Letzte Aktualisierung:  10. Juni 2006, PK

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Peter Knauer SJ

 

SCHWANGERSCHAFTSKONFLIKTBERATUNG

UND BERATUNGSSCHEIN

Ethische Analyse des kirchlichen Dilemmas und ein Lösungsvorschlag

Im Anhang ein Leserbrief an die FRANKFURTER RUNDSCHAU, der am 26. Juni 1999, S. 19, veröffentlicht wurde.
 
Erst am 26. Januar wurde offiziell ein schon lange zuvor angekündigter Brief des Papstes an die deutschen Bischöfe vom 11. Januar 1998 veröffentlicht. Der Papst äußert eine eindringliche Bitte an die deutschen Bischöfe. Sie mögen dafür sorgen, daß in den katholischen Beratungsstellen keine Bescheinigung über eine erfolgte Beratung mehr ausgestellt werde. Denn ein solcher Beratungsschein habe eine »Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibungen erhalten«. Der Papst befürchtet, daß daraufhin »kirchliche Einrichtungen [...] für die Tötung unschuldiger Kinder mitverantwortlich gemacht werden können.« Er meint ferner, »daß hier eine Zweideutigkeit besteht, welche die Klarheit und Entschiedenheit des Zeugnisses der Kirche und ihrer Beratungsstellen verdunkelt«.

Es scheint, daß zumindest manche der deutschen Bischöfe diesen Brief erst am 23. Januar im Wortlaut erhalten haben, nur wenige Tage vor der Zusammenkunft des Ständigen Rates der Bischofskonferenz am 25. und 26. Januar. Wie ist diese Verzögerung zu erklären? Jedenfalls blieb den Bischöfen kaum Zeit zur Vorbereitung der Beratung. Die Bischöfe haben in ihrer Zusammenkunft beschlossen, der Bitte des Papstes Folge zu leisten: »Wir werden uns um eine Fassung der Beratungstätigkeit bemühen, die ohne einen Schein der bisherigen Art erfolgt«. Eine Arbeitsgruppe soll »nach möglichen neuen Wegen suchen, die dem Anliegen des Papstes und unserem Anliegen entsprechen, daß die Kirche auf wirksame Weise in der Beratung hilfesuchender Frauen präsent bleibt. Wir werden zu gegebener Zeit eine Neufassung der Ordnung unserer Beratungsstellen in Kraft setzen.«

Bischof Karl Lehmann erläuterte: »... wir haben noch keine ausreichende Klarheit, die schon zu einem Beschluß hätte führen können. Die Früchte sind noch nicht reif, eher sind es noch unausgegorene Ideen, ob es zum Beispiel statt des Scheins in der bisherigen Form einen Beraterbrief, eine Art eidesstattlicher Erklärung, eine Rückfrage des abtreibenden Arztes bei der Beratungsstelle usw. geben könnte. Aber dies waren nur bescheidene Geistesblitze, von denen wir im jetzigen Stadium selbst noch nicht überzeugt sind.«

Die folgenden Überlegungen wollen einen Vorschlag für die Arbeitsgruppe begründen und ihn wegen der Wichtigkeit der Sache zur öffentlichen Diskussion stellen. Dazu muß zunächst auf die Argumentation des Papstes eingegangen werden.
 

Die Argumentation des Papstes

Johannes Paul II. zitiert sein früheres Schreiben vom 21. September 1995 zur Frage der Beratungsbescheinigung: »Sie bestätigt, daß eine Beratung stattgefunden hat, ist aber zugleich ein notwendiges Dokument für die straffreie Abtreibung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft.« Er schreibt nun den Bischöfen: »Ihr selber habt diese widersprüchliche Bedeutung des Beratungsscheins, die im Gesetz verankert ist, mehrmals als Dilemma bezeichnet. Das Dilemma besteht darin, daß die Bescheinigung die Beratung zugunsten des Lebensschutzes bestätigt, aber zugleich die notwendige Bedingung für die straffreie Durchführung der Abtreibung bleibt, auch wenn sie gewiß nicht deren entscheidende Ursache ist.« Der Papst befürchtet zugleich damit, daß »der Schein die Kirche in die Tötung unschuldiger Kinder verwickelt«, daß er auch »ihren unbedingten Widerspruch gegen die Abtreibung weniger glaubwürdig macht«.

