Letzte Aktualisierung:  20. Mai  2013, PK
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Peter Knauer SJ

Wort-Gottes-Theologie und Christologie
 
Link zu Predigten von Heinz-Benno Eich SJ: http://www.die-predigt.de
Der Begriff »Wort Gottes« kommt in fast jedem christlichen Gottesdienst vor. Er wird weithin problemlos verwandt und rezipiert. Aber er macht manchen Theologen Schwierigkeiten und läßt sie sogar ratlos. Zum Beispiel können nach der »Fundamentaltheologie« von Heinrich Fries (Graz 1985) alle theologischen Inhalte besser unter dem formalen Begriff der »Offenbarung« zusammengefaßt werden. Diesen Begriff zieht er dem von »Wort Gottes« vor, der »erklärungsbedürftiger« sei: »Ist es das Wort, das Gott selbst spricht – und wie ist das vorstellbar? -, oder ist es das authentische Wort, das über Gott gesprochen wird? Aber kommt im Begriff des Wortes genügend zum Ausdruck, daß es im Glauben und in der Theologie vor allem auch um Taten, Geschichte, um Ereignisse und Person geht?« (154) In diesen Fragen wird zusammengefaßt, warum man oft mit dem Begriff »Wort Gottes« im Grunde nicht viel anfangen kann. Ist er nicht viel zu abstrakt und läuft auf eine Art Intellektualisierung des Glaubens hinaus, welche die Erfahrung als das Entscheidende ausklammert?

In gleicher Weise problematisch erscheint der "Wort Gottes«-Begriff auch dem evangelischen Theologen Wolfhart Pannenberg. Er meint deshalb, es sei »wohl eher von einer Präzisierung der Wortgottesvorstellung durch den Offenbarungsbegriff zu sprechen als umgekehrt« (Systematische Theologie, Band I, Göttingen 1988, 280).

Tatsächlich ist, allerdings in einem ganz anderen Sinn, der Begriff »Wort Gottes« nicht so selbstverständlich, wie man oft annimmt.

Im folgenden soll zunächst die Nichtselbstverständlichkeit von »Wort Gottes« erläutert werden. Gewöhnlich versteht man unter »selbstverständlich« das, was man mehr oder minder problemlos »von selber« versteht und zu dessen Verständnis man keiner weiteren Hilfe bedarf. Doch in diesem Sinn ist die Rede von »Wort Gottes«, wie gezeigt werden soll, alles andere als selbstverständlich.

Sodann soll erläutert werden, wie das »Wort Gottes« in einem ganz anderen Sinn dennoch »selbstverständlich« ist: Nur es selber kann sich verständlich machen. Es soll also gezeigt werden, daß die Behauptung der christlichen Botschaft, »Wort Gottes« zu sein, überhaupt erst durch ihren konkreten Inhalt verständlich wird und auf Einwände antworten kann.

[187>]Unter »Wort« versteht man eine Weise der Kommunikation unter Menschen. Die Rede von »Wort Gottes« hört nur unter der Voraussetzung auf, problematisch zu sein, daß Gott selber als Mensch begegnet.

Nur auf den ersten Blick scheint damit eine Schwierigkeit mit einer noch größeren Schwierigkeit erklärt zu werden. Erläutert die christliche Botschaft auch, wie man verständlich von einer Menschwerdung Gottes sprechen kann? Nach dem christologischen Dogma müssen Menschsein und Gottsein Jesu »ohne Vermischung und ohne Trennung« ausgesagt werden. Nur wenn sich auch dies verständlich machen läßt, wird alles miteinander verständlich werden.

Es wird sich erweisen, daß unsere Aussagen in bezug auf das »Wort Gottes« die gleiche Struktur haben wie die unmittelbar christologischen Aussagen. Wie wir von Jesus das wahre Menschsein und das wahre Gottsein aussagen, so sagen wir in ganz ähnlicher Weise vom »Wort Gottes«, daß es ein wirkliches menschliches Wort ist, geschaffen, irdisch und geschichtlich, und daß doch die Wahrheit dieses Wortes göttlich, ewig und unbedingt ist. Wort und Wahrheit sind nicht miteinander vermischt, sondern voneinander unterschieden; und sie sind nicht voneinander getrennt, sondern miteinander verbunden. Vor allem wird die göttliche Wahrheit dieses Wortes nicht etwa dadurch gemindert oder relativiert, daß sie in schlichtem mitmenschlichem Wort weitergesagt wird. Auch heutige Glaubensverkündigung versteht sich mit vollem Recht als Gottes eigenes Wort. Wir haben nur so Zugang zu Jesus selbst, daß uns zunächst die heute ergehende Glaubensverkündigung in unserem Herzen gewiß macht.

Die christologischen Aussagen werden erst dann wirklich verständlich, wenn sie von dieser Bedeutung von »Wort Gottes« her verstanden werden bzw. wenn auch das Geschehen von »Wort Gottes« selbst bereits als Glaubensgeheimnis erfaßt wird.
 

