Letzte Aktualisierung:  17. April 2013  PK
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Peter Knauer SJ

 

Nicht unfehlbare Glaubenslehre,

aber doch definitive kirchliche Lehre?
 
 
Die römische Glaubenskongregation hatte bereits vor neun Jahren, am 9. Januar 1989, drei Zusätze zum Glaubensbekenntnis, veröffentlicht, die man bei der Übernahme eines kirchlichen Amtes beeiden soll. Diese Zusätze lauten:

1) »In festem Glauben glaube ich auch alles das, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche, sei es in feierlichem Urteil oder durch das ordentliche und allgemeine Lehramt als zu glauben vorgelegt wird.«

2) »Fest ergreife ich auch und behalte alles und jedes, was von derselben in bezug auf eine Lehre über Glauben oder Sitten definitiv vorgelegt wird.«

3) »Darüber hinaus hange ich in religiösem Gehorsam des Willens und Verstandes den Lehren an, die der Römische Papst oder das Kollegium der Bischöfe verkünden, wenn sie das authentische Lehramt ausüben, auch wenn sie nicht beabsichtigen, sie in einem definitiven Akt zu proklamieren.«

1. Eine Ergänzung zum kirchlichen Gesetzbuch

Die Sätze 1) und 3) standen bereits in den canones 750 und 752 des Codex Iuris Canonici von 1983 sowie in ähnlicher Weise in den canones 598 und 599 des ostkirchlichen Gesetzbuchs (Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium). Allerdings fehlte in den Gesetzbüchern das im Text der Glaubenskongregation hinzugefügte »auch«, das den ersten Abschnitt mit dem vorangehenden Glaubensbekenntnis verbinden soll, aber den Eindruck erweckt, es gebe zum Glaubensbekenntnis zusätzliche Glaubensgegenstände. Ebenso fehlte das »Darüber hinaus«, mit dem der dritte Satz eingeleitet wird. Beide Einfügungen wecken Bedenken, weil sie von der problematischen Voraussetzung auszugehen scheinen, daß der christliche Glaube aus vielen Einzelwahrheiten nur additiv zusammengesetzt ist.

Anders als die Sätze 1) und 3) fand Satz 2) bisher gar keine Entsprechung in den kirchlichen Gesetzbüchern. Papst Johannes Paul II. hat es nun »nach reiflicher Überlegung« für nötig gehalten, »zum Schutz des Glaubens«, diese »Lücke zu schließen«.

In einem Motuprorio vom 18. Mai 1998, das erst Ende Juni in der Öffentlichkeit bekannt wurde, hat er verfügt, zum can. 750 als einen zweiten Paragraphen hinzuzusetzen: »Fest zu ergreifen und zu behalten ist auch alles und jedes, was in bezug auf eine Lehre über Glaube oder Sitten vom Lehramt der Kirche definitiv vorgelegt wird, nämlich was erforderlich ist, um dasselbe Glaubensgut sorgsam zu schützen und treu auszulegen. Deshalb steht derjenige im Widerspruch zur Lehre der katholischen Kirche, der dieselben definitiv zu haltenden Sätze ablehnt.« Auch dem can. 598 des ostkirchlichen Gesetzbuchs ist nach dem Motuproprio ein ebensolcher zweiter Paragraph hinzuzufügen.

Zusätzlich hat Papst Johannes Paul II. bestimmt, daß in der entsprechenden Strafgesetzgebung in can. 1371 CIC und can. 1436 CCEO eingefügt werde, daß in angemessener Weise bestraft werden soll, wer eine Lehre gemäß dem obigen Satz 2) nicht annimmt.  

2. Sachliche Erläuterung

Alle drei eingangs genannten Sätze bedürfen einer Klärung. Wann sind kirchliche Lehraussagen unfehlbar und was ist unter Unfehlbarkeit genau zu verstehen? Gegenstand des Zusatzes zum kirchlichen Gesetzbuch ist der zweite Satz. Hier ist zu fragen: Wann spricht das Lehramt definitiv, wenn auch nicht mit der Unfehlbarkeit des Glaubens, und wie ist dann diese Definitivität zu verstehen? Zum dritten Satz ist zu fragen: Wann spricht das Lehramt nur authentisch, jedoch weder unfehlbar noch definitiv, und in welchem Sinn und mit welcher Begrenzung sind seine Aussagen dann verbindlich?

2.1 Unfehlbare Lehre in bezug auf den Glauben und die Sitten

Die christliche Glaubensverkündigung versteht sich selber als Wort Gottes, nämlich als die Selbstmitteilung Gottes in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens. Dieses Wort ist selber der Vollzug dessen, wovon es redet. Es ist dasjenige Wort, das uns dessen gewiß macht, in die Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen zu sein, die der Heilige Geist ist. Nur solche Aussagen können Glaubensaussagen sein, die sich in sich selber als Selbstmitteilung Gottes verstehen lassen. Solche Aussagen sind dann »aus sich« und nicht erst »durch die Zustimmung der Kirche« »irreformabel«, nämlich unabänderlich wahr (vgl. DH 3074).

Der Ausdruck »irreformabel« ist nach dem Kontext der Konzilsakten sachidentisch mit »unfehlbar wahr«; denn der Verhandlungsgegenstand des Konzils war die päpstliche Unfehlbarkeit. Der Ausdruck unterstreicht zusätzlich, daß niemand solche Sätze zurücknehmen kann. Aber diese Eigenschaft kann den Glaubenssätzen nur aufgrund dessen zukommen, daß sie auch »aus sich unfehlbar« sind.(1)

Es muß sich um einen Sachverhalt handeln, der letztlich in der definierten Wirklichkeit selber begründet ist.

Häufig versteht man die Formulierung der Definition des I. Vatikanums für die päpstliche Unfehlbarkeit in dem Sinn, daß der Papst »aus sich«, nämlich aus eigener Machtvollkommenheit unfehlbare Glaubensdefinitionen erlassen könne und dazu nicht der Zustimmung der Kirche bedürfe. Das »ex sese« müßte sich dann auf die Person des Papstes beziehen.