Der Papst zitiert weiter seine Ansprache vom 22. Juni 1996 während seiner Pastoralreise in Deutschland: »Vom Glauben her ist klar, daß von kirchlichen Institutionen nichts getan werden darf, was in irgendeiner Form der Rechtfertigung der Abtreibung dienen kann.« Nach seiner Auffassung handelt es sich um eine Frage »mit offenkundigen lehrmäßigen Implikationen, die für die Kirche und für die Gesellschaft in Deutschland und weit darüber hinaus von Bedeutung ist«. Letzteres ist wohl die Begründung dafür, warum der Papst meinte, als höchste Instanz der Kirche eingreifen zu sollen.
 
 

Zur Stringenz der Argumentation

Der Papst geht davon aus, daß der deutsche Gesetzgeber in bestimmten Fällen eine Abtreibung »legalisiert« habe, in anderen Fällen habe er sie nur »für straffrei erklärt, auch wenn dabei der Charakter der Unrechtmäßigkeit gewahrt bleibt«. Tatsächlich trifft die in den Medien häufig anzutreffende Behauptung, daß eine »straffreie Abtreibung« mit einer »legalen« Abtreibung gleichzusetzen sei, nach deutschem Recht keineswegs zu. Überall, wo ein Beratungsschein zur Straffreiheit erforderlich ist, spricht der Gesetzgeber weiterhin von einer Rechtswidrigkeit der Abtreibung. Aber auch in den Fällen, wo das Gesetz sich zum Unrechtscharakter nicht äußert und in diesem Sinn die Abtreibung »legal« sein läßt, ist damit dennoch nicht ausgeschlossen, daß es sich noch immer um einen nicht verantwortbaren Sachverhalt handelt.

Gegner der Ausstellung der Bescheinigung über erfolgte Beratung haben eine solche Bescheinigung als »Tötungslizenz« bezeichnet. Es scheint, daß sich der Papst von solchen Behauptungen hat stark beeindrucken lassen. Er befürchtet, die Kirche werde durch die Ausstellung der Bescheinigung möglicherweise schuldhaft in eine Tötung verwickelt oder zumindest könne ihr ein solcher Vorwurf gemacht werden.

Zunächst sei darauf hingewiesen, daß der Verzicht auf Strafe nicht mit einer Erlaubnis zu verwechseln ist. Hier liegt die größte Verwirrung in der Wahrnehmung der Position der Kirche (und des Staates) in der Öffentlichkeit. Bereits im Jahre 1976 warnten die deutschen Bischöfe in ihrem »Pastoralen Wort zur Novellierung des § 218« vor dem Mißverständnis, »als ob, was gesetzlich nicht mehr verboten ist, nunmehr auch sittlich erlaubt sei. [...] Niemand, der seine Lebensführung auf christliche Grundsätze stützt, kann sich zu der Fehlmeinung verleiten lassen, durch die Aufhebung der Gesetzesstrafe sei die Abtreibung weniger verwerflich geworden.« Diese Fehlmeinung darf also nicht als zutreffend vorausgesetzt werden, sondern ist als falsch zu bekämpfen, und ihr ist ständig zu widersprechen.

Allerdings konnten die deutschen Bischöfe sich weder damals noch (meines Wissens) bis heute dazu durchringen, die Gewissen klar auch darüber zu belehren, daß »in ausweglos erscheinenden Konfliktsituationen, in denen zwischen dem Verlust des Lebens sowohl der Mutter als des ungeborenen Kindes und dem Verlust nur eines menschlichen Lebens zu entscheiden ist«, ein Schwangerschaftsabbruch keineswegs eine moralisch zu verwerfende »Abtreibung« ist, sondern die Rettung wenigstens eines Lebens. Die Bischöfe formulierten damals nur, daß in solchen Fällen »die ärztliche Gewissensentscheidung respektiert« werde.

In dem offiziösen Kommentar des Päpstlichen Schreibens im Osservatore Romano vom 27. Januar 1998 heißt es: »Der Papst geht nicht näher auf die moraltheologische Frage ein, welche Art der Mitwirkung an der Abtreibung hier genau vorliegt. Es scheint auch nicht leicht, die entsprechenden traditionellen Kriterien unverändert auf die Problematik des Beratungsscheins anzuwenden, zumal die Sachlage überaus komplex ist und es um eine institutionelle Mitwirkung der Kirche geht, in deren Auftrag die Beraterinnen in vielen Fällen handeln.« Hier wird zugegeben, daß es nicht gelungen sei, die Frage anhand der traditionellen Kriterien zu entscheiden. Es scheint sich eher um eine Art intuitiver Entscheidung zu handeln.