I. Die Nichtselbstverständlichkeit der Rede von »Wort Gottes«

Die christliche Botschaft begegnet mit der Behauptung, »Wort Gottes« zu sein. Sie bittet um Gehör, weil sie sich auf ein Grundproblem aller Menschen beziehe: Was hindert uns Menschen, uns menschlich anstatt unmenschlich zu verhalten? Worin besteht die Wurzel aller Unmenschlichkeit, und was ist dieser Wurzel gewachsen?

Wir Menschen sind verwundbar und vergänglich. Deshalb haben wir Angst um uns selbst und suchen uns um jeden Preis zu sichern. Diese »Furcht vor dem Tod« ist nach der christlichen Botschaft die Wurzel aller einzelnen Sünden (vgl. [188>]Hebr 2,15). Die christliche Botschaft behauptet nun, die Menschen aus der Macht der Angst um sich selbst »erlösen« zu können, indem sie die Gewißheit der Gemeinschaft mit Gott mitteilt, die stärker als alle Todesfurcht ist.

Wer einer solchen Botschaft, die behauptet, »Wort Gottes« zu sein, zum erstenmal begegnete und sie verstehen wollte, müßte wohl zu allererst diese beiden Fragen stellen: Wer ist »Gott«, dessen Wort die Botschaft zu sein beansprucht? Und wie kann diese Botschaft überhaupt von Gott reden, wenn sie gleichzeitig zu sagen pflegt, er falle gar nicht unter unsere menschlichen Begriffe?

Die christliche Botschaft führt die Bedeutung des Wortes »Gott« durch die Aussage ein, daß alle Wirklichkeit unserer Erfahrung »aus dem Nichts geschaffen« sei. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf den Anfang der Welt. Sie bedeutet vielmehr: Könnten wir unser gegenwärtiges Geschaffensein beseitigen, dann bliebe nichts von uns übrig. Für »aus dem Nichts geschaffen« kann man auch »restlos geschaffen« sagen. Wir sprechen nur dann wirklich von Gott, wenn wir erfassen, daß schlechterdings alles in unserer Welt solcher Art ist, daß es ohne ihn nicht wäre. Gott ist, »ohne wen nichts ist«. Aber von diesem Gott gilt, daß er »in unzugänglichem Licht wohnt; kein Mensch hat ihn je gesehen noch vermag er ihn zu sehen« (1 Tim 6,16). Er ist nicht nur solcherart, daß nichts Größeres als er gedacht werden kann, sondern er ist größer als alles, was wir überhaupt denken können (Anselm v. Canterbury).

Wir wissen also nicht erst, wer Gott ist, um dann in einem zweiten Schritt zu sagen, daß er die Welt geschaffen habe; sondern die einzige Möglichkeit, überhaupt sinnvoll von Gott zu sprechen, besteht in der Anerkennung dessen, daß nichts in der Welt ohne ihn auch nur sein könnte.

Wir können auch nicht von der Welt auf Gott schließen, sondern allenfalls von der Welt auf ihre Geschöpflichkeit, und zwar folgendermaßen: Die Welt läßt sich in ihrer Eigenwirklichkeit als Einheit von Gegensätzen erst dann widerspruchsfrei beschreiben, wenn wir sie als »restloses Bezogensein auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...« aussagen. Das Woraufhin dieser Beziehung, in der die Welt völlig aufgeht, nennen wir »Gott«. Aber dann wird die Welt nicht durch Gott erklärt, als sei er sozusagen der Schlußstein unserer eigenen metaphysischen Synthese, sondern sie wird allein durch ihre eigene Geschöpflichkeit erklärt, die ihr Hinweischarakter auf Gott ist.

Die Geschöpflichkeit der Welt kann als solche kein Glaubensgegenstand sein, sondern ist Gegenstand der Vernunft. Denn wenn wir geschaffen sind, dann sind wir es in genau dem Maß, in welchem uns Sein zukommt. Unser Sein und unser Geschaffensein sind ein und dasselbe. Wenn unser eigenes Sein der Vernunft zugänglich ist, dann muß damit auch unser Geschaffensein, wenn es denn überhaupt besteht, der Vernunft zugänglich sein. Alles von Gott Verschiedene ist [189>]bloße Welt und wird nicht geglaubt, sondern ist Gegenstand unserer Erfahrung und unseres Wissens (Gegenstand des Glaubens wird erst Gottes Selbstmitteilung sein, die ihr Maß nicht an der Welt hat).

Unser systematisches Denken bleibt damit ganz auf der Seite der Welt. Gott selbst ist kein Bestandteil unseres Systems. Es ist deshalb auch grundsätzlich unmöglich, irgendwelche Sachverhalte in der Welt von Gott herzuleiten.

