Letzte Aktualisierung: 2. Juni 2020, PK
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Peter Knauer SJ

»Empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria«




Gedruckt in:

Klaus Hofmeister / Lothar Bauerochse (Hg.), Bekenntnis und Zeitgeist – Das christliche Glaubensbekenntnis neu befragt, Würzburg: Echter 1997 (ISBN 3-429-01938-9), 82–94.

ZUSAMMENFASSUNG:
Glaubensaussagen werden nicht nur anders erkannt, sondern haben auch einen anderen Gegenstand als Vernunftaussagen (DH 3015). Zum Verständnis der Formulierung des Glaubensbekenntnisses ist es hilfreich, die Aussage des Johannesprologs heranzuziehen, der von überhaupt allen Glaubenden eine Jungfrauengeburt aussagt: sie seien »nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren«. Ein naturwissenschaftliches Verständnis von Jungfrauengeburt in bezug auf Jesus Christus ist auch mit dem christologischen Dogma von Chalkedon (DS 301f) unvereinbar.
 
I.
Die Jungfrauengeburt gilt als eine der heute am schwersten zugänglichen Aussagen im Glaubensbekenntnis. Wie soll eine Frau ein Kind bekommen und doch jungfräulich bleiben? Dagegen gibt es manchen Einwand.

Im Lukasevangelium fragt Maria zwar, als ihr die Geburt eines Sohnes angekündigt wird: »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« (Lk 1,34) Aber sowohl Matthäus wie Lukas bringen einen Stammbaum Jesu, in welchem sie die Vorfahren nicht Marias, sondern Josefs nennen. In den Evangelien ist auch mehrfach problemlos von der Mutter Jesu »und seinen Brüdern« die Rede (Mt 12,46f; Lk 8,19f). Nach Lukas spricht Maria selbst ganz normal von Josef als dem Vater Jesu. Bei der Rückkehr von der Wallfahrt nach Jerusalem war der zwölfjährige Jesus seinen Eltern (Lk 2,41) verloren gegangen. Als sie ihn nach drei Tagen Suche im Tempel wiederfinden, sagt Maria: »Kind, warum hast du uns das getan? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.« (Lk 2,48)

Auffallend ist hier nur die Antwort Jesu: »Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?« (Lk 2,49) Er nimmt also das Wort »Vater« auf, aber gebraucht es in einem ganz anderen Sinn. Er spricht von seinem Vater im Himmel.
 

II.

Die Rede von einer Jungfrauengeburt erscheint uns heute als die Behauptung einer Durchbrechung von Naturgesetzen.

Aber auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die katholische Kirche ausdrücklich erklärt: Gottes Zuwendung zur Welt »nimmt der zeitlichen Ordnung in keiner Weise ihre Autonomie, ihre eigenen Ziele, Gesetze, Methoden und ihre eigene Bedeutung für das Wohl der Menschen« (AA 2,7). Und bereits im vergangenen Jahrhundert hatte das Erste Vatikanische Konzil die Eigengesetzlichkeit der geschaffenen Wirklichkeiten betont (vgl. DH 3019). Wird dies nicht alles wieder in Frage gestellt, wenn man auf der Lehre von der Jungfrauengeburt beharrt?

III.

In der Antike begegnet man immer wieder in den verschiedensten Mythen der Vorstellung, daß irgendein Königssohn von einer Jungfrau geboren sei. Sogar über den berühmten Philosophen Plato, den man den göttlichen Plato nannte, oder über Alexander den Großen hieß es, sie seien von einer Jungfrau geboren, ohne Zutun eines Mannes. Hat sich vielleicht das christliche Glaubensbekenntnis nur solchen Redeweisen angepaßt?

Gegen eine solche Ableitung aus griechischen oder ägyptischen Mythen spricht, daß im Neuen Testament nicht nur der Vater Jesu relativiert wird, sondern auch seine Mutter. So wird Jesus im Hebräerbrief mit dem Priester Melchisedek verglichen, der einst Abraham begegnete. Von Melchisedek heißt es hier: »Er, der ohne Vater, ohne Mutter und ohne Stammbaum ist, ohne Anfang seiner Tage und ohne Ende seines Lebens, ein Abbild des Sohnes Gottes.« (Hebr 7,3)
  

IV.