Grammatisch ist diese letztere Deutung, so verbreitet sie auch sein mag, kaum möglich. Denn nach den Regeln der lateinischen Grammatik bezieht sich das Reflexivpronomen auf das Subjekt des Satzes. Nicht der Papst, sondern seine Definitionen sind das Subjekt des Satzes. Es wäre deshalb bereits semantisch unzutreffend, die Bedeutung des »ex sese« auf die bloße Ablehnung des »ex consensu ecclesiae« und damit des sogenannten Gallikanismus einzuschränken. Es hat vielmehr die positive Bedeutung, daß die Eigenschaft der Irreformabilität den Definitionen aufgrund eines in ihnen selber liegenden Sachverhalts zukommt.

In Wirklichkeit geht es nicht einfach nur um die Ablehnung des Gallikanismus, sondern um die Begründung dieser Ablehnung aus dem Wesen des Glaubens: Die christliche Botschaft wird zwar nur in der in der Zustimmung der Kirche als Wort Gottes erkannt(2), aber nicht erst durch die Zustimmung der Kirche zum Wort Gottes gemacht(3). Es handelt sich - so verstanden - um eine sehr präzise und gelungene Formulierung. Sie gilt letztlich nicht nur für die päpstlichen Definitionen, sondern für überhaupt alle Glaubensaussagen. Denn was von der päpstlichen Unfehlbarkeit gesagt wird, gilt bereits von der Unfehlbarkeit der Kirche als solcher.

Daß die päpstlichen Glaubensdefinitionen »aus sich« irreformabel, weil unfehlbar wahr seien, wird in der Konzilsaussage auf den göttlichen Beistand zurückgeführt. Genügt es, diesen Beistand als von außen hinzukommend zu denken? Dann wären die Definitionen vielleicht aufgrund eines solchen Beistandes wahr, aber damit allein doch noch nicht in einem strengen Sinne »aus sich« wahr. Muß es sich nicht vielmehr um einen ähnlichen Sachverhalt handeln, wie daß man bei den Sakramenten sagt, sie seien »ex opere operato«, aufgrund ihres Vollzugs wirksam, indem sie nämlich eine Gnade bezeichnen und mitteilen, die sie »in sich selber« enthalten?

Wie ist das »aus sich« in der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit genau zu verstehen? Es bezieht sich, wie gesagt nicht auf den Papst, als sei er aus sich unfehlbar, sondern auf seine Glaubensaussagen mit ihrem Inhalt. Dies sei am Gegensatz erläutert.

Gewöhnlich sprechen wir von Dingen, die außerhalb unseres Sprechens liegen. Wenn ich sage, daß der Frankfurter Messeturm 256,5 Meter hoch ist, dann ist diese Aussage zwar wahr (wie man letztlich nur durch Inaugenscheinnahme und genaues Nachmessen erkennen kann), aber sie ist nicht »aus sich« wahr. Der Gegenstand der Aussage liegt außerhalb ihrer. Man muß erst die Aussage mit dem von ihr gemeinten Gegenstand, der außerhalb von ihr auch direkt zugänglich ist, vergleichen, um feststellen zu können, ob sie wahr ist.

Damit eine Aussage als Glaubensaussage verstehbar ist, muß sie dagegen die Wirklichkeit, von der sie redet, »in sich selber« enthalten. Diese Wirklichkeit ist die in dieser Aussage geschehende Selbstmitteilung Gottes, die als wahr allein im Glauben erkannt werden kann. Eine als Wort Gottes verstehbare Aussage ist immer in sich selber der offenbare Vollzug der liebenden Zuwendung Gottes zu uns. Sie spricht von dem, was in ihr selber geschieht.

Angebliche Glaubensaussagen sind entweder »aus sich« wahr, oder sie sind nicht einmal als Glaubensaussagen verstehbar.

Der christliche Glaube kann von vornherein nur mit dem Anspruch auf schlechthinnige Verläßlichkeit vertreten werden. Alle als Glaubensaussagen verstehbaren Aussagen sind so verläßlich wie Gott selber. Denn Selbstmitteilung Gottes bedeutet, daß Gott sich selber in seinem Wort in unser Herz gibt. Die Selbstmitteilung Gottes ist mit dem Geschehen seines Wortes identisch.

Mit Unfehlbarkeit ist also nicht nur eine faktische Irrtumslosigkeit gemeint, sondern die Unmöglichkeit der Unwahrheit eines als Glaubenssatz verstehbaren Satzes.(4)

Die Unfehlbarkeit des Glaubens wird letztlich dadurch garantiert, daß falsche Glaubensaussagen, also Aussagen, die sich als Selbstmitteilung Gottes verstehen lassen und dennoch falsch sind, gar nicht herstellbar sind. Statt falscher Glaubensaussagen können genau genommen nur Aussagen entstehen, die als angebliche Glaubensaussagen von vornherein unverständlich und damit auch inhaltslos bleiben.

Das Gegenteil einer Glaubensaussage ist durchaus herstellbar, aber es läßt sich nicht als Glaubensaussage verstehen. Man kann behaupten, Jesus sein ein bloßer Mensch und lediglich ein moralisches Vorbild gewesen. Doch einen solchen Satz könnte niemand als einen Satz verstehen, den man als Gottes Selbstmitteilung glauben kann und in dem Gott den Heiligen Geist schenkt.

Es wäre vorstellbar gewesen, daß Pius X., damit die Exegeten endlich Ruhe geben, die Aussagen der Römischen Bibelkommission hätte »definieren« wollen, daß der Pentateuch von Mose selbst stammt oder daß der Hebräerbrief direkt paulinisch sei (vgl. DH 3394-3397, 3591-3593). Aber solche Aussagen wären zwar als rein historische Aussagen verständlich (wenn auch vermutlich eher falsch); sie könnten jedoch von niemandem als Geschehen der Selbstmitteilung Gottes verstanden oder interpretiert werden. Sie wären als Glaubensaussagen schlechthin unverständlich.

Daß verstehbare Glaubensaussagen nur als unfehlbare Aussagen verstehbar sind, mag ungewohnt klingen. Es ist jedoch deshalb einleuchtend, weil diese Aussagen nur als der Vollzug dessen verstanden werden können, wovon sie reden.(5)

Das Wort Gottes ist selbst die liebevolle Zuwendung Gottes zum Menschen in eben diesem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens. Der Begriff »Selbstmitteilung« bedeutet nicht nur, daß Gott selber etwas mitteilt, sondern daß er sich selber mitteilt und daß diese Selbstmitteilung Gottes gerade im Wort der Glaubensweitergabe geschieht. Dies gilt zunächst für die »Dinge des Glaubens«.