Thomas von Aquin schreibt dementsprechend: »Da Gott außerhalb der gesamten Ordnung des Geschaffenen steht und alle Geschöpfe auf ihn hingeordnet sind, nicht aber umgekehrt, so ist manifest, daß die Geschöpfe sich real auf Gott selbst beziehen. Aber in Gott gibt es keinerlei reale Relation von ihm auf die Geschöpfe, sondern nur eine gedachte (secundum rationem tantum) Relation, insofern nämlich die Geschöpfe sich auf ihn beziehen.« (S. th. I q13 a7 c)

Wir können deshalb von Gott allein »analog«, nämlich hinweisend sprechen. Dies bedeutet einen völlig neuen Gebrauch unserer Begriffe. Als restlos auf Gott bezogen ist die Welt ihm ähnlich (deshalb können wir in der via affirmativa positive Aussagen in bezug auf Gott machen); als restlos von ihm verschieden ist sie ihm gerade in ihrer Ähnlichkeit ihm gegenüber zugleich unähnlich (in der via negativa bestreiten wir deshalb in bezug auf Gott jede welthafte Begrenzung). Und weil ihr restloses Bezogensein auf ihn einseitig ist, kann keine Ähnlichkeit in der umgekehrten Richtung ausgesagt werden (darin ist die via eminentiae begründet: wenn wir Gott absolute unendliche Seinsfülle zuschreiben, bleibt dies noch immer wie nichts im Vergleich zu ihm selbst). Durch die Einseitigkeit der Ähnlichkeit unterscheidet sich das christliche Gottesverständnis von jeder Projektion. Bereits das IV. Laterankonzil hat gelehrt, »daß zwischen Schöpfer und Geschöpf keine Ähnlichkeit ausgesagt werden kann, ohne daß zwischen ihnen eine noch größere Unähnlichkeit auszusagen ist« (DH 806).

So bleibt tatsächlich auf der einen Seite gewahrt, daß Gott nicht unter unsere Begriffe fällt und wir auf der anderen Seite dennoch von ihm genau und unüberbietbar richtig sprechen können.

Die von Thomas behauptete Einseitigkeit der Relation des Geschaffenen auf Gott steht allerdings nicht nur in völligem Widerspruch zu unserer spontanen Vorstellungsweise. Sie erweist sich darüber hinaus bei näherem Zusehen geradezu als der gewichtigste Einwand gegen den christlichen Glauben, in dem es doch um unsere Gemeinschaft mit Gott geht. Deshalb wird eine solche Lehre oft gerade von Theologen und gerade weil ihnen so sehr am Glauben liegt, unbesehen und von vornherein abgelehnt.

Stellt nicht die Rede von der Einseitigkeit der realen Relation des Geschaffenen auf Gott alles in Frage, was die christliche Botschaft sonst noch behauptet? Wie kann man dann noch von Wort Gottes oder gar von Gemeinschaft mit Gott [190>]sprechen? Beides ist jedenfalls nicht mehr in dem Sinn »selbstverständlich«, daß man es »von selber« versteht.

Wohl erst von hier aus kann man auch die so verzweifelt klingende Frage nachvollziehen, die an der Wurzel der Theologie Martin Luthers steht: »Wie kriege ich einen gnädigen Gott?« Das Recht dieser Frage liegt darin begründet, daß die von Thomas behauptete Einseitigkeit der realen Relation des Geschaffenen auf Gott auf den ersten Blick jede wirkliche Gemeinschaft eines Geschöpfes mit Gott auszuschließen scheint. Keine geschaffene Qualität reicht aus, Gemeinschaft mit Gott zu begründen. Denn Gemeinschaft mit Gott müßte doch wohl in einer gegenseitigen Beziehung bestehen.
 

II. Die christliche Botschaft macht sich selber als »Wort Gottes« verständlich

Die christliche Botschaft versteht sich als die Weise, wie Gott uns anspricht, und das heißt zugleich, uns liebevoll zugewandt ist. Durch ihren Inhalt erläutert sie, wie sie selbst tatsächlich Gottes Wort und damit seine nunmehr offenbare liebevolle Zuwendung zu uns sein kann.

1) Sie erkennt auf der einen Seite an, daß die geschaffene Welt restlos in einer wegen dieser Restlosigkeit völlig einseitigen Beziehung auf Gott aufgeht. Die Welt kann nicht darüber hinaus ihrerseits konstitutiver Terminus einer Beziehung Gottes auf sie sein. Anderseits sagt die christliche Botschaft, es gebe dennoch eine Beziehung Gottes zur Welt, die allerdings nicht an der Welt ihren konstitutiven Terminus hat. Gott sei der Welt vielmehr mit derjenigen Liebe zugewandt, in der er von Ewigkeit her Gott zugewandt sei, nämlich als Vater dem Sohn.

Nach der christlichen Botschaft läßt sich eine reale Beziehung Gottes auf die Welt nur unter der Bedingung aussagen, daß sie von göttlicher und nicht von geschaffener Realität ist. Sie muß als eine Relation ausgesagt werden, die in Gott von Ewigkeit her besteht und in welche die Welt hineingeschaffen worden ist. Diese Liebe des Vaters zum Sohn, in welche die Welt aufgenommen ist, ist der Heilige Geist. Sie ist ewig und unbedingt.