Der Haupteinwand gegen die Glaubensaussage von der Jungfrauengeburt ist, daß sie für den Glauben nicht zentral zu sein scheint. Muß es nicht in allen Glaubenssätzen um unser Heil gehen? Jesus ist der Sohn Gottes, der den Menschen Gemeinschaft mit dem Vater schenkt. Braucht man dazu die Jungfrauengeburt?
  

V.

Der Weg zum Verständnis des Satzes »Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria« führt nach meiner Überzeugung über den Anfang des Johannesevangeliums. Es heißt dort:

»Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns Wohnung genommen, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.« (Joh 1,9-14)

Hier wird von allen, die Jesus Christus annehmen, also auch von allen, die das Glaubensbekenntnis beten, gesagt: Sie sind »nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren«.

Nicht nur von Jesus, sondern von allen Glaubenden gilt, daß sie als Glaubende nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Aber niemand kommt auf den Gedanken, damit werde bestritten, daß die Glaubenden wie alle anderen Menschen in der Welt einen Vater und eine Mutter haben.

Angenommen, wir nehmen die Aussage ernst, daß alle Glaubenden »nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind«. Läge es dann nicht nahe, daß die Rede von der Jungfrauengeburt auch in bezug auf Jesus das gleiche bedeutet?

Tatsächlich gibt es in einer frühen Handschrift des Johannesevangeliums eine Textvariante, die diese Formulierung ausdrücklich auf Jesus selbst anwendet. Sie lautet: »Er gab ihnen Macht, Kinder Gottes zu werden, er, der nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren ist.«
 

VI.

Zum Verständnis des Glaubenssatzes von der Jungfrauengeburt Jesu ist es hilfreich, ihn im Zusammenhang des ganzen Glaubensbekenntnisses zu bedenken. Man kann das Glaubensbekenntnis in einem einzigen Satz zusammenfassen. An Jesus als den Sohn Gottes glauben bedeutet:

Wir sind von Gott mit der Liebe angenommen, in der er von Ewigkeit her ihn als seinen eigenen Sohn liebt.

Daß Jesus Gottes Sohn ist, versteht man nur dann in seinem wirklichen Sinn, wenn man bedenkt: Es geht dabei zugleich um das eigene Verhältnis zu Gott. Wir haben durch Jesus und nur durch ihn Gemeinschaft mit Gott. Der christliche Glaube bekennt, daß Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist existiert. Der Vater liebt den Sohn von Ewigkeit her. Diese ewige Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn ist selbst Gott, der Heilige Geist. Wir Menschen, so sagt die christliche Botschaft, sind in diese Liebe des Vaters zum Sohn hineingeschaffen.

Von der Dreifaltigkeit Gottes sprechen heißt also zugleich, von der eigenen Gemeinschaft mit Gott sprechen. Es bedeutet, in die Liebe des Vaters zum Sohn hineingenommen zu sein und deshalb so in Gott geborgen zu sein, daß man nicht mehr aus der Angst um sich selbst lebt. Sodann ist von der Menschwerdung des Sohnes die Rede, um zu erklären, woher man um diese Dreifaltigkeit Gottes weiß: nämlich durch Gottes Wort. »Wort« ist Kommunikation unter Menschen. »Wort Gottes« besagt, daß in mitmenschlichem Wort - und ein anderes Wort kennen wir überhaupt nicht – Gott selber sich den Menschen zugewandt hat. Der Begriff »Wort Gottes« ist letztlich nur unter dieser Bedingung sinnvoll: Der ursprüngliche Sprecher dieses Wortes ist zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott.