Mehr als zwei Jahre seit dem päpstlichen Schreiben vom September 1995 haben offenbar nicht ausgereicht, die angeblich an den traditionellen Prinzipien vorzunehmenden Veränderungen konkret zu benennen. Aber die lehramtliche Kompetenz des Papstes in Dingen des Glaubens und der Sitten kann nicht darin bestehen, sein eigenes subjektives Gewissen zur Norm für andere zu machen (vgl. Gal 2,11f). Kirchliche Unfehlbarkeit bezieht sich nach der Kirchenkonstitution des II. Vatikanums n. 25,1 allein auf den Glauben und seine Anwendung auf die Sitten, das heißt auf Gottes Selbstmitteilung und die Aussage, daß vor Gott gute Werke nur aus der Gemeinschaft mit ihm hervorgehen können. Inhaltliche Normen des natürlichen Sittengesetzes dagegen können nur authentisch, das heißt amtlich, nicht aber unfehlbar gelehrt werden. Die Kirche kann für das natürliche Sittengesetz nicht anders als mit Argumenten eintreten. Bei amtlicher Lehre besteht innerhalb der Kirche die Rechtsvermutung ihrer Gültigkeit, und wer eine solche Lehre bestreiten will, trägt die Beweislast. Ihre Verbindlichkeit ist jedoch beendet, wenn sie durch einen Gegenbeweis widerlegt wird.

Der Papst geht davon aus, daß die Ausstellung des Beratungsscheins zwar keine »entscheidende Ursache«, wohl aber »die notwendige Bedingung« für die Durchführung einer straflosen Abtreibung ist. Dient aber die Ausstellung des Beratungsscheins tatsächlich »in irgendeiner Weise der Rechtfertigung der Abtreibung«?

Es gibt Mißverständnisse, zu denen die Sprache Anlaß gibt, wenn man sie nicht sorgfältig gebraucht. Das Verhältnis des mit einem Eigenschaftswort Gemeinten zu dem davon bestimmten Sachverhalt kann sehr verschieden sein. Verhält sich das Wort »straffrei« zur Abtreibung ähnlich wie zum Beispiel das Wort »medikamentös« oder »operativ«? Wer jemandem eine Chemikalie mit abtreibender Wirkung zu diesem Zweck verabreicht, ist der Abtreibung schuldig. Das Wort »straffrei« bezeichnet jedoch keineswegs einen inneren Bestandteil des Vollzugs der Abtreibung, wie dies die beiden Wörter »medikamentös« und »operativ« tun. Der Schein ist weder ein Mittel zur Abtreibung als solcher noch auch strenggenommen eine Bedingung für ihre Durchführbarkeit, sondern lediglich dafür, daß der Staat seinerseits auf eine Bestrafung der Abtreibung verzichtet. Er tut dies, um zumindest heimliche Abtreibungen durch Kurpfuscher zu verhindern, die zusätzlich das Leben der Mutter gefährden.

Nun könnte man sagen: Aber der Arzt und die Frau sind zu einer (nicht heimlichen) Abtreibung nur bereit, wenn ihnen zuvor die Furcht vor einer eventuell drohenden Strafe genommen wird. Und insofern ist die Ausstellung des Scheines doch zumindest eine Bedingung dafür, daß die Abtreibung anders als heimlich erfolgen kann. Darf man den Schein trotzdem ausstellen?

Die moraltheologische Tradition hat zur Beurteilung solcher Fragen, die ein »Dilemma« enthalten, das sogenannte »Prinzip von der Doppelwirkung« entwickelt, das richtig anzuwenden den Beratern des Papstes nach der Aussage des Osservatore Romano nicht gelungen zu sein scheint. Dieses Prinzip (vgl. dazu StZ 1994, Heft 1, 14-26) fordert für die Rechtfertigung der Zulassung oder gar Verursachung eines Schadens einen »entsprechenden Grund«, der bewirkt, daß dieser Schaden nicht »direkt« gewollt ist. Für unser Thema geht es um die Frage, bei welcher Handlungsweise real am wenigsten Abtreibungen geschehen werden und wie am meisten verhindert werden kann, daß heimliche Abtreibungen durch Kurpfuscher zusätzlich auch das Leben der Mutter in Gefahr bringen. Zugleich ist allerdings auch darauf zu achten, daß kein anderweitiger Schaden entsteht; es ist gegen die Fehlinterpretation der Scheine, als würden sie zur Abtreibung »berechtigen«, anzugehen.