Aber wie kann man dann auch in bezug auf die Sitten unfehlbare Aussagen machen? Hat nicht die ganze Tradition der Kirche immer von dem »natürlichen Sittengesetz« gesprochen, das mit der Vernunft erkannt wird? Und hat nicht das I. Vatikanum ausdrücklich gelehrt, daß Vernunft und Glaube sich nicht nur in der Erkenntnisweise, sondern auch im Gegenstand unterscheiden (DH 3015)(6)? Wenn das Sittengesetz Gegenstand von Vernunfterkenntnis ist, dann muß man für es mit Argumenten eintreten, und unsere Erkenntnis unterliegt dem Vorbehalt besserer Einsicht. Das natürliche Sittengesetz kann nicht geglaubt werden. Dennoch beansprucht die Kirche Glaubensunfehlbarkeit nicht nur »in Dingen des Glaubens«, sondern auch »der Sitten«.

Erst das II. Vatikanum hat in einer sehr erhellenden Formulierung diesen Anspruch verständlich erläutert. Es geht dabei nur um den »zu glaubenden und auf die Sitten anzuwendenden Glauben« (LG 24, 1). Die einzig mögliche »Anwendung« des Glaubens auf die Sittenlehre ist die Glaubensaussage, daß nur solche Werke vor Gott gut sein können, die aus der Gemeinschaft mit ihm hervorgehen. Die Sittennormen als solche bleiben aber Vernunftgegenstand und können nicht geglaubt und deshalb auch nicht unfehlbar gelehrt werden.

Es genügt nicht für die Unfehlbarkeit einer Aussage, sie mit noch so viel Pathos als unfehlbar zu behaupten, sondern es muß nach der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit (DH 3074) die Vorbedingung erfüllt sein, daß die Aussage auf dem Gebiet des Glaubens und seiner Anwendung auf die Sitten liegt. Das heißt, sie muß überhaupt als Glaubensaussage im Sinn der Selbstmitteilung Gottes verstanden werden können. Eine solche Aussage ist auch dann notwendig unfehlbar, wenn ihre Unfehlbarkeit gar nicht eigens formuliert wird.

Einen sozusagen »schleichenden Übergang« von fehlbaren zu unfehlbaren Aussagen kann es nicht geben. Keine Aussage kann »aus sich wahr« und damit unfehlbar werden, wenn sie es nicht von vornherein war.

Auch eine Aussage, von der man angeblich noch nicht genau weiß, ob sie wirklich geoffenbart ist, kann - so verstanden - nicht einmal wahr sein. Denn nur »aus sich« wahre Aussagen können göttliche Selbstmitteilung sein und damit im eigentlichen Sinn geoffenbart sein und werden auch nur so richtig verstanden. Wenn die christliche Botschaft beansprucht, Wort Gottes zu sein, dann kann sie keine beliebigen Inhalte haben, sondern ihr Inhalt muß genau darin bestehen, ihren Anspruch, Gottes liebevolle Zuwendung zu sein, auch angesichts seiner schlechthinnigen Transzendenz verstehbar zu machen. Deshalb sagt dieses Wort, wir seien in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen, die der Heilige Geist ist. Es sagt, daß wir dies nicht aus uns selber wissen können, sondern uns dafür auf die Menschwerdung des Sohnes berufen müssen. Er hat uns in menschlichem Wort das letzte und umfassende Wort über alle Wirklichkeit gesagt, dem niemand etwas hinzufügen kann. Dieses Wort kann als wahr nur im Heiligen Geist erkannt werden.

Selbst die Aussage, daß Jesus der Sohn Gottes ist, ist nicht in beliebigem Sinn wahr, sondern allein in demjenigen Sinn, in welchem ihre Wahrheit allein dem Glauben zugänglich ist. Denn niemand kann im richtigen Sinn und im Ernst sagen, Jesus ist Herr, außer im Heiligen Geist (vgl. 1 Kor 12,3). Die Aussage besagt dann: An Jesus als den Sohn Gottes glauben heißt, sich (und die ganze Welt) aufgrund seines Wortes von Gott mit der Liebe geliebt zu wissen, in der Gott ihm als seinem eigenen Gegenüber von Ewigkeit her zugewandt ist. An Jesus als den Sohn Gottes glauben bedeutet, an seinem Verhältnis zum Vater teilzuhaben; es ist das Erfülltsein von seinem Heiligen Geist. In jedem anderen Verständnis von Gottessohnschaft Jesu würde das Gemeinte verfehlt, und die Aussage wäre auch nicht wahr.

Daß Glaubenswahrheiten immer »aus sich« wahr sind, ist der Grund, ohne den weder der ganzen Kirche noch dem Papst Unfehlbarkeit zukommen könnte. Beide können nur zusammen unfehlbar sein.

Wäre allein der Papst unfehlbar und nicht auch die »Gesamtheit der Glaubenden« (vgl. LG 12, 1), dann wüßten die einzelnen Gläubigen nie, ob sie recht haben, wenn sie ihm angeblich unfehlbare Lehraussagen abnehmen. Sie müssen also selber unfehlbar in der Lage sein, unfehlbare von anderen Ausagen unfehlbar zu unterscheiden(7). Dem Papst kann keine andere oder gar höhere Unfehlbarkeit zukommen als diejenige, mit der Christus die Kirche ausgestattet wissen wollte. Der Unterschied besteht nur darin, daß sie ihm amtlich zukommt.

Mit der »Gesamtheit der Gläubigen« ist nicht nur deren überwiegende Mehrheit gemeint; vielmehr handelt es sich um überhaupt alle ohne Ausnahme, die an Jesus Christus im Sinn des Hineingenommenseins in sein Verhältnis zu Gott glauben. Diese Einsicht ist von enormer ökumenischer Relevanz, wenn man bedenkt, daß das II. Vatikanum auch andere Christen als Gläubige anerkannt hat (vgl. UR 3, 1).(8)

Die Unfehlbarkeit des Papstes bedeutet nicht etwa, daß er nicht auch die Freiheit hätte, Aussagen zu machen, die mit dem Glauben nicht übereinstimmen, und dennoch für sie Glauben zu fordern; aber er wird dann nie in der Lage sein, sie auch als Glaubensaussagen verständlich zu machen. Solche Aussagen wären von niemandem als »aus sich« wahr erkennbar und könnten deshalb natürlich auch nicht mit Recht als unfehlbar bezeichnet und verkündet werden.