Das sind die Themen des christlichen Glaubensbekenntnisses. Es hat drei Hauptabschnitte. Zuerst spricht es vom Vater, dem Schöpfer der Welt. Dann ist vom Sohn die Rede, erst in der Ewigkeit Gottes, dann in seiner Sendung in unsere Zeit, in seiner Menschwerdung. Am Schluß geht es um den Heiligen Geist, wieder zunächst in der Ewigkeit Gottes und dann in seiner Sendung in unsere Zeit. Der Sohn Gottes hat in Jesus eine individuelle Menschennatur angenommen. Ganz entsprechend hat der Heilige Geist die Glaubenden in ihrer Verbundenheit untereinander zum Ort seiner Gegenwart gemacht (vgl. LG 8,1).

Aber diese Reihenfolge im Glaubensbekenntnis: »Vater – Sohn - Heiliger Geist« ist an einer Stelle durchbrochen. Vom Heiligen Geist, dem eigentlich erst der dritte Abschnitt des Glaubensbekenntnisses gewidmet ist, wird bereits im zweiten Abschnitt gesprochen, und zwar bei der Menschwerdung des Sohnes. Es handelt sich um unsere Stelle: »Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria«.

Man kann dies so deuten: An Maria erweist sich der Heilige Geist als die Liebe des Vaters zum Sohn und gerade so zugleich als die Liebe, mit welcher der Vater den Sohn in die Welt sendet.

Erst im dritten Abschnitt des Glaubensbekenntnisses ist dann ausführlich vom Heiligen Geist und der Kirche die Rede. In der Kirche erweist sich der Heilige Geist als die antwortende, zurückkehrende Liebe des Sohnes zum Vater. In sie sind die Glaubenden aufgenommen, in sie stimmen sie ein.

Es besteht also eine Entsprechung zwischen dem, was man im Glauben von Maria sagt, und dem, was dann über die Kirche gesagt wird. Als die Liebe des Vaters zum Sohn offenbart sich der Heilige Geist an Maria. Als die antwortende Liebe des Sohnes zum Vater ist er ausgegossen in die Herzen der Gläubigen. In ihm haben sie Zugang zum Vater. »Empfangen durch den Heiligen Geist« heißt also, daß der Heilige Geist die Liebe ist, mit welcher der Vater den Sohn sendet und ihn menschliche Natur annehmen läßt.

Auch die Rede von der Jungfrauengeburt muß von daher verstanden werden: Es geht um eine Glaubensaussage, deren Wahrheit man nur im Heiligen Geist erkennen kann. Sie hat einen anderen Inhalt und eine andere Bedeutung als eine naturwissenschaftliche Aussage.
 

VII.

Eine weitere Hilfe zum Verständnis bietet die christologische Glaubensaussage des Konzils von Chalkedon aus dem Jahre 451. Das Konzil sagt – und dies ist eine Art Notenschlüssel für die ganze christliche Botschaft –, daß Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, beides voneinander verschieden und beides aufeinander bezogen. Und es heißt dann, daß das Gottsein Jesu sich auf sein Menschsein nur in der Weise auswirkt, daß er »ohne Sünde« ist. Jesus ist in seinem Menschsein »in allem uns gleich, außer der Sünde«. (DH 301) Jesus steht also nicht unter der Macht der Angst um sich selbst, die sonst die Wurzel alles Bösen ist. Er befreit sogar auch andere aus der Macht ihrer Angst um sich selbst.

Die Konzilsaussage endet mit dem Hinweis, daß »dies von uns in jeder Hinsicht mit aller Genauigkeit und Sorgfalt festgestellt worden ist« (DH 303). Es gibt also keinen anderen Unterschied Jesu in seinem Menschsein uns gegenüber als den, daß er ohne Sünde ist. Einen solchen anderen Unterschied würde man aber behaupten, wenn man die Jungfrauengeburt naturwissenschaftlich verstehen wollte. Das widerspräche dem Konzil von Chalkedon. 

VIII.