Ursächlich für die Schlußfolgerung des päpstlichen Schreibens ist vermutlich auch eine Auffassung von den »Umständen«, wie sie z. B. in einer Formulierung des neuen Katechismus der Katholischen Kirche zum Ausdruck kommt: die Folgen einer Handlung gehörten nur zu deren Umständen, die die sittliche Beschaffenheit der Handlung nicht ändern können, sondern nur auf den Grad ihrer Gutheit oder Schlechtigkeit Einfluß haben (n. 1754). Richtig daran ist, daß eine schlechte Handlung durch beabsichtigte oder zumindest vorausgesehene gute Folgen nicht gut werden kann. Aber eine zunächst für sich allein betrachtet scheinbar gute Handlung (zum Beispiel sich durch die Verweigerung eines Beratungsscheins zu salvieren) kann sehr wohl durch ihre voraussehbaren schädlichen Ergebnisse (in der Realität mehr Abtreibungen) moralisch schlecht, und zwar sogar »in sich schlecht« werden, wenn für Zulassung dieser schädlichen Folgen kein »entsprechender Grund« vorliegt. Es ist völlig falsch, die Folgen einer Handlung nur zu ihren Umständen zu rechnen.
 
 

Analyse des Sachverhalts

Wem es ernsthaft um den Schutz des Lebens geht, für den ist nur dasjenige Handeln verantwortbar, bei dem real am wenigsten Leben gefährdet und vernichtet wird. Man muß aber auch verhindern, daß es zu vermeidbaren Mißverständnissen kommt; in diesem Anliegen ist dem Papst zuzustimmen.

Der staatliche Verzicht auf Strafe ist u. a. darin begründet, daß man, wenn man schon Abtreibungen nicht überhaupt verhindern kann, auf jeden Fall heimliche Abtreibungen durch Kurpfuscher vermeiden will, um nicht auch das Leben der Mutter zu gefährden. Außerdem und vor allem besteht die Erfahrung, daß man durch eine dem Leben verpflichtete Beratung und durch Angebot von Hilfen oft auch Frauen, die eine Abtreibung überlegen, dazu führen kann, Alternativen zu sehen. Die deutschen Bischöfe schrieben bereits in ihrem Wort »Zur Neuregelung des § 218« vom 26. Januar 1976, ihre Beratungsstellen würden »in ständig steigendem Umfange von Ratsuchenden in Anspruch genommen und [hätten] in den letzten Jahren in vielen Tausenden von Fällen entsprechend ihrem Auftrag werdenden Müttern Beratung und Hilfe geleistet und ungeborenes Leben vor der Vernichtung gerettet«.

Die Statistik der katholischen Beratungsstellen in der Diözese Limburg für das Jahr 1996 weist aus, daß im ganzen 3350 Frauen zur Beratung kamen. Von diesen suchten 622 Frauen in den ersten 12 Schwangerschaftswochen eine der Beratungsstellen auf. Davon wünschen 479 Frauen (77%) eine Schwangerschaftskonfliktberatung gemäß Strafgesetzbuch § 219. Von diesen Frauen haben 253 ihr Kind geboren; nur 246 Frauen ließen sich nach der Beratung einen Schein ausstellen. Bei 204 Frauen ist unbekannt, wie sie sich entschieden haben. Nur bei 18 Frauen wissen die Beratungsstellen von einem Schwangerschaftsabbruch. »Das bedeutet: Selbst im ungünstigsten Fall haben im Anschluß an die Beratung 42% der Frauen ihr Kind bekommen, wahrscheinlich liegt die Zahl weit höher. Katholische Schwangerschaftsberatung dient also in erheblichem Umfang dem Schutz ungeborenen Lebens.« Gegenüber der Meinung, daß die Kirche aber nicht selbst zugunsten der Ungeborenen Hilfen bereitstelle, sei darauf verwiesen, daß 1996 knapp 70% der Frauen während der Schwangerschaft und 35% nach der Geburt des Kindes Mittel aus der Bundesstiftung Mutter & Kind sowie aus dem Bischöflichen Hilfsfonds erhielten. Aus der Bundesstiftung wurden DM 2.412.828 vergeben, aus dem Hilfsfond DM 445.705« (Quelle: http://www.kath.de/bistum/limburg/presse/Beratung.htm am 27.1.1998).