Es wäre also eine falsche Interpretation der päpstlichen Unfehlbarkeit, wollte man meinen, daß der Papst nie etwas zu definieren versuchen könne, was gar nicht in den Bereich von Glauben und Sitten gehört. Damit würde man seine psychologische Freiheit leugnen und ihn in seiner Verkündigung für unsündlich halten. Aber dies ist nicht der Sinn der vatikanischen Definition. Mit einer solchen vom Glauben abweichenden Verkündigung ist zwar kaum zu rechnen, aber die prinzipielle Möglichkeit eines solchen Amtsmißbrauchs kann auch beim Papst nicht ausgeschlossen werden. Wenn dem Papst gegenüber keine respektlose Kritik angebracht ist, so doch auch nicht kritikloser Respekt. Unfehlbar kann päpstliche Lehre nur innerhalb des Bereichs des Glaubens und seiner Anwendung auf die Sitten sein.

Unsere Deutung der päpstlichen Unfehlbarkeit geht also davon aus, daß Glaubensaussagen sich letztlich durch ihren Inhalt als verläßlich ausweisen müssen. Dies bedeutet keineswegs eine Leugnung der formalen Autorität des Lehramts, sondern begründet diese vielmehr. Denn als Glaubensaussagen kommen keine anderen Aussagen in Frage als solche, für die man konstitutiv darauf angewiesen ist, sie von der Kirche gesagt zu bekommen. Die Kirche ist definiert als das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Wortes Gottes. Kein Wort, auf das man von sich aus verfallen könnte, ließe sich als Glaubensaussage verstehen. Es gehört zum Wesen eines als Selbstmitteilung Gottes verstehbaren Glaubens, daß er »vom Hören kommt« (vgl Röm. 10,17) und seinen geschichtlichen Ursprung in Jesus Christus und nicht in uns selbst hat.


2.2 Definitiv zu haltende Lehre,die jedoch nicht selbst Glaubensgegenstand ist

In der theologischen Tradition hat man bisher gewöhnlich nur zwischen »unfehlbarer« und »nicht unfehlbarer, sondern bloß authentischer« Lehre unterschieden. Deshalb hat der eingangs erwähnte zweite Satz bereits, als er von der Glaubenskongregation als Zusatz zum Credo für den Amtseid formuliert wurde, einige Verwunderung hervorgerufen. Um so größer mag die Verwunderung mancher sein, diesen Satz nun gar im CIC wiederzufinden.

Das I. Vatikanum hatte von der Unfehlbarkeit des Papstes nur definiert, daß sie die gleiche Reichweite wie die der Kirche habe.(9)

Es hat jedoch die Frage offengelassen, ob sie sich nur auf das »depositum fidei« oder auch auf die »custodia depositi fidei« erstreckt bzw. ob es auch eine Unfehlbarkeit gebe, die lediglich »theologisch sicher« sein, ohne aber geoffenbart zu sein.(10)

Der Papst begründet nun die Möglichkeit von nicht im Sinne von Glaubensgewißheit unfehlbaren und dennoch definitiven Aussagen damit, daß es sich um »notwendig mit der göttlichen Offenbarung verbundene Sätze« handelt, die »zum Schutz« des Glaubensgutes notwendig seien. Gemeint sind offenbar Sätze, die nicht selber geoffenbartes Glaubensgut (vom geoffenbarten Glaubensgut spricht der erste oben angeführte Satz), sondern Vernunftwahrheiten sind. Die Verbindung mit der Offenbarung sei entweder eine solche »geschichtlicher Art« oder »logischer Folgerung«.

Tatsächlich gibt es Vernunftaussagen, ohne die der Glaube keinen Bestand haben könnte, die also logisch in ihm impliziert sind. Dann kann auch kein Theologe solche Aussagen bestreiten, ohne aufzuhören, den Glauben im Sinn der Kirche auszulegen. Streng genommen handelt es sich allerdings nicht um Folgerungen, sondern um logische Implikationen, also zutreffender um Voraussetzungen des Glaubens. Bloße Folgerungen aus dem Glauben können wohl kaum »zum Schutz« des Glaubens notwendig sein. Eine Wahrheit wird nicht schon dadurch gefährdet, daß jemand es unterläßt, alle nur denkbaren logischen Folgerungen aus ihr zu ziehen oder das Recht bestimmter Folgerungen nicht zu sehen vermag.(11)

Für die tatsächliche Existenz von Vernunftaussagen,ohne die der Glaube keinen Bestand haben kann, seien einige Beispiele benannt. Wenn Gegenstand des Glaubens Gottes Selbstmitteilung an sein Geschöpf ist, dann setzt dies die Existenz des Geschöpfes und sogar die Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis notwendig voraus.

Denn der Glaube bezieht sich auf eine Liebe Gottes zu uns, die weder an uns noch überhaupt an der Welt ihr Maß hat; sie ist ja die Liebe Gottes zu Gott, des Vaters zum Sohn, in die wir aufgenommen sind. Weil diese Liebe ihr Maß nicht an der Welt hat, kann sie auch nicht an der Welt abgelesen werden. Sie kann einem nur durch dasjenige Wort offenbar werden, dessen Urheber Jesus Christus ist. Ihre Wahrheit wird allein im Glauben erkannt.

In bezug auf unser Geschaffensein dagegen behauptet die christliche Botschaft, daß wir genau in dem Maß geschaffen seien, in welchem wir sind. Unser Sein und unser Geschaffensein sind ein und dasselbe. Deshalb kann unser Geschaffensein als solches nicht Glaubensgegenstand sein, sondern muß mit der Vernunft erkannt werden können (vgl. DH 3004).(12)

Glaubensgegenstand ist erst die Aussage, daß wir »in Christus« geschaffen sind, nämlich hineingeschaffen in die Liebe des Vaters zum Sohn. Allerdings impliziert diese Aussage dann, daß unser Geschaffensein als solches (noch abgesehen von dem »in Christus«) mit der Vernunft erkannt wird.