Es ist an dieser Stelle notwendig, allgemein über das Verhältnis von Glauben und Vernunft nachzudenken. Das Erste Vatikanische Konzil hat im letzten Jahrhundert mit großer Betonung eine richtungweisende Aussage gemacht, für die es sich auf die ständige Tradition der Kirche beruft:

Vernunft und Glauben sind zwei verschiedene Erkenntnisordnungen. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Erkenntnisweise, sondern auch in ihrem Inhalt oder Gegenstand. Der Unterschied in der Erkenntnisweise besteht darin, daß wir in der Vernunfterkenntnis mit unserer eigenen Kraft erkennen. Der Glaube dagegen ist das Erfülltsein vom Heiligen Geist. Im Inhalt unterscheiden sich Vernunft und Glauben so: Mit der Vernunft erkennen wir, was wir an der Welt selber ablesen können. Im Glauben erkennen wir, was wir nur durch das Wort Gottes erfahren können: Unser Geborgensein in der Liebe Gottes. (Vgl. DH 3015)

Glaube und Vernunft haben also verschiedenen Inhalt. Ein Glaubensgegenstand kann nicht mit der Vernunft erkannt werden, und umgekehrt kann kein Vernunftgegenstand jemals zum Glaubensgegenstand werden. Gegenstand unserer Vernunft ist die ganze weite Welt, die gesamte Wirklichkeit unserer Erfahrung einschließlich ihres Geschaffenseins. Alles von Gott Verschiedene ist Gegenstand unserer Vernunft und kann nicht geglaubt werden.

Aber was ist dann noch Gegenstand des Glaubens?

Gegenstand des Glaubens ist allein Gottes Selbstmitteilung, nämlich daß wir in die ewige Liebe des Vaters zum Sohn aufgenommen sind. Diese Liebe ist der Heilige Geist. Alle sonstigen Glaubensaussagen müssen sich dadurch ausweisen, daß sie darauf zurückführbar sind. Gottes Liebe zu den Menschen ist ursprünglich die Liebe des Vaters zu seinem Sohn. Deshalb hat sie ihr Maß nicht an irgend etwas Geschaffenem. Sie ist nicht wechselhaft, sondern ewig und unbedingt. Nur deshalb kann man sich im Leben und im Sterben auf sie verlassen. Weil sie nicht an der Welt ablesbar ist, kann sie auch nicht mit der Vernunft erkannt werden. Gottes Liebe kann nur in der Weise offenbar werden, daß sie in einem Wort mitgeteilt wird und man sie sich glaubend gesagt sein läßt.

Wir können um unsere Gemeinschaft mit Gott nur aufgrund der Menschwerdung des Sohnes wissen. Denn nur weil Gott Mensch geworden ist, gibt es im strengen Sinn »Wort Gottes«. Ein »Wort« ist ja etwas, was ein Mensch einem anderen sagt.

Daß Jesus ein wahrer Mensch war, ist eine historische Aussage, deren Wahrheit bereits für die Vernunft erreichbar ist. Glaubensaussage dagegen ist, daß dieser Mensch Gottes Sohn ist und daß wir allein durch ihn Gemeinschaft mit Gott haben können und haben. Glaubensaussage ist, daß dieser Glaube das Erfülltsein vom Heiligen Geist bedeutet.

Ganz ähnlich gilt: Daß es die christliche Botschaft wirklich gibt, ist ein Sachverhalt, der bereits der Vernunft zugänglich ist. Aber die Wahrheit dieser Botschaft ist nur dem Glauben erkennbar.

Der heilige Paulus schreibt im ersten Korintherbrief: »Niemand kann sagen: Jesus ist Herr, außer im Heiligen Geist.« (1 Kor 12,3) Pilatus konnte nicht sehen, daß dieser erbärmliche und geschundene Mensch, der vor ihm stand, der Sohn Gottes von Ewigkeit her war. Dies wird als wahr nur im Glauben erkannt.

Der Glaube ist also etwas völlig anderes, als das, was man sonst manchmal auch als Glauben bezeichnet, was aber kein Glaube ist: beliebige Dinge fest für wahr zu halten oder auch sich mit bloßen Vermutungen an Stelle wirklichen Wissens zu begnügen. Man versteht den Satz »empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria« nur dann recht, wenn man ihn als eine Aussage über die Selbstmitteilung Gottes erfaßt. Man muß sich also entscheiden. Denn nur eines von beidem ist möglich: Handelt es sich um eine Vernunftaussage über einen naturwissenschaftlichen und damit außerhalb des Glaubens erkennbaren Sachverhalt? Oder geht es tatsächlich um eine Glaubensaussage genauso wie die von der Gottessohnschaft Jesu, die ja auch naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht zugänglich ist?