Für die Ausstellung eines Beratungsscheines und damit die Ermöglichung der Straffreiheit für diejenigen Frauen, die trotz der Beratung abtreiben, besteht als »entsprechender Grund« die Tatsache, daß ohne die Beratung mehr Frauen abtreiben würden. Würde keine Straffreiheit garantiert, dann würden viele Frauen auch davor zurückschrecken, sich überhaupt beraten zu lassen. Denn es würde ja öffentlich, daß sie sich mit dem Gedanken einer strafbaren Abtreibung tragen. Die Straffreiheit bringt mit sich, daß manche Frauen für eine von ihnen geplante Abtreibung nicht mehr in dunkle und gefahrvolle Heimlichkeit gehen müssen. Aber es trifft in keiner Weise zu, daß damit die Abtreibung von den katholischen Beratungsstellen »gerechtfertigt« würde bzw. daß man sie mit Recht für eine Mitwirkung an der »Durchführung« einer Abtreibung verantwortlich machen könnte. Solchen Vorwürfen ist durch Widerlegung entgegenzutreten und nicht dadurch, daß man ihnen nachgibt und daraufhin die Ausstellung eines Beratungsscheins verweigert.

Letzteres wäre im Gegenteil ethisch höchst problematisch. Denn wahrscheinlich macht man sich dann wirklich mitschuldig daran, daß in der Realität mehr Abtreibungen stattfinden. Deshalb gibt es wohl auch Bischöfe, die ihrerseits gegen die Empfehlung des Papstes Gewissensbedenken haben. Es sei in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, wieviele Abtreibungen in der Vergangenheit gerade darauf zurückzuführen sein mögen, daß voreheliche Schwangerschaften als Schande angesehen und die betreffenden Frauen von außen her und von oben herab mit Entrüstung behandelt wurden. Nicht nur in diesem Punkt hätte die katholische Kirche Anlaß zu ernsten Fragen gegenüber ihrer eigenen Moralverkündigungspraxis.

Bei einer sogenannten »kriminologischen Indikation«, also wenn eine Frau durch Vergewaltigung schwanger geworden ist, wird man gewiß sagen können, daß es bewundernswert ist, wenn eine Frau ein solches Kind dennoch bejaht. Man kann aber fragen, ob andere Menschen ein Recht haben, eine Frau zu verurteilen, die dazu nicht fähig ist. Diese Frage wird auch sonst oft zu stellen sein.
 
 

Wie kann das Problem gelöst werden?

Die von Bischof Lehmann erwähnten »bescheidenen Geistesblitze«, zu denen es in der Zusammenkunft der Bischöfe gekommen zu sein scheint, sind, wie er selbst sagt, nicht überzeugend. Es gilt allerdings, dem Mißverständnis zu wehren, der Beratungsschein »berechtige« zu einer straffreien Abtreibung oder eine solche werde gar von der Kirche gebilligt. Die bisherigen Scheine wiesen nur darauf hin, daß die Beratung zum Schutz des Lebens erfolgt sei, ohne aber sonst etwas über die Stellungnahme der Kirche zu sagen.

Man sollte weiterhin Scheine ausstellen, aber eben gemäß dem Beschluß des Ständigen Rates der Bischofskonferenz nicht »der bisherigen Art«, sondern solche mit einer unmißverständlichen Darstellung der Auffassung der Kirche. Die Bischofskonferenz sollte deutlich zum Ausdruck bringen lassen, daß die Ausstellung eines Scheines keine Mitwirkung an der Abtreibung ist, sondern am Verzicht auf Strafverfolgung. Dieser Verzicht hat darin seinen »entsprechenden Grund«, daß man durch Beratung viele Abtreibungen verhindern kann. Frauen, die über eine Abtreibung nachdenken, sind gewöhnlich in einer Zwangslage und brauchen jeden erdenklichen Beistand, ohne daß ihnen jedoch irgend jemand ihre eigene Verantwortung abnehmen kann.