Für die Aussage unseres Geschaffenseins, die für sich allein noch keine Glaubensaussage ist, muß die Kirche den Anspruch erheben, daß sie definitiv sei. Das bedeutet: Die Kirche »garantiert«, daß man keine Infragestellung dieser Aussage jemals wird fürchten müssen; vielmehr werden alle eventuellen Einwände gegen diese Aussage mit Vernunftgründen widerlegt werden können. Man braucht also die Auseinandersetzung mit solchen Einwänden nicht zu scheuen, sondern kann sich ihnen ohne Angst stellen.

In ähnlicher Weise lehrt die Kirche als definitiv wahr geschichtliche Wahrheiten wie die historische Existenz des Menschen Jesus. Sie kann ebenfalls kein Glaubensgegenstand sein, sondern ist mit der Vernunft zu erkennen. Glaubensgegenstand ist erst die Gottessohnschaft dieses historischen Menschen. Pilatus konnte ohne die geringste Spur von Glauben Jesu wahres Menschsein erkennen. Dagegen ist Jesu Gottessohnschaft nach 1 Kor 12,3 auf keine andere Weise als allein »im Heiligen Geist« erkennbar.

Weiterhin ist es natürlich eine definitive Vernunftwahrheit, daß es die christliche Botschaft und die Gemeinschaft der sie Verkündenden, also die Kirche, historisch und aktuell gibt. Niemand kommt auch nur auf die Idee, die Existenz der Kirche und ihrer Verkündigung zu bestreiten. Glaubensgegenstand ist jedoch nicht schon die Existenz der Botschaft, sondern erst ihre Wahrheit. Aber die Wahrheit der Botschaft setzt die Aussage, daß es die Botschaft gibt, als eine definitive Wahrheit voraus, die bereits der Vernunft zugänglich ist und deshalb nicht auch geglaubt werden kann.

Als definitiv wahr ist ferner die Aussage zu vertreten, daß wir Menschen unter einem sittlichen Anspruch stehen. Daran hat die christliche Botschaft ihren Anknüpfungspunkt. Sie geht auf die Frage ein, was den Menschen immer wieder daran hindert, menschlich anstatt unmenschlich zu handeln, und sie will ihm ein Gegenmittel gegen dieses Hindernis anbieten. Wer nämlich glaubt, wird nicht mehr aus der Angst um sich selber leben, welche sonst die Wurzel aller Unmenschlichkeit ist.

Wollte man jedoch behaupten, daß der sittliche Anspruch erst durch die Glaubensbotschaft an den Menschen herangetragen werde, dann würde man mit dieser vermeintlich frommen Aussage nur bestreiten, daß der Glaube im Menschen seinen Anknüpfungspunkt hat. Der Glaube setzt zu seiner Verstehbarkeit voraus, daß der Mensch den Unterschied zwischen menschlich und unmenschlich wenigstens grundsätzlich bereits von sich aus versteht. Sonst hätte der Mensch gar keinen Anlaß, sich die Glaubensverkündigung auch nur anzuhören. Insofern gibt es auch auf dem Gebiet der Sitten »definitive Vernunftwahrheiten«, ohne die der Glaube nicht bestehen kann. Es handelt sich hier aber noch nicht um die einzelnen sittlichen Normen.

Daß eine Aussage definitiv wahr ist, darf allerdings nicht heißen, daß man sie jeder Infragestellung entzieht. Ganz im Gegenteil bedeutet es die Garantie, daß diese Aussage jede Infragestellung aushalten und sich in ihr bewähren wird.

Wollte man eine Aussage als definitiv bezeichnen, um die Diskussion über sie abzubrechen und auch nur ihre bloß methodische Infragestellung zu verhindern, dann würde man eo ipso diese Aussage zu einer bloßen Privatmeinung erklären, die natürlich in Wirklichkeit keinerlei Anspruch auf Definitivität hat. Bloße Privatmeinungen sind Aussagen, von denen man meint, sie der öffentlichen Diskussion entziehen zu müssen. Solche Privatmeinungen sind in der Kirche nicht zulässig.

Mit Recht sagt der Zusatz zum can. 570 des CIC, daß nur solche Aussagen als »definitive« Aussagen zu verstehen sind, die »erforderlich« sind, um den Glauben zu erhalten und treu auszulegen. Diese Bedingung ist nicht bereits durch die bloße Absicht erfüllt, die betreffenden Aussagen als definitiv dekretieren zu wollen, damit lästige Frager endlich Ruhe geben. 

2.3 Bloß authentische, weder unfehlbare noch definitive Lehre

Unter den Begriff »nicht unfehlbarer, sondern bloß authentischer Lehre« fällt insbesondere die kirchliche Unterweisung in bezug auf Sittennormen. Ein anderes Beispiel für nicht unfehlbare, sondern allenfalls authentische Lehre wären vielleicht kirchliche Tatsachenfeststellungen, etwa daß man katholischerseits offiziell anderen Kirchen irgendwelche Lehrmeinungen zuschreibt; die Richtigkeit solcher Beurteilungen kann grundsätzlich nicht definitiv behauptet werden. Man kann zwar bestimmte Auffassungen mit vollem Recht definitiv ablehnen; aber ob jemand diese Auffassungen tatsächlich vertritt, ist eine ganz andere Frage.

Wer für den Glauben eintritt, muß auch für die Vernunft eintreten. Wenn der Glaube Menschen aus der Macht ihrer Angst um sich befreien soll, damit sie fähig werden, liebevoll und menschlich zu leben, dann ist es eine Aufgabe der Glaubensverkünder, subsidiär auch für das Sittengesetz in seinen einzelnen Normen einzutreten. Aber Sittennormen können nicht mit Unfehlbarkeit gelehrt werden.