Von der Dreifaltigkeit Gottes, nämlich daß es in Gott drei untereinander verschieden vermittelte Weisen der Selbstpräsenz gibt, spricht die christliche Botschaft (wohlgemerkt nur mit hinweisenden Begriffen) genau deshalb, um überhaupt eine Beziehung Gottes auf die Welt aussagen zu können, die gleichwohl nicht an der Welt ihr Maß hat und auch nicht von irgendwelchen Bedingungen abhängig ist.

[191>]2) Eine Relation Gottes auf die Welt, die nicht an der Welt ihr Maß hat, kann nun aber nicht an der Welt abgelesen werden. Wie können wir dann überhaupt um sie wissen?

Auch auf diese Frage antwortet die christliche Botschaft in einem zweiten Schritt ebenfalls durch ihren Inhalt. Es bedarf dafür des Wortes. Was man an der Welt nicht ablesen kann, muß zu ihr dazugesagt werden.

Die christliche Botschaft beruft sich auf die Menschwerdung des Sohnes. Der Sohn Gottes hat menschliche Natur angenommen, um uns in menschlichem Wort sagen zu können, daß wir an seinem Verhältnis zum Vater teilhaben. Dies ist der innere Grund der Menschwerdung.

An Jesus als den Sohn Gottes glauben bedeutet deshalb, aufgrund seines Wortes gewiß zu sein, daß Gottes Liebe zu ihm zugleich die Liebe ist, mit der wir angenommen sind. Dieser Satz ist die Zusammenfassung des ganzen christlichen Glaubens, in der überhaupt alle christlichen Glaubensaussagen von vornherein impliziert sind:

Sich in dieser Liebe Gottes, welche die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn ist, geborgen zu wissen, bedeutet die Befreiung aus der Macht der Angst, die man um sich selbst hat. Denn wenn Gott der ist, ohne den nichts ist, dann ist er in allem, was geschieht, mächtig. Deshalb kommt keine Macht der Welt mehr gegen die Gemeinschaft mit ihm an. Nicht einmal der Tod vermag aus der Gemeinschaft mit Gott herauszureißen (vgl. Röm 8,38f).

Diese Gemeinschaft mit Gott muß uns in einem menschlichen Wort mitgeteilt werden, das sich auf Jesus als seinen Ursprung beruft. Um dies verständlich zu machen, sagt die christliche Botschaft: Der Mensch Jesus ist in seiner menschlichen Selbstpräsenz hineingeschaffen in diejenige göttliche Selbstpräsenz, welche die zweite Person in Gott ausmacht. So kann er als Mensch zu uns sprechen und uns das sagen, was Gott uns sagen will.

Jesu Kreuzestod ist als das Martyrium für seine Botschaft zu verstehen. Jesus wurde gekreuzigt, weil er für seine Botschaft Anhänger gefunden hatte. Dadurch wurde die Herrschaft derer in Frage gestellt, die durch das Mittel der Angst andere zu Werkzeugen ihrer Unmenschlichkeit machen wollten. Die Erlösung besteht darin, daß Menschen aufgrund seiner Botschaft, die er mit seinem Leben bezeugt hat, zu Glaubenden im Sinn der Hingabe an Gott werden. Dieser Glaube ist auf das Wort Gottes gerichtet.

In der Aussage, daß Jesus der Sohn Gottes nicht nur war, sondern in Ewigkeit ist, ist angesichts des Todes auch der Glaube an seine Auferstehung bereits eingeschlossen.

3) In einem dritten Schritt erläutert die christliche Botschaft, daß der Glaube selbst keine bloße Weltanschauung, sondern das Erfülltsein vom Heiligen Geist [192>]ist. Niemand ist zu diesem Glauben aus eigener Kraft fähig; sondern wir können die christliche Botschaft nur deshalb im Glauben annehmen, weil wir verborgen (= nicht an der Welt ablesbar) von vornherein in die Liebe des Vaters zum Sohn hineingeschaffen sind. Niemand kann Gottes Gnade annehmen, ohne schon längst, auch bevor er selbst darum weiß, in dieser Gnade zu stehen. Die ganze Welt ist von vornherein in Christus geschaffen, wie das Glaubensbekenntnis sagt. Deshalb gibt es auch keinen Menschen außerhalb der Gnade Gottes, so sehr sie auch für viele noch verborgen bleibt.

Die Kirche ist das fortdauernde Geschehen der Weitergabe des Wortes Gottes. Darauf läßt sich alles, was an der Kirche heilsrelevant ist, zurückführen. Das heute noch immer ergehende Wort Gottes ist das gegenwärtige Geschehen der Selbstmitteilung Gottes in dem mitmenschlichen Wort der Glaubensverkündigung.

Die Funktion der Amtsträger in der Kirche besteht darin, zu verdeutlichen, daß der Glaube nicht nur für jeden einzelnen »vom Hören« (Röm 10,17), nämlich aus der mitmenschlichen Kommunikation der Weitergabe des Wortes Gottes stammt, sondern daß dies auch für alle zusammen gilt. Die Amtsträger handeln »in persona Christi capitis«, das heißt vom Haupt her für den ganzen Leib. Ihr Handeln betrifft die Gemeinde als ganze. Das Amtspriestertum ist Dienst an der Unüberbietbarkeit des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen. Es bringt zum Ausdruck, daß auch der Glaube aller zusammen noch immer vom Hören kommt. Für sich selbst aber ist auch jeder Amtsträger für seinen Glauben darauf angewiesen, das Wort Gottes von anderen zu empfangen. Niemand ist sich selber Priester.