Es sei dem Sinn nach folgender Text für die Scheine vorgeschlagen, der gegebenenfalls bei der Aushändigung auch vorgelesen werden könnte:

»Die katholische Kirche beteiligt sich an der Schwangerschaftsberatung in der Absicht, ungeborenes Leben zu schützen. Das Gesetz stellt eine nach Beratung dennoch eventuell erfolgende Abtreibung straffrei. Dies ist darin begründet, daß Frauen, die eine Abtreibung erwägen, sich sonst nicht beraten lassen würden. Die Ausstellung einer Bescheinigung über eine Beratung durch eine katholische Beratungsstelle bedeutet in keiner Weise eine Billigung der Abtreibung oder eine Zustimmung zu ihr. Auch eine Handlung, die nicht bestraft wird, kann dennoch der Verantwortung für das Leben widersprechen. Eine Abtreibung, für deren Straffreiheit man einer Beratungsbescheinigung bedarf, bleibt auch nach staatlichem Recht trotz der Bescheinigung rechtswidrig. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann zulässig und kann nicht als Abtreibung bezeichnet werden, wenn das Leben von Mutter und Kind in Gefahr ist und er medizinisch notwendig ist, um wenigstens eines der beiden Leben zu retten.«



 
Leserbrief an die Frankfurter Rundschau (26. Juni 1999):
 
Der Beratungsschein wurde nicht verboten
 

Es trifft nicht zu, wie in den letzten Tagen oft behauptet wurde, daß der Papst der katholischen Schwangerschaftskonfliktberatung die Ausstellung eines Scheins verboten habe, der die kirchliche Beratung bestätigt. In seinem Schreiben vom 3. Juni hat Papst Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe gebeten, dafür zu sorgen,

»daß der Schein, der die kirchliche Beratung bestätigt und Anrecht auf die zugesagten Hilfen gibt, nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen gemäß StGB § 218a (1) verwendet werden kann. Dies soll dadurch erfolgen, daß in der brieflichen Bescheinigung, die den Frauen im Rahmen des ›Beratungs- und Hilfeplans‹ ausgehändigt wird, im Sinn der [von den Bischöfen selbst vorgeschlagenen] Variante 1 nur das Ziel der Beratung und Hilfe erwähnt und am Ende der Satz hinzugefügt wird: ›Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden.‹ «
Dieser Satz formuliert an sich nur eine selbstverständliche Unmöglichkeit. Eine Abtreibung »durchführen« kann man nur mit chemischen oder chirurgischen Mitteln, nicht aber mit einem Papier. Zutreffender wäre die Formulierung: »Dieser Schein kann nicht zur Legitimierung einer Abtreibung verwendet werden.« Der Schein kann lediglich dafür verwendet werden, den Staat bei einer unrechtmäßig bleibenden Abtreibung dennoch zum Verzicht auf Strafmaßnahmen zu veranlassen. Der entsprechende Grund für diese Zurückhaltung des Staates ist, daß durch die sonst nicht durchsetzbare Verpflichtung zur Beratung mehr Abtreibungen verhindert werden als auf jede andere Weise. Wenn man es vorzöge, um übler Nachrede zu entgehen, mehr Abtreibungen in Kauf zu nehmen, wäre dies nach den Kriterien der klassischen Moraltheologie »in sich schlecht«.

Der Schein eröffnet jedoch nicht den Zugang zur Abtreibung, sondern allein dazu, daß der Staat auf Bestrafung verzichtet. Ein Strafverzicht ist keineswegs dasselbe wie eine Legitimierung. Vor einigen Jahren haben zündelnde Kinder die Canisius-Kirche in Berlin abgefackelt und einen Schaden von vielen Millionen DM bewirkt. Der Staat verzichtet durch sein Gesetz, das die Strafmündigkeit erst mit 14 Jahren beginnen läßt, auf Strafe; es wäre absurd zu meinen, daß der Staat damit Kindern die »Durchführung straffreien Zündelns« erlaube oder sogar daran mitwirke oder daß eine behördliche Bescheinigung, daß jemand noch nicht vierzehn Jahre alt ist, den »Zugang« zum Zündeln eröffnen würde.


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