Es ist vielmehr unerläßlich, für Sittennormen mit Argumenten einzutreten. Wenn man zum Beispiel mit Recht gegen Abtreibung eintritt, kann man sich doch im Verständnis dieses Begriffs irren. Wenn etwa bei einer ektopischen Empfängnis unweigerlich Mutter und Kind sterben würden, wäre die Rettung der Mutter unter Beendigung dieser Form von Schwangerschaft keineswegs eine Abtreibung. Die mit großer Emphase vorgetragene Lehre Pius' XI., daß auch dies eine unerlaubte Tötung sei (DH 3720), war eindeutig falsch; es handelt sich in diesem Fall nicht um »direkte« Tötung im moraltheologischen Sinn dieses Begriffs. Von der belgischen Bischofskonferenz ist dies im Jahre 1989 anerkannt worden.(13)

Der Begriff »authentisch« ist mit »amtlich« wiederzugeben. Damit ist eine Art Beweislastregelung gegeben. Wenn jemand sich die Richtigkeit einer Fotokopie von jemandem beglaubigen läßt, der dazu gar nicht befugt ist, kann jedermann weiterhin die Richtigkeit der Kopie anzweifeln. Wenn sie dagegen »amtlich«, zum Beispiel von einem dafür zugelassenen Notar, beglaubigt worden ist, darf man die Richtigkeit der Abschrift öffentlich nur noch dann anzweifeln, wenn man positiv Beweise für ihre Unrichtigkeit vorlegen kann.

Ebenso verhält es sich mit nicht unfehlbarer, aber doch »amtlicher« kirchlicher Lehre. Ein Glied der Kirche ist solange an diese Lehre gebunden, als es nicht positiv den Beweis der Falschheit dieser Lehre antreten kann. Aber sobald man eine Lehre als falsch nachweisen kann und dieser Nachweis nicht widerlegbar ist, ist jegliche Verbindlichkeit der betreffenden Lehre beendet. Es ist dann auch nicht ein sogenanntes »gehorsames Schweigen« angebracht, sondern man soll den Mund auftun. Das folgt einfach aus dem Hauptgebot, daß man anderen nicht etwas antun soll, was man für sich selber nicht wünschte. Wenn ich im Irrtum bin, dann wünsche ich, darauf aufmerksam gemacht zu werden; einen eigenen Irrtum vertuschen lassen oder selber vertuschen zu wollen, wäre in niemandes wohlverstandenem eigenen Interesse. Die Kirche würde nur ihre eigene Glaubensverkündigung beeinträchtigen, wenn sie, »um die Gläubigen nicht zu verunsichern«, an nachweislich falschen Lehren festhalten wollte.

3. Offene Fragen

Es erscheint eher fragwürdig, ob man der erlösenden und befreienden Kraft des Glaubens mit Strafmaßnahmen und Sanktionen oder durch die Auferlegung von Eiden zu Hilfe kommen kann. Ein früherer solcher Versuch war der Antimodernismuseid, den Paul VI. wieder abgeschafft hat. Es ist auch zu fragen, ob denn wir den Glauben »schützen« müssen oder ob nicht vielmehr wir selber unseren Schutz und unsere Zuversicht im Glauben finden, dessen Gegenstand unsere Geborgenheit in Gott ist. Dem Glauben dient man am meisten, wenn man ihn allgemeinverständlich erläutert.

Vielleicht das größte Hindernis für die Verständigung der Christen untereinander ist eine Vorstellung vom Glauben, nach der er sich aus vielen einzelnen Wahrheiten zusammensetzt, die man alle erst zusammenaddieren muß, um dann irgendwann einmal den vollständigen Glauben zu haben.(14) Häresie bestünde in dieser Sicht darin, nur einen Teil der Glaubensaussagen anzunehmen.(15)

Aber sind nicht alle einzelnen Glaubensaussagen immer nur die Entfaltung des einen und einzigen Grundgeheimnisses unserer Gemeinschaft mit Gott, anstatt dazu etwas hinzuzufügen?(16)

Daß dem so ist, macht das trinitarische Glaubensbekenntnis, wie es oben erläutert wurde, deutlich. Der Inhalt der christlichen Botschaft erläutert letztlich nichts anderes, als wie sie beanspruchen kann, als menschliches Wort der Weitergabe des Glaubens selber Gottes Wort zu sein. Der ganze Glaube ist darin gefaßt; es kann keine sinnvollen Zusätze geben, die nicht von vornherein darin impliziert wären.(17)

Wenn dies aber wahr ist, dann bestünde (auch gemäß DH 3020) Häresie eher in der »Vermehrung des Glaubens über den Glauben hinaus«(18), nämlich in der Forderung von Glauben für Sachverhalte, die gar nicht Glaubensgegenstand sein können, weil sie Vernunftgegenstand sind.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es neben den eigentlichen Glaubensaussagen, die »aus sich«, nämlich von ihrem Inhalt her unfehlbar sind, auch bestimmte Vernunftwahrheiten gibt, die vom Glauben vorausgesetzt werden und deshalb ihrerseits von der Kirche als definitiv gültig zu vertreten sind. Es gibt also Lehren, die nicht unfehlbar im Sinne des Glaubens sind, aber dennoch von der Kirche definitiv vorgelegt werden und nicht geleugnet werden können, ohne damit auch den Glauben zu verleugnen. Davon zu unterscheiden ist »nicht unfehlbare und auch nicht definitive, sondern bloß authentische« Lehre; bei ihr handelt es sich insbesondere um moralische Normen. Solche Lehre ist in der Weise verbindlich, daß, wer sie infragestellen will, die Beweislast zu tragen hat. Bei Vorlage eines unwiderleglichen Gegenbeweises hört solche Lehre auf, verbindlich zu sein.
 
 


 

1. Dies wird von den Konzilsakten bestätigt. Vgl. die offizielle Berichterstattung durch Vinzenz Gasser in der 86. Generalkongregation des I. Vatikanums am 16. Juli 1870: »Denn wenn wir sagen, die Definitionen des vom Lehrstuhl aus sprechenden Papstes seien aus sich unwiderruflich, sagen wir eben damit aus, daß der Grund der Unwiderruflichkeit in den Dekreten des Römischen Papstes selber [in ipsis decretis Romani Pontificis] liegt, nicht aber anderswoher, aus einer äußeren Bedingung wie der Zustimmung der Bischöfe, der Zustimmung der Kirche zu bestimmen ist.« (Mansi 52, 1317AB)

2. Vgl. II. Vatikanum, Lumen Gentium (LG) 25, 3: »Diesen Definitionen kann die Zustimmung der Kirche niemals fehlen.« Die Wahrheit von Glaubensaussagen kann nur im Heiligen Geist erkannt werden (vgl. 1 Kor 2,12). Das Geheimnis der Kirche besteht gerade darin, daß der Heilige Geist ein und derselbe »in Haupt und Gliedern«, nämlich in Christus und in den Christen ist (LG 7, 6). Vgl. auch bereits in der offiziellen Berichterstattung durch V. Gasser in der 84. Generalkongregation des I. Vatikanums am 11. 7. 1870 den Hinweis, daß der »consensus« der Kirche den Glaubensdefinitionen niemals fehlen werde (Mansi, 52 1214A). Es besteht also kein semantischer Unterschied zwischen »assensus« und »consensus«.