Die Sakramente unterscheiden sich vom Wort Gottes, das überall weiterzusagen ist, dadurch, daß sie nur innerhalb der Gemeinschaft der Glaubenden gespendet werden. Sie sind die »Zeichen des angenommenen Wortes Gottes«. So sind sie die Kurzfassung dessen, worum es bereits in der Glaubensverkündigung geht: unsere Gemeinschaft mit Gott durch Christus im Heiligen Geist. Die in den Sakramenten enthaltene und mitgeteilte Gnade ist nicht auf die Sakramente selber beschränkt. Alle Sakramente weisen über sich selber hinaus auf die Weite des Wortes Gottes, das alle Menschen angeht. Gerade darin besteht ihre Würde.

Aus der Gemeinschaft mit Gott gehen gute Werke hervor. Aber es sind nicht die Früchte, die den Baum gut machen, sondern nur ein guter Baum bringt gute Früchte hervor. Deshalb bedeutet auch die ganz zu Unrecht noch immer umstrittene Parole von der »Rechtfertigung aus Glauben allein« in Wirklichkeit eine »Kampfparole für gute Werke« (Gerhard Ebeling): Nur solche Werke können vor Gott gut sein, die aus der Gemeinschaft mit ihm hervorgehen. In diesem Verständnis dienen die Werke nicht dem sinnlosen Versuch der Selbstrechtfertigung [193>]des Menschen, sondern haben kein anderes Ziel mehr als das, wofür sie wirklich gut sind: nämlich dem Wohl der Menschen zu dienen.

Unser Anteilhaben am Gottesverhältnis Jesu ist auch der eine Sinn der ganzen Heiligen Schrift. Nur in diesem und nicht in beliebigem Sinn ist die Heilige Schrift Wort Gottes. Sie ermöglicht die jeweils aktuelle und damit auch die heutige Weitergabe des Glaubens. Streng genommen ist die Schrift nicht als Schrift Wort Gottes, sondern als ausgelegte und verkündigte Schrift (Gerhard Ebeling). Wort Gottes im eigentlichen Sinn ist die Selbstmitteilung Gottes in der je gegenwärtigen Weitergabe des Glaubens. Wort Gottes ist es, wenn eine Mutter ihrem Kind den Glauben weitergibt. Die so verstandene »Tradition« ist das, worum es in der Heiligen Schrift geht. Sie fügt nichts zur Schrift hinzu, sondern in ihr kommt nur die Schrift als »Wort Gottes« zur Geltung. Die als »Wort Gottes« verstandene Schrift ist das letzte Wort über alle Wirklichkeit der Welt, dem niemand etwas hinzufügen kann.

Bereits die Schrift Israels behauptet in der Bundesformel »Ihr seid mein Volk, und ich bin euer Gott« (vgl. Jer 11,4 und öfter) Gemeinschaft von Menschen mit Gott. Die christliche Botschaft erläutert: Diese Aussage erweist sich erst dadurch als definitiv sinnvoll, daß man sie im Licht Christi liest. Gemeinschaft mit Gott ist nur in der Weise möglich, daß Menschen in eine Beziehung Gottes auf Gott aufgenommen sind; und diese Aussage kann nur dann wahr sein, wenn ihr ursprünglicher Sprecher zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott ist.

Selbst Abraham muß, wenn er Gemeinschaft mit Gott gehabt haben soll (und, weil Gott ein Gott der Lebenden ist, weiterhin hat), in die Liebe Gottes zu Gott aufgenommen gewesen sein. Durch Jesus wird nichts anderes offenbar, als daß Gott die Welt von vornherein in diese Liebe hineingeschaffen hat. »Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden ...; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand« (Kol 1,16f). »Ehe Abraham ward, bin ich« (Joh 8,58).

Deshalb beruht auch schon vor der Menschwerdung des Sohnes alle wahre Selbstlosigkeit unter Menschen auf ihrer bereits bestehenden, wenn auch noch nicht voll zur Sprache gekommenen Gemeinschaft mit Gott. Wenn solche Menschen der christlichen Botschaft begegnen und sie ihnen verständlich erläutert wird, wird ihnen zu ihrer Freude ausdrücklich offenbar, daß ihre Werke schon längst »in Gott getan sind« (Joh 3,21).