Hier kommen wir wieder auf die Bedeutung der Formulierung des Johannesprologs zurück. Sowohl von Jesus wie von allen an ihn Glaubenden gilt, daß sie nicht aus dem Fleisch, nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen eines Mannes geboren sind.

Das bedeutet, daß weder die Gottessohnschaft Jesu noch unser Erfülltsein von seinem Heiligen Geist ein Resultat irdischer Geschichte ist. Der Glaube ist nicht angeboren und wird auch nicht durch Abstammung vererbt. Auch die Gottessohnschaft Jesu ist nicht aus der Reihe seiner Vorfahren zu erklären und kommt nicht durch das Zutun eines Mannes zustande. Sie kann nicht einmal auf Maria zurückgeführt werden.

Entsprechend kann die Gotteskindschaft der Glaubenden auf keine Weise irdisch, etwa aus der biologischen Herkunft, erklärt werden. In diesem Sinn gilt sowohl von Jesus, daß er auf jungfräuliche Weise geboren wurde, wie auch von den Glaubenden, daß sie als Glaubende nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.

IX.

Es gibt aber noch Einwände gegen diese einfache, wenn auch vielleicht ungewohnte Erläuterung. Wurde nicht die Jungfrauengeburt immer anders verstanden?

In der Geschichte des Christentums hat es das immer gegeben, daß zutreffende Aussagen dennoch mißverstanden wurden. Als die Evolutionslehre aufkam, meinte man zunächst, sie widerspreche der traditionellen Lehre von der Schöpfung. Dabei war nur der Begriff »Schöpfung« nicht gründlich genug bedacht worden. Denn alles in unserer Welt, also auch die Evolution, geht restlos darin auf, ohne Gott gar nicht sein zu können.

X.

Gegen die Deutung vom Johannesprolog her wird zuweilen von Fachtheologen eingewandt, sie sei zu spiritualisierend, sie verstehe das Heil nicht »realistisch« genug. Wir glauben doch, so sagt man, daß der Sohn Gottes wirklich Menschennatur angenommen habe. Er habe Fleisch angenommen. Gottes Handeln sei doch kein bloßer Gedanke, sondern müsse sich physisch ausgewirkt haben. Deshalb müsse man die Jungfrauengeburt für geschichtlich halten. Sie müsse unbedingt biologisch verstanden werden.

Zu antworten ist: Erstens fiele der Vorwurf der Spiritualisierung auf den Evangelisten Johannes selber zurück, auf den sich der Einwand doch gerade beruft. Zweitens ist auch die Aussage über alle Glaubenden, daß sie nicht aus dem Wollen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind, kein bloßer Gedanke. Vielmehr geht es um eine Wirklichkeit, die sich auf uns als wirkliche geschichtliche Menschen bezieht. Wir, wirkliche Menschen aus Fleisch und Blut, sind als Glaubende ebenso wirklich aus Gott geboren.

Darin entsprechen die Glaubenden der Tatsache, daß der geschichtliche Mensch Jesus von Nazaret Gottes Sohn ist und man allein durch ihn Gemeinschaft mit Gott hat. Jesus ist der Sohn Gottes, wir denken dies nicht bloß von ihm. Aber nach der Glaubenslehre des Konzils von Chalkedon ändert dies nichts an seinem wahren Menschsein. Er ist nicht zu einem Übermenschen geworden.

In allen Glaubensaussagen geht es um Gottes Selbstmitteilung an seine Schöpfung, die der Ort der Geschichte ist. In diesem Sinn geht es immer um Geschichte. Aber daraus folgt weder eine physische, naturwissenschaftlich feststellbare Veränderung des wahren Menschseins Jesu noch eine physische Veränderung unserer Menschennatur. Mein Leib und meine Seele bleiben dieselben, auch wenn ich glaube und getauft werde.