3. Dies ist der genaue Sinn der auch vom II. Vatikanum, LG 25, 3 wiederholten Formulierung des I. Vatikanums: »non ex consensu Ecclesiae«.

4. Anders L. Scheffczyk, Satz-Wahrheit und Bleiben in der Wahrheit. In: Zum Problem Unfehlbarkeit - Antworten auf die Anfrage von Hans Küng. Hg. v. K. Rahner. Freiburg-Basel-Wien 1971, 162: »Ein Satz kann formell nicht mit der logischen Qualität der Unfehlbarkeit ausgestattet werden. Ein Satz kann nur wahr oder falsch sein, nicht aber unfehlbar-wahr. Unfehlbarkeit ist formell eine Eigenschaft urteilender Subjekte. [...] Eine [...] formelle Steigerung der Wahrheit ist [...] logisch nicht möglich.« Aber hier wurde nicht erfaßt, daß Glaubenswahrheiten nicht über einen von ihnen getrennten Sachverhalt reden,, sondern erläutern, inwiefern in ihnen selber die Selbstmitteilung Gottes geschieht. Es ist zu beanspruchen, daß solche Aussagen, die sich überhaupt als Selbstmitteilung Gottes verstehen lassen, gar nicht unwahr sein können. Dadurch unterscheidet sich göttliche von menschlicher Wahrheit.

5. Gegen diese Deutung kann man nicht einwenden, daß die Konzilsväter keine derartige Vorstellung gehabt hätten. Zum einen gilt auch für die Interpretation von Konzilstexten eine Maxime, die vom deutschen Bundesverfassungsgericht für die Interpretation von Gesetzestexten entwickelt worden ist: »Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit der nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.« (BVerfGE 1, 299, 312) Zum anderen wird man den Konzilsvätern nicht zuschreiben dürfen, sie hätten die künftige Kirche auf ihren (der Konzilsväter) eigenen damaligen Bewußtseinsstand festlegen wollen; vielmehr war ihre Absicht, den Glauben der Kirche zukunftsfähig weiterzugeben. Die obige Auslegung des Textes ist mit diesem Anspruch völlig konsistent und kann sich auf den Wortlaut der vatikanischen Definition berufen.

6. Man verwechsle »Unterscheiden« nicht mit »Trennen«. Das Verhältnis von Vernunft und Glauben ist in Entsprechung zu den Kategorien von Chalkedon ein Verhältnis unterscheidender Inbeziehungsetzung im Gegensatz zu Trennen oder Vermischen.

7. Vgl. dazu R. Pannikar, Le sujet de l'infaillibilité - Solipsisme et vérification, in: L'infaillibilité - Son aspect philosophique et théologique. Actes du colloque organisé par le Centre International d'Etudes Humanistes et par l'Institut d'Etudes Philosophiques de Rome. Hg. v. E. Castelli. Rom bzw. Paris 1970, 423443. Pannikar geht von der Einsicht aus: »Zu sagen: ›p ist unfehlbar‹, ohne hinzuzufügen: ›und ich bin, wann ich dies behaupte, ebenfalls unfehlbar‹, läuft darauf hinaus, die Unfehlbarkeit nicht anzuerkennen.« (432)

8. Vgl. dazu P. Knauer, Die »katholische Kirche« subsistiert in der »katholischen Kirche« - Zur ökumenischen Tragweite von Lumen gentium 8, 2. In: »Den Armen eine frohe Botschaft« [FS F. Kamphaus]. Hg. v. J. Hainz, H.-W. Jüngling, R. Sebott. Frankfurt am Main 1997, 153-167.

9. Vgl. V. Gasser in der 84. Generalkongregation des I. Vatikanums am 11.7.1870: »Diese gegenwärtige Definition über den Gegenstand der [päpstlichen] Unfehlbarkeit enthält zwei Teile, die untereinander aufs engste zusammenhängen. Der erste Teil sagt den Gegenstand der Unfehlbarkeit nur allgemein aus: es sei eine Lehre über Glauben und Sitten. Der zweite Teil erläutert diesen Gegenstand zwar nicht im einzelnen, aber er umschreibt und bestimmt ihn durch den Vergleich mit der Unfehlbarkeit in den Definitionen der Kirche, so daß also ganz das gleiche zu bekennen ist vom Gegenstand der Unfehlbarkeit in den vom Papst aufgestellten Definitionen, was vom Gegenstand der Unfehlbarkeit in den Definitionen der Kirche zu bekennen ist. Diese beiden Teile müssen immer miteinander verbunden werden, wenn man den wahren Sinn unserer Definition haben will. Man darf also nicht bloß sagen, der Papst sei unfehlbar in Dingen des Glaubens und der Sitten, wenn er Lehren über Glauben und Sitten definiere, sondern diese Unfehlbarkeit sei die, deren sich die Kirche erfreut. Entsprechend würde man den Sinn der Definition auch dann überhaupt nicht erreichen, wenn man einfach sagte, der Papst sei unfehlbar, wenn er etwas als von der Kirche einfachhin zu halten definiert; sondern diese beiden Dinge müssen immer miteinander verbunden werden, damit man den gesunden und wahren Sinn unserer Formel erfaßt.« (Mansi 52, Sp. 1226D-1227A).