Auch der Satz »außerhalb der Kirche kein Heil« schließt in einer solchen Sicht nicht mehr andere Menschen vom Heil aus. Er besagt vielmehr: Es gibt kein anderes Heil als das von der Kirche verkündete. Aber dieses Heil umfaßt bereits die ganze Welt und muß nur noch durch das weiterzusagende Wort allen offenbar werden. Unsere Botschaft lautet: »Gott hat in Christus die Welt mit sich ver[194>]söhnt.« Die Glaubenden haben für die anderen den »Dienst der Versöhnung«, der darin besteht, gar nicht anders zu können, als das »Wort der Versöhnung« weiterzusagen: »An Christi Statt bitten wir: Laßt euch versöhnen mit Gott.« (2 Kor 5,18-20)

Gottes Eingreifen in unsere Welt besteht in seiner Selbstmitteilung durch das mitmenschliche Wort der Weitergabe des Glaubens. Und unsere Erlösung besteht darin, daß wir zu Glaubenden werden.
 

III. Christologische Wort-Gottes-Theologie

Die bisherigen Überlegungen haben bereits gezeigt, daß der Inhalt der christlichen Botschaft nicht eine Art Sammelsurium von zusammenzuaddierenden Aussagen ist, die man möglichst »vollständig« zusammentragen muß und die erst so ein harmonisches Ganzes bilden.

Dieses Mißverständnis ist vermutlich der Grund, daß viele Christen sich so schwer tun, ihre bereits bestehende Einheit im Glauben anzuerkennen. Man meint dann zum Beispiel, daß demjenigen etwas am vollen Glauben fehlt, der nicht alle in der römisch-katholischen Kirche formulierten einzelnen Glaubensaussagen ausdrücklich zu den seinen gemacht hat.

Aber der Inhalt des Glaubens ist nicht eine Summe von Teilen, sondern die Entfaltung der einen geglaubten Tatsache unserer Gemeinschaft mit Gott, die zu begründen keine geschaffene Qualität ausreichen kann; darin sind von vornherein alle einzelnen Glaubensaussagen impliziert und lassen sich nur von da aus verstehen.

Daß Gott sich uns zuwendet, läßt sich nur trinitarisch aussagen: Gottes Liebe zu uns ist die Liebe des Vaters zum Sohn, die der Heilige Geist ist und in die wir aufgenommen sind. Dies können wir nur aufgrund der Menschwerdung des Sohnes erkennen. Man kann es nicht an der Welt ablesen, sondern es muß uns in menschlichem Wort gesagt werden. Aber die Wahrheit dieses Wortes ist göttlich. Sie wird nur in einem Glauben erkannt, der das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist. So gilt, wie reformatorische Theologie mit Recht formuliert: Gott allein begegnet allein im Wort dem Glauben allein.

Wir wenden uns nun im einzelnen der Christologie zu. Zwischen der christlichen Botschaft als dem »Wort Gottes« und der Glaubenswirklichkeit Jesu als des »Sohnes Gottes« besteht eine vollkommene Strukturparallele.

[195>]Dem Menschsein Jesu entspricht der Wortcharakter der christlichen Botschaft; dem Gottsein Jesu entspricht, daß die Wahrheit der christlichen Botschaft göttlich ist, und zwar im Sinn der göttlichen Selbstmitteilung in dieser Botschaft.

In Entsprechung zur Leib-Seele-Einheit des Menschen ist das menschliche Wort eine Einheit von Laut und Sinn. Daran kann man sich geradezu klar machen, was mit der Rede von Leib und Seele gemeint ist. Wie sich der Sinn eines Wortes in seinem Klangkörper, im Laut ausdrückt, so die Seele eines Menschen in seinem Leib. Und es gibt Wort letztlich und ursprünglich nur als Kommunikation unter Menschen, wie es auch Menschen nur im Verbund mit anderen Menschen gibt; sie werden von anderen Menschen geboren und lernen durch andere Menschen sprechen.

Sowohl der Klang wie der Sinn eines Wortes sind jedermann zugänglich. Sie können von jedermann als existierend konstatiert werden. Ähnliches gilt vom Menschen Jesus. Genauso wie auch jeder Heide die Existenz der christlichen Botschaft feststellen kann, konnte Pilatus ohne jeden Glauben das wahre Menschsein Jesu problemlos erkennen. Noch heute ist das Menschsein Jesu genauso historischer Forschung zugänglich wie die Existenz der christlichen Botschaft.

Beim Wort ist nicht nur zwischen Laut und Sinn zu unterscheiden, sondern man muß auch nach seinem Wahrheitsanspruch fragen. Dieser ist die letzte Subsistenz des Wortes.

Was beim Wort der Wahrheitsanspruch ist, das ist in Entsprechung beim Menschen das Personsein. Wenn dem Wort der christlichen Botschaft göttliche Wahrheit zukommen sollte, dann müßte der ursprüngliche Sprecher dieses Wortes in seinem Personsein göttlich sein.

Während die Existenz der christlichen Botschaft von jedermann festgestellt werden kann, ist ihre Wahrheit nicht auf weltanschauliche oder bloß philosophische Weise und mit Vernunftargumenten zu erkennen, sondern sie ist nur demjenigen Glauben zugänglich, der nicht Weltanschauung, sondern das Erfülltsein vom Heiligen Geist ist. So ist auch die Gottessohnschaft des ursprünglichen Sprechers dieses Wortes nur im Heiligen Geist zugänglich. »Niemand kann sagen, Jesus ist Herr, außer im Heiligen Geist« (1 Kor 12,3).