Es ist ähnlich wie bei der Eucharistie. In ihr geschieht, daß der Glaube so von Jesus selbst lebt wie unser irdisches Leben von Speise und Trank. Und wir sagen dies nur von dem Brot und dem Wein aus, über welche die Worte des Abendmahlsberichts gesprochen worden sind: »Das ist mein Leib, das ist mein Blut.« Die eucharistischen Worte lassen die Wirklichkeit dieses konkreten geschichtlichen Sakraments erkennen.

Der Glaube bezieht sich immer auf geschöpfliche Wirklichkeit, deren Existenz nicht geglaubt wird, sondern der Vernunft zugänglich ist. Aber in bezug auf diese geschaffene Wirklichkeit wird Gottes Selbstmitteilung ausgesagt. Sie ist als wahr allein dem Glauben, dem Erfülltsein vom Heiligen Geist, zugänglich.

Die in der Eucharistiefeier geschehende Wesensverwandlung kann nicht von einem Chemiker durch Analyse festgestellt werden. Wer dies meinte, würde verkennen, daß ein Glaubensgegenstand inhaltlich etwas anderes ist als ein Gegenstand der Vernunft. Aber damit ist weder unser Verständnis von Eucharistie noch das von Jungfrauengeburt ein rein spirituelles, so daß man ihm mit Recht den Vorwurf machen könnte, es sei nicht realistisch genug. Der wahre Heilsrealismus besteht darin, daß wir in bezug auf ein wirkliches geschichtliches Geschöpf Gottes Selbstmitteilung bekennen. Auch der Mensch Jesus bleibt, wiewohl er von vornherein in das Personsein des ewigen Sohnes Gottes hineingeschaffen ist, ein ganz und gar wirklicher Mensch. Physisch hat sich nichts an ihm geändert. Als Säugling mußte man ihn in Windeln wickeln wie jedes andere Kind.

So verhält es sich mit dem Wort Gottes überhaupt. Das Wort Gottes ist das mitmenschliche Wort der Weitergabe des Glaubens. Zum Beispiel besteht Wort Gottes darin, daß eine Mutter ihrem Kind den Glauben weitersagt. Das ist ein wirkliches menschliches Wort ohne irgendwelche Sondereigenschaften. Es ist nicht lautstärker und nicht wohlklingender als andere menschliche Worte. Auch wer stottert, kann beanspruchen, daß sein Wort der Weitergabe des Glaubens wirklich Gottes Wort ist. Gott erfüllt durch dieses mitmenschliche Wort den, der es glaubt, mit dem Heiligen Geist.

In der Eucharistie sind dieses Brot und dieser Wein der gegenwärtige Christus. Eine unsichtbare, nur dem Glauben zugängliche Wirklichkeit ist mit der sichtbaren Wirklichkeit verbunden. An deren Sichtbarkeit und Geschichtlichkeit hat sich nichts geändert. Das Brot schmeckt wie Brot, und der Wein schmeckt immer noch wie Wein. Und doch lebt man, wenn man dieses Brot ißt und diesen Wein trinkt, wirklich von Christus selbst.

Ähnliches gilt von der Jungfrauengeburt. Die Gottessohnschaft ist in bezug auf diesen wirklichen Menschen auszusagen. Sie läßt sich nicht aus seiner irdischen Vorgeschichte erklären. Ebenso sagen wir aber auch von uns aus, daß wir als Glaubende nicht Kinder unserer Eltern, sondern Gottes Kinder sind. Unsere Gemeinschaft mit Gott im Glauben ist unmittelbar.

XI.

Eine Jungfrauengeburt, die naturwissenschaftlich verstanden werden könnte, ist also auszuschließen. Doch bedeutet dies nicht eine Einschränkung der Allmacht Gottes? Kann Gottes Allmacht nicht, wo immer sie will, den natürlichen Lauf der Dinge unterbrechen? Man kann doch Gott nicht verbieten, Wunder zu tun. Manche Theologen sagen: Gott ist zwar unser Schöpfer, aber bei der natürlichen Zeugung eines Menschen durch Mann und Frau bediene er sich ihrer als Zweit- oder Zwischenursachen. Bei Jesus sei die zweitursächliche Vermittlung durch einen Vater weggefallen. Gott habe unmittelbar als Schöpfer eingegriffen.