10. Vgl. V. Gasser, ebd.: »Den Vätern der Deputation schien in einmütiger Übereinstimmung gut, diese Frage wenigstens jetzt nicht zu definieren, sondern in dem Stand zu belassen, in dem sie sich befindet.« (Mansi 52, 1226C) Ferner: »In den Dingen jedoch, in denen es zwar theologisch sicher, aber bis jetzt nicht mit Glaubenssicherheit sicher ist, daß die Kirche unfehlbar sei, wird auch die Unfehlbarkeit des Papstes in diesem Dekret des heiligen Konzils nicht als mit Glaubensgewißheit zu glauben definiert. Aber mit der theologischen Gewißheit, mit der feststeht, daß diese anderen Gegenstände außerhalb der Dogmen des Glaubens unter den Bereich der Unfehlbarkeit fallen, welche die Kirche in ihren Definitionen besitzt, mit eben dieser Gewißheit ist zu halten und wird zu halten sein, daß sich auch auf diese Gegenstände die Unfehlbarkeit in den vom Römischen Papst aufgestellten Definitionen erstreckt.« (Mansi 52, 1227C)

11. Es handelt sich um einen ähnlichen Sachverhalt wie daß im Eherecht ein fundamentaler Ehewille nicht bereits dadurch aufgehoben wird, daß jemand eine seiner Konsequenzen nicht anerkennt (vgl. CIC, can. 1099f).

12. Es ist gegen diese Formulierung kein Einwand, daß das Glaubensbekenntnis mit den Worten »Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde« beginnt. Die Bedeutung dieser Worte ist: »Ich glaube an den Gott, der der Schöpfer der Welt ist.« Man müßte sonst die Lehre der Kirche bestreiten, daß es eine natürliche Gotteserkenntnis durch die Vernunft gibt (DH 3004) und daß sich Vernunft und Glaube nicht nur in der Erkenntnisweise, sondern auch im Gegenstand unterscheiden (DH 3015).

13. Vgl. Déclaration des Evêques de Belgique à propos de la loi relative à l'interruption de grossesse, Juni 1989, in: Documentation Catholique, n. 2009 (1990) 6: « Rappelons toutefois que lorsque la vie de la mère et / ou celle de l'enfant sont en danger, on peut poser les actes médicaux qui, par leur nature et dans l'intention du médecin, visent à sauver la vie qui est en péril, même si ses actes comportent quelque risque, non voulu et non désiré, et que l'on cherche à éviter par tous les moyens disponibles. »

14. Vgl. gegen eine solche Auffassung Irenäus v. Lyon, Contra haereses, 1, 10,2 [PG 7,553A]): »Da der Glaube ein und derselbe ist, hat keiner mehr, der viel über ihn sagen kann, und keiner hat weniger, der wenig über ihn sagen kann.«

15. Demgegenüber erläutert Irenäus v. Lyon (ebd. 1, 8,1 [PG 7,521AB]) in seiner Argumentation gegen die gnostische Sekte der Valentinianer den urchristlichen Häresiebegriff ganz anders: Es verhalte sich ähnlich, »wie wenn jemand bei einem schönen Bild eines Königs, das ein erfahrener Künstler aus wertvollen Steinen zusammengesetzt hat, die zugrunde liegende menschliche Gestalt auflöst, jene Steine versetzt und anders zusammenbringt und daraus die Figur eines Hundes oder eines Fuchses bildet, und auch das noch stümperhaft. Er behauptet dann, es handele sich dabei um jenes schöne Bild des Königs, und zum Beweis zeigt er auf die Steine, die der erste Künstler schön zum Bild des Königs zusammengestellt hatte.« Häresie besteht nicht darin, sich auf nur einige Glaubenswahrheiten zu beschränken, sondern das Ganze zu verfälschen. Ein Beispiel für solche Verfälschung des Ganzen wäre die Lehre der sogenannten »Deutschen Christen« während der Herrschaft des Nationalsozialismus.

16. Vgl. K. Rahner, Überlegungen zur Methode der Theologie. In: ders., Schriften zur Theologie 9. Zürich-Einsiedeln-Köln 1970, 79-126. Es gilt, den Glauben im Sinn einer »reductio in mysterium« (113), und zwar einer »reductio in unum mysterium« (121) zu erläutern.

17. Im Kommentar der Glaubenskongregation zu dem eingangs genannten Motupropio ist in n. 7 davon die Rede, daß dem Glaubensgut »nicht geoffenbarte oder noch nicht ausdrücklich als geoffenbart anerkannte Elemente hinzugefügt« werden könnten. Eine solche Formulierung ist höchst problematisch, denn das Glaubensgut verträgt keine Hinzufügungen. Ebenso ist mir in keiner Weise nachvollziehbar die folgende Unterscheidung »Bei Wahrheiten des ersten Absatzes beruht die Zustimmung direkt auf dem Glauben an die Autorität des Wortes Gottes (de fide credenda); bei Wahrheiten des zweiten Absatzes stützt sich die Zustimmung auf den Glauben an den Beistand, den der Heilige Geist dem Lehramt schenkt, und auf die katholische Lehre von der Unfehlbarkeit des Lehramtes (de fide tenenda).« (ebd.) Woher stammt die Unterscheidung zwischen »de fide credendum« und »de fide tendendum«? Ist der Beistand des Heiligen Geistes nicht damit identisch, daß das Wort Gottes vom Heiligen Geist erfüllt ist? Auch wenn behauptet wird, daß Heiligsprechungen und die Erklärung über die Ungültigkeit der anglikanischen Weihen zu den »definitiv zu haltenden« Aussagen gehören könnten (n. 11), wird man wie bei einigen anderen Beispielen eher Skepsis anmelden dürfen. Vgl. P. De Vooght, Les dimensions réelles de l'infaillibilité papale. In: L'Infaillibilité (o. c. Anm. 7), 131-158. Er weist insbesondere auf den historischen Jan von Pomuk hin, demgegenüber der heiliggesprochene Johannes Nepomuk nachweislich eine völlig erdichtete Gestalt ist. Es ist wünschenswert, auch aus der Kirchengeschichte zu lernen.

18. Vgl. E. Jüngel, Unterwegs zur Sache. München 1972, 283. In einem ökumenischen Treffen wurde mir einmal als Gegenbeispiel die Definition der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel durch Pius XII. im Jahr 1954 genannt. Aber auch hier handelt es sich keineswegs um einen Zusatz. Wenn Gottes Heil immer den ganzen Menschen mit Leib und Seele betrifft, kann man auch bei Maria keine Ausnahme machen.


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