Das christologische Dogma wird gewöhnlich als »Zweinaturenlehre« bezeichnet. Wir sagen, daß Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Genauso ist auch die christliche Botschaft als Wort wahrhaft menschlich und in ihrer Wahrheit vollkommen göttlich. Entscheidend bei der Zweinaturenlehre ist jedoch, daß Jesu Gottsein und sein Menschsein »weder miteinander vermischt noch voneinander getrennt« sind. Gleiches gilt von dem Wort der christlichen Botschaft und ihrer Wahrheit.

[196>]Gottsein und Menschsein bleiben in Jesus voneinander völlig verschieden (= ohne Vermischung); das Gottsein ist nicht das Menschsein und ist auch nicht am Menschsein Jesu »ablesbar«, etwa an seiner Körpergröße oder an der Vollkommenheit seiner Gestalt oder dem Wohlklang seiner Worte, auch zum Beispiel nicht an seinem Mannsein. Wäre das Gottsein Jesu an seinem Menschsein ablesbar gewesen, dann »hätten die Herrscher dieser Welt ihn nicht gekreuzigt« (vgl. 1 Kor 2,8).

Aber das Gottsein ist andererseits nicht vom Menschsein Jesu »getrennt«. Es ist vielmehr durch eine Relation des Gottseins auf sich selbst (Selbstpräsenz Gottes als zweite Person), in die das Menschsein aufgenommen ist, mit diesem verbunden. Wir sprechen von der »hypostatischen Union«, weil die zweite Relation göttlicher Selbstpräsenz, die der Sohn ist, in Jesus Gottsein und Menschsein miteinander verbindet.

Die Begriffe »ohne Vermischung« und »ohne Trennung« sind keineswegs bloß negative Grenzmarken, bei denen man gar nicht angeben kann, was positiv gemeint ist. »Ohne Vermischung« heißt: »voneinander verschieden«; »ohne Trennung« heißt: durch die Relation einer göttlichen Selbstpräsenz »miteinander verbunden«.

Nur in einem solchen Verständnis wird die Verwechslung des christlichen Glaubens mit einem mythologischen Verständnis vermieden. Mythologisch wäre die Subsumierung von Gott und Welt unter ein und denselben Wirklichkeitsbegriff, so daß man Gottes Handeln in der Welt welthaft ausweisen könnte.

Man kann sich dies am »Wort Gottes«-Begriff ebenfalls vor Augen führen. Die Wahrheit des Wortes ist mit dem Wort weder vermischt noch von ihm getrennt.

Vermischung würde bedeuten, daß man die Wahrheit des Wortes an seinen konstatierbaren Eigenschaften ablesen könnte, nämlich daran, daß es so lautstark oder so wohlklingend oder so schön formuliert ist. Aber hier gilt, daß das »Wort Gottes« als Wort sonstigem menschlichen Wort »in allem gleich« ist; auch wer stottert oder heiser ist, kann dieses Wort mit eigenen Worten aussagen und weitergeben. Im Unterschied zu sonstigem Wort ist dieses Wort jedoch schlechthin verläßlich; es spricht von etwas, was in ihm selber geschieht, und ist deshalb, wenn es überhaupt als Selbstmitteilung Gottes verstanden werden kann, notwendig »aus sich wahr«. Es wird zwar nur im Glauben als Wort Gottes erkannt, aber nicht erst durch den Glauben zum Wort Gottes gemacht.

Die Wahrheit des Wortes der christlichen Botschaft ist jedoch, obwohl von der Konstatierbarkeit des Wortes verschieden, nicht vom Wort getrennt. Die Wahrheit des Wortes kann, obwohl sie nicht am Wort ablesbar ist, dennoch durch keine andere Vermittlung als eben die des Wortes erkannt werden.

[197>]Der Christologie muß dann auch die Ekklesiologie entsprechen. Ganz ähnlich wie das Verhältnis von Wort und Wahrheit des Wortes und das Verhältnis von Menschsein und Gottsein Jesu ist auch das Verhältnis zwischen »sichtbarer« und »unsichtbarer« Kirche: Als »Institution« ist die Kirche dadurch sichtbar, daß sie in dieser Welt eine Botschaft vermittelt, die als Selbstmitteilung Gottes verstanden werden will und der man nachweislich anders als in diesem Sinn nicht gerecht werden kann. Daß ihre Botschaft wahr ist und daß die Kirche selber, insofern sie diese Wahrheit vermittelt, vom Heiligen Geist erfüllt ist, ist allein im Glauben zu erkennen und keineswegs an geschaffener Wirklichkeit ablesbar.

Zu dem Einwand, daß eine solche Rückführung auf eine Theologie des Wortes Gottes der christlichen Betonung der Leiblichkeit und damit auch der Bedeutung der Sakramente nicht genügend gerecht wird, sei nur darauf hingewiesen, daß wir, um das Wort vernehmen zu können, auf das sinnenhafte, leibliche Hören angewiesen sind und daß die Sakramente nur als die Zeichen des angenommenen Wortes Gottes verstanden werden können.