In einer solchen Behauptung wird verkannt, daß jede geschaffene Wirklichkeit in allem, worin sie sich vom Nichts unterscheidet, ohne das Schöpferwirken Gottes gar nicht sein kann. Für eine »zweitursächliche Vermittlung« bleibt grundsätzlich kein Raum, weder bei der menschlichen Natur Jesu, noch bei irgendeinem anderen Geschöpf. Im Verhältnis des Geschöpfes zum Schöpfer gibt es keine Zwischenursachen. Man darf Schöpfung nicht auf den Urknall am Anfang einschränken. Von einem Auto wissen wir genau, daß es aus einer Fabrik kommt. Aber das ist kein Gegensatz zu der Aussage, daß auch die Werke unserer Technik Gott gegenüber – wie alles andere auch – aus dem Nichts geschaffen sind. In allem, worin sie sich vom Nichts unterscheiden, sind sie solcher Art, daß sie ohne Gott nicht wären. Für alles in unserer Welt und in jeder Beziehung gilt, daß es ohne Gott nicht sein kann. Dies läßt sich nicht noch steigern.

Der fromm klingende Einwand denkt nicht hoch genug von der Allmacht Gottes. Gottes Allmacht bedeutet nicht, daß er alles Mögliche tun könnte. Wir wüßten dann zwar nie, ob Gott dies auch tatsächlich tun wird. Aber jedenfalls brauchten wir unserer Phantasie keine Zügel anzulegen. Wir müßten nicht alles, sondern nur das Ungewöhnliche auf Gott zurückführen. Die normalen Dinge hingen dann weniger von Gott ab.

Die Allmacht Gottes ist anders zu verstehen. Gott ist in überhaupt allem, was geschieht, mächtig. Wie könnte auch sonst die Geborgenheit in der Gemeinschaft mit Gott unsere Angst um uns selber entmachten? Es handelt sich nicht um eine bloß mögliche, sondern um eine immer wirksame Allmacht. Sie umfaßt die Gesamtheit der Schöpfung. Alles, was existiert, geht restlos in seiner Abhängigkeit von Gott auf. Im Matthäusevangelium heißt es: »Kein Sperling fällt zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.« (Mt 10,29f) Eine noch größere Abhängigkeit kann es nicht geben. Auch die Menschwerdung des Sohnes Gottes besteht nicht darin, daß die menschliche Natur Jesu gesondert von Gott geschaffen wurde, sondern sie ist in der gleichen Weise restlos geschaffen wie unsere auch. Sonst wäre Jesus in seinem Menschsein nicht »in allem uns gleich, außer der Sünde«.
  

XII.

Ein letzter Einwand: Geht es nicht im Glauben immer um das, was die Vernunft übersteigt? Muß die Vernunft nicht in ihre Grenzen verwiesen werden?

Darauf hat das Erste Vatikanische Konzil so geantwortet: Obwohl der Glaube die Vernunft übersteigt, kann zwischen Glauben und Vernunft nie ein echter Widerspruch bestehen. Vernunfteinwände gegen den Glauben müssen immer mit Vernunft beantwortet werden können. Solange das nicht gelingt, ist die betreffende Glaubensaussage auch noch nicht im Sinn der Kirche verstanden (vgl. DH 3017).

Zum Schluß diese Zusammenfassung: Manche Christen meinen, man müsse den Satz von der Jungfrauengeburt aus dem Glaubensbekenntnis streichen. Dazu besteht kein Anlaß. Zu streichen ist nur das Mißverständnis, die Jungfrauengeburt sei naturwissenschaftlich gemeint. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine Wahrheit, die – wie von Jesus selbst als dem »Urheber und Vollender des Glaubens« (Hebr 12,2) – so von überhaupt allen Glaubenden gilt: Als Glaubende sind wir nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren.

 

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