lange Zeit latent sein. Zum Beispiel gehört Konziliarität zum Wesen der Kirche, aber in der römisch-katholischen Kirche gab es nach dem Konzil von Trient drei Jahrhunderte lang kein Konzil, ohne dass sie damit aufgehört hätte, Kirche zu sein. Es war allerdings alles andere als ein Gewinn für die Kirche, so lange kein Konzil einzuberufen.

Christen können der einen universalen Kirche angehören, auch wenn sie voneinander völlig verschiedene Sprachen sprechen und sich mangels kundiger Dolmetscher nicht gut verstehen. Jesus selbst hat den Jüngern, die es nicht dulden wollten, dass auch andere in seinem Namen Dämonen austrieben, geantwortet: Wer nicht gegen uns ist, ist für uns (Mk 9,38-40). Nur in bezug auf ihn selbst gilt: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich (Mt 12,30). Mit dem Glauben an Jesus Christus im Sinn seiner Gottessohnschaft und damit unserer Anteilhabe an seinem Verhältnis zum Vater ist der ganze Glaube gegeben, der wie die Glut unter der Asche völlig ausreicht, überall die lodernde Flamme neu zu entfachen.
 


 
1 Das Wesen des christlichen Glaubens, München 1965, 136. Mit Organisation ist hier eine Verwaltungseinheit gemeint, die im Unterschied zur gesellschaftlichen Verfasstheit der Kirche nicht das eigentliche Konstitutivum der Kirche sein kann.

2 Acta Synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, 3,1; 176.

3 Contra haereses I, 10, 2 (PG 7, 553A).

4 II. Vatikanum, LG 12,1.

5 Martin Luther, WADB 7; 385,26 (Vorrede auff die Epistel S. Jacobi vnd Jude).
 
 


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