Mit den genannten »Grunddogmen« der christlichen Botschaft, also mit der Rede von der Dreifaltigkeit Gottes, von der Menschwerdung des Sohnes und von der Sendung des Heiligen Geistes, hängen alle anderen Glaubensaussagen innerlich zusammen. Sie sind nur die Entfaltung der Grunddogmen und können ihnen nichts hinzufügen.

Daß Jesus seine Botschaft mit seinem Leben bezeugt hat, ist historisch zugänglich. Hier ist er »in allem uns gleich (außer der Sünde)«. Sowohl daß seine Botschaft wahr war und ist wie daß er selbst der Sohn Gottes war und ist, wird dagegen nur aufgrund seines Wortes und nur im Glauben erkannt. Wir machen also in bezug auf den historischen Jesus Aussagen, die selber nicht historischer Art sind, sondern die wir als göttliche Wahrheit verstehen; sie können als wahr nur im Glauben erkannt werden. Wir sagen in bezug auf den historischen Jesus aus, daß er lebt und in Wort und Sakrament noch heute für uns zur Erscheinung kommt. All dies und damit seine Auferstehung wird nur im Glauben erkannt. Aber sie ist die Auferstehung dieses historischen Menschen.

In Entsprechung muß man sagen, daß das Wort der christlichen Botschaft als Wort sonstigem gewöhnlichen Wort in allem gleich ist und dennoch und gerade so Träger göttlicher Wahrheit ist.

So zeigt sich, daß die Analyse der Bedeutung des Begriffs »Wort Gottes« helfen kann, in Strukturparallele dazu die Grundaussagen der Christologie und sogar auch der Ekklesiologie zu verstehen. Es handelt sich um ein und dasselbe Glaubensgeheimnis, wenn wir den Menschen Jesus als wahren Gott verstehen und das menschliche Wort der christlichen Botschaft als die Aussage göttlicher Wahrheit. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist kein größeres und kein [198>]geringeres Glaubensgeheimnis als der Wort-Gottes-Charakter der christlichen Botschaft.

Die christliche Botschaft erläutert durch ihren Inhalt, wie man sie selbst als das offenbare Geschehen der liebevollen Zuwendung Gottes zu uns verstehen kann. Dieses Wort ist Tat, geschichtliches Geschehen, Ereignis und Person. In ihm ist Christus zugleich der Sprechende und das ausgesagte Wort. Deshalb ist der Glaube an dieses Wort das Anteilhaben am Gottesverhältnis Jesu. Das ist der ganze christliche Glaube, der sich nicht vermehren und nicht vermindern läßt. Die heutige Bezeugung dieses Glaubens ist das »lebendige Zeugnis«, das vom Heiligen Geist erfüllt ist.
 

 
Nachtrag:
In der Festschrift, in der der obige Artikel publiziert ist, folgt ein Artikel von Karl H. Singer mit dem Titel »Die Begegnung Gottes mit dem Menschen im Koran – Dargestellt an der Sendung Moses zum Pharao« (S. 199–205). Der Grund der in diesem Text erwähnten Verurteilung [und Hinrichtung] von Ibn Dirham war das oben unter I. dargestellte Problem, das aber m. E. durch diese Verurteilung keineswegs gelöst wird. Es heißt S. 200: 
»Jedoch gehört zum Wesen des Propheten, daß er von seiner Sendung, abgesehen von Augenblicken tiefer Depression, überzeugt ist und die innere Gewißheit besitzt, daß Allahs Botschaft siegen wird. [...]
Allerdings ist in der islamischen Theologie die Möglichkeit einer Begegnung des Menschen mit Allah in Zweifel gezogen worden. So soll Dja'd Ibn Dirham – er lebte in der Zeit des letzten Omajjaden Marwan II. (744–750 n. Chr.) – behauptet haben, daß Gott weder zu Moses noch zu Abraham gesprochen habe, denn die Transzendenz Allahs ließe eine unmittelbare Berührung zwischen der Gottheit und Menschheit nicht zu. So könne auch Abraham nicht der Freund Gottes gewesen sein, und Allah könne auch nicht zu diesem und zu Moses gesprochen haben [Anm.: Vgl. Tilman Nagel, Geschichte der islamischen Theologie, München 1994, S. 102; vgl. G. Vajda, Ibn Dirham, in: The Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. III, Leiden-London 1986, S. 474.].
Jedoch wurde diese theologische Auffassung, die vom Denkansatz her eine göttliche Offenbarung als unmöglich betrachtet, stets von der orthodoxen islamischen Theologie abgelehnt und führte zur Verurteilung von Ibn Dirham.
Eine Offenbarung Gottes durch sein Wort – übernatürliche Offenbarung – und damit eine Begegnung mit dem Menschen, der dazu erwählt wurde, ist somit gemeinsames Gedankengut von Christen und Muslimen.«
 

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